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Todesangst: Eine einflussreiche Determinante menschlicher Erfahrung und menschlichen Verhaltens

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Der Schrecken des Todes ist überall in solchem Ausmaß vorhanden, dass ein beträchtlicher Teil der Lebensenergie für die Verleugnung des Todes aufgebraucht wird. Die Transzendenz des Todes ist ein wesentliches Motiv in menschlicher Erfahrung – von den tiefsten innerpersönlichen Erscheinungen, unserer Abwehr, unseren Motiven, unseren Träumen und Albträumen, bis zu den ganz öffentlichen makrosozialen Strukturen, unseren Monumenten, Theologien, Friedhöfen, Einbalsamierungen, unserer Eroberung des Weltraums, ja unserer ganzen Lebensführung – im Ausfüllen unserer Zeit, in unserer Abhängigkeit von Ablenkungen, unserem unbeirrten Glauben an den Mythos des Fortschritts, unserem Drang »weiterzukommen«, unserer Sehnsucht nach dauerhaftem Ruhm.

Die urzeitlichen Gruppen von Menschen, die Moleküle sozialen Lebens, wurden, wie Freud spekulierte, aus Furcht vor dem Tod gebildet: Die ersten Menschen kauerten sich zusammen aus Angst vor dem Getrennt-Sein und einer Furcht vor dem, was in der Dunkelheit lauerte. Wir halten die Gruppe aufrecht, um uns selbst aufrechtzuerhalten, und die Geschichtsschreibung über die Gruppe ist eine symbolische Suche nach mittelbarer Unsterblichkeit. Tatsächlich ist Geschichte selbst, wie Hegel behauptete, das, was der Mensch mit dem Tod macht. Robert Jay Lifton hat verschiedene Modi beschrieben, mit denen der Mensch symbolische Unsterblichkeit zu erreichen sucht. Betrachten wir ihre durchgängigen kulturellen Implikationen: (1) der biologische Modus – durch seine Nachkommen leben, durch eine endlose Kette biologischer Zugehörigkeit; (2) der theologische Modus – Leben auf einer anderen, höheren Ebene der Existenz; (3) der kreative Modus – durch sein Werk weiterleben, durch die anhaltende Wirkung seiner persönlichen Schöpfungen oder Einflüsse auf andere (Lifton weist darauf hin, dass der Therapeut persönliche Befriedigung aus dieser Quelle schöpft: indem er seinem Patienten hilft, initiiert er eine endlose Kette, da die Kinder und Angehörigen seiner Patienten auf seinen Spuren wandeln); (4) das Thema ewiger Natur – man überlebt, indem man sich den treibenden Lebenskräften der Natur überlässt; (5) der Modus der transzendentalen Erfahrung, indem man »sich selbst verliert« in einen Zustand, der so intensiv ist, dass Zeit und Tod verschwinden, und man im »Kontinuum der Gegenwart«25 lebt.

Diese sozialen Verästelungen der Todesangst und der Suche nach Unsterblichkeit sind so weit verbreitet, dass sie weit über den Rahmen dieses Buches hinausreichen. Unter denen, die über diese Fragen schrieben, haben vor allem Norman Brown, Ernest Becker und Robert Jay Lifton auf brillante Weise gezeigt, wie die Todesangst das Gewebe unserer sozialen Strukturen durchdrungen hat. Mich interessieren hier die Wirkungen der Todesangst auf die innere Dynamik des einzelnen Menschen. Ich stelle die Behauptung auf, dass die Furcht vor dem Tod die primäre Quelle der Angst ist. Obwohl diese Position einfach ist und mit alltäglicher Intuition übereinstimmt, werden wir sehen, dass ihre Auswirkungen auf Theorie und klinische Praxis sehr weitläufig sind.

Existenzielle Psychotherapie

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