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Todesangst: Klinische Erscheinungsformen

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Die Tatsache, dass Angst die Tendenz hat, zur Furcht zu werden, vereitelt den Versuch des Klinikers, die ursprüngliche Quelle der Angst zu identifizieren. Man begegnet ursprünglicher Todesangst selten in der klinischen Arbeit in ihrem Urzustand. Wie entstehender Sauerstoff wird sie rasch in einen anderen Zustand überführt. Um die Todesangst abzuwehren, entwickelt das kleine Kind Schutzmechanismen, die, wie ich im nächsten Kapitel ausführen werde, auf Verleugnung beruhen, durch mehrere Stadien gehen und schließlich aus einer hochkomplexen Folge mentaler Operationen bestehen, die die nackte Todesangst verdrängen und sie unter einer Schicht solcher Abwehroperationen verbergen wie Verschiebung, Sublimierung und Konversion. Gelegentlich zerreißt eine aufrüttelnde Erfahrung im Leben den Vorhang der Abwehr und erlaubt der rohen Todesangst, ins Bewusstsein einzubrechen. Das unbewusste Ich repariert den Riss jedoch schnell wieder und verbirgt erneut die Natur der Angst.

Ich kann das aufgrund meiner persönlichen Erfahrung veranschaulichen.

Während ich dabei war, dieses Buch zu schreiben, war ich an einem frontalen Autozusammenstoß beteiligt. Ich fuhr friedlich eine Vorortstraße entlang, als ich plötzlich einen Wagen, der außer Kontrolle geraten war und direkt auf mich zufuhr, bedrohlich näherkommen sah. Obwohl der Zusammenstoß heftig genug war, um beide Autos zu zerstören, und obwohl der andere Fahrer ernsthaft verletzt wurde, hatte ich Glück, und mir wurden keine bedeutsamen körperlichen Verletzungen zugefügt. Ich erreichte ein Flugzeug zwei Stunden später und war in der Lage, in einer anderen Stadt eine Vorlesung zu halten. Aber ich war zweifellos schwer erschüttert, ich fühlte mich benommen, war zitterig und konnte weder essen noch schlafen. Am Abend war ich unklug genug, mir einen schrecklichen Film (Carrie) anzusehen, der mich gründlich entsetzte, und ich verließ das Kino, bevor er zu Ende war. Ich kehrte ein paar Tage später nach Hause zurück, ohne offensichtliche psychische Nachwirkungen, abgesehen von gelegentlichen Schlafstörungen und Angstträumen.

Aber ein seltsames Problem tauchte auf. Zu dieser Zeit verbrachte ich ein Jahr als Stipendiat am Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences in Palo Alto, Kalifornien. Ich war gern mit meinen Kollegen zusammen und freute mich besonders auf die täglichen gemütlichen Diskussionen über gelehrte Fragen zur Mittagessenszeit. Unmittelbar nach dem Unfall entwickelte ich jedoch starke Angst bei diesen Mittag essen. Würde ich etwas von Bedeutung zu sagen haben? Was würden meine Kollegen von mir halten? Würde ich mich zum Narren machen? Nach einigen Tagen wurde die Angst so extrem, dass ich nach Entschuldigungen suchte, um woanders alleine essen gehen zu können. Ich begann jedoch auch, mein Dilemma zu analysieren, und eine Tatsache war überaus klar: Die Angst vor dem Mittagessen trat zum ersten Mal nach dem Autounfall auf. Außerdem war die starke Angst im Zusammenhang mit dem Unfall, bei dem ich nahe daran war umzukommen, innerhalb von ein oder zwei Tagen vollkommen verschwunden. Es war klar, dass es der Angst gelungen war, zur Furcht zu werden. Ein großes Maß an Todesangst war unmittelbar nach dem Unfall in mir aufgebrochen, und ich hatte sie in erster Linie durch Verschiebung »bearbeitet« – ich hatte sie von ihrer wahren Quelle abgespalten und sie an eine spezifische passende Situation geheftet. Meine grundlegende Todesangst erlebte daher nur ein kurzes Aufflackern, bevor sie zu solchen kleineren Sorgen wie Selbstwertgefühl, Furcht vor zwischenmenschlicher Zurückweisung oder Erniedrigung säkularisiert wurde.

Obwohl ich mit meiner Angst umgegangen war, sie »durchgearbeitet« hatte, hatte ich sie nicht gründlich beseitigt; und Spuren davon waren noch monatelang spürbar. Obwohl ich meine Mittagessensphobie durchgearbeitet hatte, tauchte eine Serie anderer Ängste auf – Ängste, einen Wagen zu fahren, Fahrrad zu fahren. Monate später, als ich zum Skifahren ging, war ich so vorsichtig, so ängstlich, dass etwas passieren könnte, dass mein Skivergnügen und meine Fähigkeiten beim Skifahren ernsthaft eingeschränkt waren. Doch diese Ängste konnten in Raum und Zeit lokalisiert und in einer systematischen Art und Weise behandelt werden. So störend sie auch waren, sie waren nicht grundlegend, sie bedrohten nicht mein Sein.

Zusätzlich zu diesen spezifischen Ängsten bemerkte ich einen anderen Wandel: Die Welt erschien gefährlich. Ich hatte in ihr mein Heimatgefühl verloren: Überall schien Gefahr zu lauern. Das Wesen der Realität hatte sich verändert, während ich das erfuhr, was Heidegger »unheimlich« [im Original dt.] nannte – die Erfahrung, »in der Welt nicht zu Hause zu sein«, die er als eine typische Konsequenz der Todesbewusstheit ansah (was ich bestätigen kann).34

Eine weitere Eigenart der Todesangst, die oft in der Literatur über geistige Gesundheit Verwirrung gestiftet hat, ist, dass die Furcht vor dem Tod auf vielen verschiedenen Ebenen erlebt werden kann. Man kann, wie ich ausgeführt habe, sich Sorgen machen über den Akt des Sterbens, die Furcht vor den Schmerzen beim Sterben, das Bedauern über unvollendete Vorhaben, man kann das Ende persönlicher Erfahrungen bedauern oder den Tod so rational und leidenschaftslos betrachten wie die Epikureer, die einfach den Schluss zogen, dass im Tod kein Schrecken ist, weil »wo ich bin, ist der Tod nicht; wo der Tod ist, bin ich nicht. Daher bedeutet der Tod mir nichts« (Lukrez). Wir sollten uns jedoch bewusst sein, dass diese Antworten bewusste erwachsene Reflexionen über das Phänomen des Todes sind; keinesfalls sind sie identisch mit der primitiven Angst vor dem Tod, die das Unbewusste beherbergt – eine Angst, die Teil des Gewebes des Seins ist, die früh im Leben – zu einer Zeit vor der Entwicklung exakten Begriffsverständnisses – gebildet wird, eine Angst, die kalt, unheimlich und roh ist, eine Angst, die vor und jenseits aller Sprache und allen Vorstellungsvermögens existiert.

Dem Kliniker begegnet die Todesangst in ihrer krassen Form selten: Diese Angst wird mit üblicher Abwehr gehandhabt (zum Beispiel Verdrängung, Verschiebung, Rationalisierung) und durch einige Abwehrmechanismen, die nur für sie spezifisch sind (s. u. Kap. 4). Natürlich sollte diese Situation uns nicht übermäßig beunruhigen: Sie gilt für jede Theorie der Angst. Primäre Angst wird immer in etwas weniger Giftiges für die Person umgewandelt; das ist die Funktion des ganzen Systems psychologischer Abwehrmechanismen. Es ist selten, dass ein Kliniker unverhohlene Kastrationsangst (um Freuds Bezugsrahmen zu verwenden) beobachten kann; stattdessen sehen wir einige Verwandlungen der Angst. Zum Beispiel kann ein männlicher Patient phobisch auf Frauen reagieren oder kann ängstlich beim Rivalisieren mit Männern in bestimmten sozialen Situationen sein oder kann dazu neigen, sexuelle Befriedigung in anderer Weise zu suchen als über sexuellen Kontakt mit dem anderen Geschlecht.

Ein Kliniker jedoch, der ein existenzielles Bezugssystem entwickelt hat, wird die »umgeformte« Todesangst erkennen und erstaunt sein, wie häufig und vielfältig sie in Erscheinung tritt. Lassen Sie mich ein paar klinische Beispiele anführen.

Ich begegnete vor Kurzem zwei Patienten, die Therapie nicht wegen existenzieller Angst suchten, sondern um alltägliche schmerzhafte Beziehungsprobleme zu lösen.

Joyce war eine dreißigjährige Universitätsprofessorin, die mitten im schmerzhaften Prozess einer Scheidung war. Sie hatte ihr erstes Rendezvous mit Jack, als sie fünfzehn war, und heiratete ihn mit einundzwanzig. Die Ehe war mehrere Jahre lang offensichtlich nicht gut gegangen, und sie hatten sich vor drei Jahren getrennt. Obwohl Joyce eine befriedigende Beziehung zu einem anderen Mann aufgenommen hatte, war sie nicht in der Lage, ihre Scheidung voranzutreiben. Tatsächlich bestand ihre Hauptbeschwerde, als sie die Therapie begann, in unkontrolliertem Weinen, wann immer sie mit Jack sprach. Eine Analyse ihres Weinens deckte mehrere wichtige Faktoren auf.

Erstens war es von höchster Bedeutung, dass Jack sie auch weiterhin liebte. Obwohl sie ihn nicht mehr liebte und begehrte, wünschte sie sich sehr, dass er oft an sie dachte und sie so liebte, wie er nie eine andere Frau geliebt hatte. »Warum?« fragte ich. »Jeder möchte, dass man sich an ihn erinnert«, antwortete sie. »Es ist ein Weg, wie ich meiner Nachwelt erhalten bleiben kann.« Sie erinnerte mich an das jüdische Kaddish-Ritual, das um die Annahme herum aufgebaut ist, dass man weiterexistiert, solange man in der Erinnerung seiner Kinder ist. Würde Jack sie vergessen, würde sie ein wenig sterben. (Allen Sharp beschreibt in A Green Tree in Geddes einen kleinen mexikanischen Friedhof, der in zwei Teile aufgeteilt ist: die »Toten«, deren Gräber noch mit Blumen geschmückt werden, die die sie Liebenden auf sie legen, und die »wirklich Toten«, deren Grabstätten nicht länger erhalten werden – keine lebende Seele erinnert sich ihrer.35 In einem bestimmten Sinn sterben auch viele andere, wenn eine sehr alte Person stirbt; die tote Person nimmt sie mit. All jene kürzlich gestorbenen, derer sich keiner mehr erinnert, sterben erst in diesem Moment »wirklich«.

Eine andere Quelle von Joyce’ Tränen war ihr Gefühl, dass sie und Jack schöne und wichtige gemeinsame Erfahrungen hatten. Sie hatte das Gefühl, dass diese Ereignisse ohne ihr Zusammensein zerrinnen würden. Das Schwinden der Vergangenheit gemahnt lebhaft an den gnadenlosen Fluss der Zeit. In dem Maß, in dem die Vergangenheit schwindet, verkürzt sich das Band der Zukunft. Joyce’ Ehemann half ihr, die Zeit einzufrieren – die Zukunft ebenso wie die Vergangenheit. Obwohl sie sich dessen nicht bewusst war, war es klar, dass Joyce Angst hatte, die Zukunft aufzubrauchen. Sie hatte zum Beispiel die Gewohnheit, niemals eine Aufgabe vollständig fertig zu machen. Wenn sie ihre Hausarbeit erledigte, ließ sie immer eine Ecke des Hauses ungeputzt. Sie hatte Angst, »fertig« zu sein. Sie begann niemals ein Buch zu lesen, ohne ein anderes auf ihrem Nachttisch zu haben, das darauf wartete, gelesen zu werden. Man fühlt sich an Proust erinnert, dessen Hauptwerke der Flucht vor »den verschlingenden Klauen der Zeit« gewidmet sind, indem er die Vergangenheit wieder einzufangen sucht.

Die Angst vor dem Versagen war noch ein anderer Grund, warum Joyce weinte. Das Leben war bis vor kurzem eine ununterbrochene Erfolgsleiter gewesen. In ihrer Ehe zu versagen bedeutete, dass sie, wie sie es oft formulierte, »genau wie jede andere« sein würde. Obwohl sie beachtliche Talente hatte, waren ihre Erwartungen doch zu grandios. Sie stellte sich vor, internationalen Ruhm zu erringen, vielleicht sogar den Gewinn eines Nobelpreises für ein Forschungsprogramm, das sie in Angriff nehmen wollte. Sollte dieser Erfolg nicht innerhalb von fünf Jahren eintreten, plante sie, ihre Energie der Literatur zu widmen und ein neues You can’t go home again (dt.: Es führt kein Weg zurück; Erfolgsroman von Thomas Wolfe aus dem Jahr 1940; [Anm. Übers.]) zu schreiben – obwohl sie niemals schriftstellerisch tätig war. Doch es gab einen Grund für ihr Gefühl der Besonderheit: Bis jetzt hatte sie bei keinem Erreichen jedes ihrer Ziele versagt. Das Scheitern ihrer Ehe war die erste Unterbrechung ihres Aufstiegs, die erste Herausforderung für ihre solipsistische, anmaßende Welt. Das Scheitern der Ehe bedrohte ihr Gefühl der Besonderheit, das, wie ich im vierten Kapitel erörtern werde, einer der verbreitetsten und mächtigsten, den Tod verleugnenden Abwehrmechanismen ist.

Joyce’ allgemeines Problem hatte also Wurzeln, die zur ursprünglichen Todesangst zurückführten. Für mich als existenziell orientiertem Therapeuten hatten diese klinischen Phänomene – der Wunsch, geliebt und ewig erinnert zu werden, der Wunsch, die Zeit einzufrieren, der Glaube an die persönliche Unverletzlichkeit, der Wunsch, miteinander zu verschmelzen – alle die gleiche Funktion für Joyce: die Todesangst zu mildern. Als sie jedes von ihnen analysierte und die gemeinsame Quelle dieser Phänomene allmählich verstand, besserte sich Joyce’ klinisches Bild beträchtlich. Am überraschendsten war, dass sie, als sie ihr neurotisches Verlangen nach Jack aufgab und ihn nicht länger dafür benutzte, dem Tod zu trotzen, in der Lage war, sich ihm zum ersten Mal in einer wahrhaft liebevollen Weise zuzuwenden und die Ehe auf einer völlig neuen Basis zu gestalten. Aber das ist ein anderes Thema, das ich im achten Kapitel ansprechen werde.

Dann gab es da eine dreißigjährige alleinstehende Frau, Beth, die wegen ihrer Unfähigkeit, eine befriedigende Beziehung mit einem Mann herzustellen, zur Therapie kam. Sie hatte bei vielen vorhergehenden Gelegenheiten »schlecht gewählt«, wie sie es nannte, und hatte die Beziehung abgebrochen, weil sie ihr Interesse an dem Mann verlor. Während sie in Therapie war, wiederholte sie diesen Zyklus: Sie verliebte sich in einen Mann, geriet in einen quälenden Zustand der Unzufriedenheit und war schließlich nicht in der Lage, sich auf ihn einzulassen.

Als wir ihr Dilemma analysierten, wurde deutlich, dass sie sich gedrängt fühlte, eine dauerhafte Beziehung herzustellen: Sie hatte die Einsamkeit satt, hatte es satt, allein zu leben, und wünschte sich verzweifelt, Kinder zu haben. Der Druck nahm zu, weil sie sich Sorgen darüber machte, dass sie älter wurde und das gebärfähige Alter vorüberging.

Als ihr Liebhaber jedoch mit ihr über die Heirat sprechen wollte, geriet sie in Panik; und je mehr er sie drängte, desto ängstlicher wurde sie. Beth verglich die Ehe damit, an der Wand festgenagelt zu werden: Sie wäre für immer in der gleichen Art festgelegt, wie Tiere in der Biologie durch Formaldehyd fixiert werden. Es war wichtig, weiter zu wachsen, jemand anderes zu werden, jemand anderes zu werden als sie war; und sie fürchtete, ihr Liebhaber wäre zu genügsam, zu zufrieden mit sich und dem Leben. Allmählich wurde Beth die Bedeutung dieses Motivs für ihr Leben bewusst. Sie hatte nie in der Gegenwart gelebt. Selbst wenn sie aß oder ein Mahl servierte, war sie schon einen Gang voraus; wenn sie das Hauptgericht aß, waren ihre Gedanken bei dem Nachtisch. Sie hatte oft mit Schrecken über das »sich Niederlassen« nachgedacht, das sie mit »sich zur Ruhe setzen« gleichsetzte. »Ist das alles, was es im Leben gibt?« fragte sie sich oft selbst, wenn sie über Heirat oder irgendeine andere Form des Sich- Einlassens nachdachte.

Als Beth in der Therapie in diese Bereiche eintauchte – ihr Zwang, immer einen Schritt weiter zu sein, ihre Angst vor dem Altwerden, vor dem Tod und dem Stillstand – wurde sie noch ängstlicher als je zuvor. An einem Abend nach einer Sitzung, in der wir besonders tief geforscht hatten, erlebte sie außergewöhnliche panische Angst. Als sie ihren Hund ausführte, hatte sie das unheimliche Gefühl, dass sie von irgendeinem unwirklichen Wesen verfolgt wurde. Sie schaute nach allen Seiten hinter sich, fing schließlich an zu rennen und eilte nach Hause. Später brach ein Regensturm los, und sie lag die ganze Nacht mit der irrationalen Angst wach, dass das Dach weggerissen oder ihr Haus weggespült werden würde. Wie ich im fünften Kapitel ausführen werde, tritt oft eine Verstärkung der Angst ein, wenn die Furcht vor etwas (in Beth’s Fall die Furcht vor der Ehe oder davor, die falsche Wahl zu treffen) verstanden wird als das, was sie tatsächlich ist – eine Furcht vor nichts. Für Beth waren sowohl der Druck zu heiraten als auch die Furcht vor der Ehe teilweise ein oberflächlicher Widerhall des tieferen Kampfes, bei dem es um die Todesangst ging.

Viele Kliniker haben die Gegenwart und die Transformation der Todesangst durch das ganze Spektrum klinischer Pathologie hindurch beschrieben. Das vierte Kapitel handelt davon in größerer Ausführlichkeit, und ich brauche es hier nur anzudeuten. R. Skoog berichtet, dass über siebzig Prozent der Patienten mit schwerer Zwangsneurose vor dem Ausbruch der Krankheit eine Todeserfahrung hatten, die ihre Sicherheit bedrohte. In dem Maß, in dem das Syndrom sich entwickelt, sind die Patienten zunehmend damit beschäftigt, ihre Welt zu kontrollieren und das Unerwartete oder Zufällige zu verhindern. Die Patienten vermeiden Unordnung und Unsauberkeit und entwickeln Rituale, um das Übel und die Gefahr abzuwenden.36 Erwin Strauss bemerkt, dass die Abscheu des zwanghaften Patienten vor Verfall, Krankheit, Krankheitserregern und Schmutz eng verknüpft mit der Furcht vor persönlicher Auslöschung ist.37 W. Schwidder beobachtet, dass diese zwanghaften Abwehrmechanismen beim Abfedern der Todesangst nicht vollständig wirksam waren. Bei einer Studie von über hundert zwanghaft phobischen Patienten stellte er fest, dass ein Drittel von ihnen Enge und Dunkelheit fürchteten, und ein etwas größerer Anteil hatte ausdrückliche Todesangst.38

Herbert Lazarus und John Kostan betonen in einer ausführlichen Studie des Hyperventilationssyndroms (ein extrem häufiger Zustand: zwischen fünf und zehn Prozent aller Patienten, die einen Arzt aufsuchen, leiden an diesen Beschwerden) die darunter liegende Dynamik der Todesangst, die in eine Serie anderer Phobien transformiert wird. Die Unfähigkeit, die Todesangst genügend zu binden, führt zu der Hyperventilationspanik.39

D. B. Friedman beschreibt einen zwanghaften Patienten, dessen Todesangst die Form des zwanghaften Gedankens annahm, dass er von jedem vergessen würde. Damit verknüpft war seine fixe Idee, dass er immer die aufregenden Sachen in der Welt um ihn herum verpasste: »Etwas wirklich Neues geschieht nur, wenn ich nicht da bin, vor meiner Zeit oder nach meiner Zeit, bevor ich geboren wurde oder nachdem ich tot bin.«40

Die Todesangst wird bei dem hypochondrischen Patienten, der ständig mit der Sicherheit und dem Wohlbefinden seines oder ihres Körpers beschäftigt ist, nur spärlich verkleidet. Hypochondrische Krankheit bei einem Patienten beginnt häufig nach einer ernsten Erkrankung des Patienten oder von jemandem, der ihm oder ihr nahesteht. Früh im Verlauf dieser Krankheit, bemerkt V. Kral, gibt es eine direkt erfahrene Furcht vor dem Tod, die später in viele Körperorgane diffundiert.41

Mehrere klinische Untersuchungen haben von der zentralen Rolle der Todesangst beim Depersonalisations-Syndrom berichtet.42 Martin Roth zum Beispiel fand heraus, dass Tod oder ernste Erkrankung das bestürzende Ereignis bei über fünfzig Prozent der Patienten war, die von einem Depersonalisations-Syndrom berichteten.43

Diese neurotischen Syndrome haben einen gemeinsamen Zug: Obwohl sie unbequem sind und einen Patienten einengen, sind sie erfolgreich darin, ihn oder sie vor offener und erschreckender Todesangst zu beschützen.

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