Читать книгу Am Ende der Sehnsucht - Ingeborg Arvola - Страница 7
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ОглавлениеEs war einmal eine Mutter. Sie war meine Mutter, die Frau, die alle Korell nannten, und ich weiß noch immer nicht, warum. Immer ist es ihr Name, um den meine Gedanken kreisen. Korell, die am Küchenschrank steht, während ihre Finger routiniert Saft mischen, Wasser, Zucker und Zitrone. Sie braucht bei der Arbeit gar nicht anwesend zu sein, ihr Blick ist ganz woanders. Meine Mutter hat große Augen, wunderbar klar brennen sie in dem Gesicht. Wir sind in der Küche, und ich trinke genüßlich Saft. Niemand außer Korell würde mir Saft geben, das Glas halbvoll Zucker. Schon gar nicht bei diesem schweren Regenwetter, einem Wetter voller Vorwarnungen, Kummer und Abschieden. Davon läßt sich meine Mutter, die mich liebevoll anschaut, den Abstand der ganzen Welt im Blick, nicht stören, und ich trinke in winzigen Schlucken, trinke für den Rest meines Lebens; und während sich der Name Korell in den süßen Geschmack mischt, bleiben die Tropfen der Zitrone verzerrt und zerlaufen auf dem Küchenschrank. Korell ist so, Gestalten können verzerrt sein vor Einsamkeit, in der sie andere zurücklassen, in der sie selbst gefangen sind. Korell ist diejenige, die weiterzieht.
Alle nennen Korell bei ihrem Namen, auch ich tue das. Nur innen in mir ist sie Mama, eine weitaus greifbarere Gestalt als Korell, die mich genau jetzt bei halbgeöffnetem Fenster und Regenwetter genießt. Korell, schlucke ich und spüre, wie die Lippen vom Zucker kleben. Ich habe eine Million Fragen, die nach Antworten verlangen, und alle Sehnsucht der Welt, um das richtige Wort, den richtigen Tonfall zu treffen, damit Korell bleibt, auch wenn das Wetter von Abschied spricht. Halbwegs unten im Glas zögere ich, benutze den kleinen Löffel, um mir den Zuckerhügel, von Zitrone durchsäuert, zu sichern.
»Warum heißt du Korell?« frage ich.
Immer diese Frage, und ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, ob sie irgendwann einmal darauf geantwortet hat. Und der magische Saft verliert seine Wirkung. Korell mag keine alltäglichen Fragen. Meine Mutter wird sich erst zeigen, wenn das rechte Wort aus meinem Mund fällt, wie rostige Ketten von alten Seeräuberkisten abfallen und eine Menge Gold enthüllen. Korell sagt, Zitrone macht den Zucker ungefährlich, entfernt das Ungesunde aus den weißen zähflüssigen Körnern, die den Boden des Saftglases bedecken, und auch wenn ich weiß, daß sie mich beschummelt, bringt mich das zum Lächeln, wie eine Verschwörerin. So sind sie, Korell und Mama, sie lieben Überraschungen, Ideen. Ich weiß das wohl, und ich beeile mich mit dem Saft, während ich spüre, wie sich Rastlosigkeit zwischen uns breitmacht, und ich will nicht diejenige sein, die aufhält. Weiß das wohl, habe aber nie Zeit genug für diese Wörter, gehe beständig verloren in einem Wirbel zu großer Ringe mit merkwürdigen Formen und einer Korell, die mich schwindeln macht, wenn sie mich auf ihre extreme Art umarmt. Jedes Mal, wenn sie kommt, beschließe ich, mich dieses Mal nicht berauschen zu lassen, lausche aber hellwach auf diese stummen Wörter und schüttele das richtige aus dem Ärmel, wenn es an der Zeit ist. Das Wort, bei dem sie bleibt. Einmal kam dieses Wort doch zu mir, aber jetzt kann ich mich nicht erinnern, welches es war. Ich erinnere mich nur, daß Korell den Kopf zurückwarf und laut lachte. Und statt alleine durch die Flurtür zu verschwinden, wickelte sie mich in Kleider ein und nahm mich mit hinaus in den dunkelnden Abend. Sie tanzte mit mir, nur mit mir, die ganze Nacht, und als ich mich wieder umsah, war es Morgen, und wir schlichen müde heimwärts.
Ich hatte Korells Geschmack von Wein auf den Lippen, und sie ließ mich den einen Zipfel ihres Schals halten, während sie selbst den anderen trug. Ich blinzelte in den Sonnenaufgang, und sie glich einer Prinzessin mit all den Ringen an den Fingern. Wir gingen auch nicht hinein, sondern legten uns ins nasse Gras vor der Veranda, und ich wollte noch fragen, ob das ginge, im nassen Gras schlafen, aber die Sonne lag auf unseren Augen, und während wir uns in den Armen hielten, schliefen wir auf der Stelle, die seither meine Lieblingsstelle gewesen ist.
Später am Tag erwachte ich in meinem eigenen Bett, und der Körper tat weh, nicht von dem Gras, das nur immer weicher geworden war, weicher nasser Tau, früher Morgen, sondern in der Gewißheit, daß nicht Korell mich hineingetragen hatte. Meine Mutter war wieder weg, weg wie die Sonne, die uns in den Schlaf geschickt hatte, verloren an ein Regenwetter, das für solche wie mich nichts anderes birgt als Melancholie.