Читать книгу Es lauert unterm Teufelsmoor - Isabelle Bendig - Страница 15
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Die Kneipe ‚Am Schwarzen Meer‘ lag in einem der verschlagenen Viertel von Narat. Wenige ehrbare Bürger verschlug es hierher.
Chris störte das nicht. Er stapfte durch die regennasse Straße und überquerte eine alte, knarrende Holzbrücke. Aus dem Kanal unter ihm stiegen dicke Blasen hervor, die leise blubbernd platzten. An der Böschung lagen mehrere tote Fische. Chris warf einem Mann in zerrissener Kleidung, der an einem Brückenpfeiler lehnte, einige Münzen in den Hut. Danach betrat er die Kneipe am Kanalrand.
Wie üblich war es laut und stickig. Leichter Qualm lag in der Luft. An vielen Tischen wurde Karten gespielt, wobei sich die Spieler lauthals anschrien. Auf anderen Tischen tanzten leicht bekleidete Frauen und Männer.
Chris nahm seinen Zylinder ab und blieb kurz in der Tür stehen. Eine der Bedienungen, eine Dame namens Mitsch, winkte ihm von einer Ecke aus zu. Sofort steuerte Chris sie an. Auf dem Tisch, an dem sie wartete, standen schon eine Tasse Kaffee und ein Kännchen mit Milch. Chris nickte Mitsch zu.
„Danke.“
„Der Meister hatte dich schon gesehen, als du über die Brücke gegangen bist.“
„Es hat durchaus seine Vorteile zur Stammkundschaft zu gehören.“
„Wenn du noch etwas möchtest, melde dich.“
Mitsch schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter, ehe sie zurück zur Theke ging. Chris schlüpfte aus seinem Mantel und legte ihn über einen der freien Stühle. Danach setzte er sich auf den anderen. Seinen Zylinder platzierte er in greifbare Nähe auf dem Tisch.
Bevor er seinen Kaffee trank, goss er sich einen großen Schluck Milch in die Tasse. Entspannt lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück. Seine Beine waren lang genug, damit er seine Füße auf dem freien Stuhl ablegen konnte. Während er seinen Kaffee trank, beobachtete er das Treiben in der Kneipe.
Weiter hinten gab es kleine, durch bewegbare Wände abgetrennte, Abteile. Einige davon sogar auf kleinen Podesten. An den Tischen hier saßen gedrungen wirkenden Gestalten zumeist in feinen Anzügen oder besonders auffälliger Kleidung. Bei einem saß sogar ein kunterbunter Vogel auf der Schulter. Das Licht dort war etwas schummeriger und dunkler als im Rest der Kneipe.
Aus der Menge kam eine vollkommen vermummte Gestalt auf Chris zu. Sie zog sich von einem der nicht besetzten Tische einen Stuhl heran und stellte ihn direkt neben dem, auf dem Chris´ Füße lagen. Danach ließ sie sich selber darauf sinken. Chris zog hinter seiner Kaffeetasse fragend eine Augenbraue hoch.
„Was ist los, Naf?“
Naf, der Arak, wickelte den dicken Schal ab, den er sich um seinen Kopf geschlungen hatte. Es folgte eine Gesichtsmaske aus Wolle. Darunter kam das gräuliche Gesicht mit vier Augen zum Vorschein. Erleichtert atmete Arak auf.
„Endlich, Luft.“
„Was packst du dich auch immer so ein“, meinte Chris.
„Wir Arak frieren halt leichter als ihr Mawe.“
Naf hob seinen dünnen Arm und winkte in Richtung eines Kellners.
„Ein heißes Wasser!“, rief er dazu.
Der Kellner nickte nur. Chris beobachtete, wie Naf sein Wasser bekam, einen großen Schluck nahm und sich etwas bequemer hinsetzte.
„Hast du das Ding?“, fragte er schließlich.
Chris atmete tief durch und schüttelte den Kopf.
„Nein.“
„Was?“
Fast wäre Naf die Tasse Wasser aus der Hand gefallen. Seine Hände zitterten. Chris blieb ruhig. So war dieses Geschäft halt.
„Mir ist jemand zuvorgekommen“, erklärte er.
„Wer?“
Naf versuchte ärgerlich zu klingen, doch seine Stimme zitterte. Chris zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, irgendein Kerl. Maskiert. Hat sich danach einfach in Rauch aufgelöst, wortwörtlich.“
Chris nahm einen großen Schluck Kaffee. Er konnte beobachten, wie Naf leicht panisch wurde. Seine zwei oberen Augen zuckten wild von links nach rechts und seine Beine gaben ein schierpendes Geräusch von sich, da sie aneinander rieben.
Chris atmete tief durch. Er stellte seine Kaffeetasse zur Seite und lehnte sich über den Tisch.
„Hey, Naf, ganz ruhig. Das ist nicht so schlimm.“
„Nicht schlimm? Das sagst gerade du. Du liegst mir doch die ganze Zeit in den Ohren, dass du dringend Geld brauchst.“
Dagegen konnte Chris nichts sagen. Es stimmte, er war in stetiger Geldnot. Trotzdem brachte es nichts, sich über einen gescheiterten Auftrag aufzuregen.
„Was ist mit dem Auftraggeber?“, warf Naf ein. „Das sind gefährliche Leute, die ...“
„Werden nichts machen. Naf, du kennst das Geschäft. Wir werden für einen Auftrag bezahlt. Hälfte bei Annahme, Hälfte beim Abliefern.“
„Aber jetzt können wir nicht abliefern.“
Naf umklammerte seine Tasse Wasser wie ein Schiffbrüchiger einen Rettungsring.
„Also kein Geld. Ende der Geschichte.“
Er trank seine Tasse leer. Schwungvoll ließ er sie zurück auf die Untertasse fallen.
„Wo wir gerade bei Aufträgen sind. Naf, hast du was Neues?“
Die Freundschaft zwischen Naf und Chris, wenn man es so nennen konnte, bestand nur zu einem Zwecke: Geld. Naf kannte sehr viele Leute in der kriminellen Unterwelt von Narat und daher war es für ihn ein Leichtes, lukrative und gut bezahlte Aufträge zu erhalten. Leider war er selbst als Arak nicht besonders geeignet für die Ausführung der meisten Aufträge. Es fehlte ihm an Skrupellosigkeit.
Da kam Chris ins Spiel. Er war relativ skrupellos. Ihm machte es nichts aus, Türen einzutreten und Leute einzuschüchtern, um an sein Ziel zu kommen. Gut zwei Großschritt Körpergröße waren dabei besonders hilfreich.
Naf wiegte den Kopf hin und her.
„Ein paar Kleinigkeiten. Nichts so großes wie den Auftrag, den du grad vermasselt hast.“
„Hey, wenn der Auftraggeber uns gesagt hätte, dass noch eine weitere Partei mitspielt, wäre ich anders vorgegangen. Gib nicht mir die Schuld.“
„Du bist nie schuld“, warf Naf giftig zurück.
Chris spürte blanke Wut in ihm hochsteigen. Er ballte eine Hand zur Faust. Um dieser bildeten sich Funken, die zwischen den Fingern hin und her tanzten. Als Naf dies sah, hob er abwehrend die Hände.
„Ist ja gut. Ich schau mal, was ich machen kann.“
Damit stand Naf auf und verschwand, mit seiner Tasse Wasser in der Hand, in der Menge. Chris atmete tief durch. Mit einer Hand fuhr er sich durch das Gesicht. Kalter Schweiß klebte an seinen Händen.
„Mitsch, noch einen Kaffee bitte!“