Читать книгу Am Ende der Sehnsucht - Ingeborg Arvola - Страница 5

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Wenn ich um die Bäume herumgehe, sehe ich die Hütte. Beim Wiedererkennen sträuben sich mir die Haare, und bestimmt glänzen meine Augen ein bißchen, ich hatte nicht geglaubt, daß die Erinnerung so genau sein würde. Am äußersten Ende der Wiese liegt sie, klein und rotgestrichen. Einmal, vor langer Zeit, saß ich vor dem Haus auf der Treppe und glaubte, das Holz aus dem Pasvikelv würde mir Geheimnisse zuflüstern, wollte mir etwas erzählen, das ich nicht verstand.

Der Fluß Neiden redet immer noch, erzählt über all die Jahre hin mit gleichmäßiger Stimme, und ich sehe das kleine Mädchen, in Kleidern, die ihm nicht paßten. Es sitzt da, den Rücken ein bißchen gekrümmt, und lauscht. Eine schmutzige Wange. Ein Stück vom Schal im Mund.

Ich bin zurückgekommen. Bin in zufälligen Kleidern aus der Zeit gesprungen und ließ übereilt einen Zettel zurück mit einigen Flüchtigkeitsfehlern. Immer noch außer Atem, steige ich bei Bordevarra aus dem Bus. Bin überhaupt nicht sicher, ob das richtig war. Unsicherer Blick den Straßenrand entlang. Bin ich hier früher schon gewesen? Mit Herzklopfen bis zum Hals über den Weg. Heide, Heideduft. Atme tief ein. Gehe schnell von den Bäumen weg, ganz erwachsen, auf dem Weg über die Wiese. Öffne das Gesicht zur Hütte in Uopaja. Ich bin es, die hier ist. Ich bin früher schon hier gewesen. Mit meinem Vater. Mit meinem Vater, wiederhole ich. Das ist, als öffnete man während eines Unwetters alle Fenster. Erinnerungsbilder rasen durch den Kopf.

Als ich meinem Vater zum ersten Mal begegnete, kam er von Uopaja. Er und ein paar Nachbarn hatten die Hütte zurückgetragen. Das Hochwasser hatte sie mit sich über Edas Land geschleppt, und sie stand gleich neben dem alten Heuschuppen. Noch nicht einmal Hütten bleiben dort, wo sie abgestellt worden sind, dachte ich vielleicht damals. Und mein Vater war derjenige, der sich um die Hütten kümmerte. Er lief mit Lasso und Gummistiefeln hinter ihnen her und vielleicht mit einer Spielzeugpistole. Und dem dunklen Hut, grau, mit Flecken von der Erde und einem gelb-schwarzen Angelhaken. Ich hatte den Hut ganz vergessen. Er bat sie, mit zurückzubleiben, er fand sie, wenn sie sich verirrt hatten. Wenn sie verstört im Schatten des Heuschuppens saßen, grauverwittert, schief, mehrere hundert Meter von ihren eigenen Grundstücken entfernt, und waren sie verschreckt, tröstete er sie mit kraftvoller Hand.

Er kam mir in schmutzigen Kleidern auf der Straße entgegen, roch nach Fisch und Wacholder, jemand, den ich nicht kannte. Und ich unterdrückte einen Schluchzer, um ihn näher in Augenschein zu nehmen, den Mann, der mein Vater war, ohne daß es einer von uns wußte. Der Mann, der Hütten nach Hause trägt, dachte ich, ehe ich an seiner Seite einschlief, zum ersten Mal in der Finnmark.

Die Hütte liegt so scheu und alltäglich da, daß es mich schaudert. Es ist noch nicht lange her, seit hier jemand Heu geerntet hat, ein Teil der Erde liegt nach dem Schnitt noch bloß. Meine Mutter ist nie hier gewesen, denke ich. An diesem Ort hat mein Vater auf seine eigene Weise geherrscht. Gejagt von Dämonen, beschützt von Engeln. Hier hat er mir den Geschmack des Grases geschenkt und Fischblut in meine Adern gepumpt. Jetzt, wo ich wieder hier bin, recke ich den Hals, sehe Blaues glitzern. Glaube, ich kann die Toten flüchtig sehen, die sich am Rand der Wiese um ihn gesammelt haben. Für ihn wurde meine Mutter nicht einmal zu einem Trugbild, einer Illusion. Sie hat mit diesem Ort nichts zu tun. Gerade als ich mich von den Unsichtbaren abwenden will, kommt es mir vor, als sähe ich ein Lächeln aufglitzern, viele Lächeln, ganz kurz, wie das Wasser des Flusses zwischen den Birkenstämmen. Ist das mein Vater, der zufrieden in die Luft lächelt, weil ich zurückgekommen bin? Komisch. Heißt er mich willkommen? Ich blicke auf die Treppenstufen hinunter, überwältigt von der eigenen Verwunderung. In all diesen Jahren hatte ich geglaubt, ich würde Furcht mit diesem Ort verbinden.

Am Ende der Sehnsucht

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