Читать книгу Es lauert unterm Teufelsmoor - Isabelle Bendig - Страница 8
ОглавлениеVergangenheit
Die Reste des Feuerwerkes schimmerten noch am Himmel. Auf dem Marktplatz von Narat drängten sich die Leute um die vielen bunten Zelte und Wagen. Seit einigen Tagen war ein Jahrmarkt in der Stadt und Chris, Penny und Rohan wollte die Gelegenheit nutzen, um sich etwas abzulenken Der Stress der bald anstehenden Prüfungen nagten an ihnen.
Nun schritten sie eine der Hauptmeilen des Jahrmarktes entlang. Chris hielt eine Tüte mit gerösteten Nüssen in der Hand und schob sich zufrieden immer wieder einige davon in den Mund, während Penny ihren Blick über die verschiedenen Stände gleiten ließ. Rohan hatten sie irgendwo bei den Dosenwurfständen verloren. Sie würden sich wiederfinden – spätestens in der Schule.
Plötzlich sprang eine kleine, in einem grauen Umhang eingepackte Gestalt vor sie auf die Straße. Penny stolperte erschrocken rücklings gegen Chris, der sich fast an seinen Nüssen verschluckte.
Die Gestalt stellte sich als ältere Frau heraus. Ihre silbernen Augen blickten aus einer tief nach unten gezogenen Kapuze zu ihnen hinauf.
„Ihr beide seid zur rechten Zeit am rechten Ort. Kommt, kommt.“
Sie winkte die Beiden heran und deutete auf ein Zelt am Straßenrand. Es war über und über mit Sternen bedeckt, die im Licht der tiefstehenden Sonnen funkelten.
Penny blickte fragend zu Chris. Dieser zuckte nur mit den Schultern.
„Was erwartet uns denn, Mütterchen?“, fragte er so höflich wie möglich.
Die alte Dame lächelte.
„Nicht weniger als euer Schicksal.“
Damit verschwand sie in ihrem Zelt.
Penny und Chris zögerten beide. Es war nicht ungewöhnlich, Schicksalsseher auf Jahrmärkten anzutreffen, doch die wenigsten waren so direkt wie diese. Irgendetwas an ihr brachte die zwei Freunde dazu, das Zelt zu betreten. Es war eine Art Kraft, ein Sog, der von dem Zelt ausging. Obwohl sie ihnen nicht wohl dabei war, gingen ihre Füße wie von selbst auf das Zelt zu.
Es war klein, die Decke hing so tief, dass Chris sich stark bücken musste, um nicht gegen die in der Luft schwebenden Kerzen zu stoßen. Auf dem Boden lag ein großer Teppich. In der Mitte des Zeltes stand ein Tisch mit so kurzen Beinen, sodass es wirkte, als würde die Platte direkt auf dem Boden aufliegen. Darum herum lagen mehrere Kissen. Die alte Dame war nicht zu sehen.
Penny setzte sich mit überschlagenen Beinen auf eines der Kissen, den Rücken zum Ausgang.
„Du weißt, dass das mit großer Wahrscheinlichkeit alles Humbug ist“, meinte sie an Chris gewandt.
Dieser stopfte sich die Tüte in die Manteltasche und setzte sich auf ein Kissen neben sie. Dabei winkelte er ein Knie an, um den rechten Arm darum legen zu können.
„Ich war noch nie bei einem Schicksalsseher“, gab er zu. „Aber es verwundert mich nicht, dass du nichts dafür übrig hast.“
„Es gibt keine Fakten, die bestätigen, dass sie das Schicksal der Leute wirklich sehen können.“
Penny war rational – in Chris’ Augen manchmal zu rational.
Die alte Dame tauchte wieder auf. Sie stellte ein Gefäß mit rauchenden Hölzern darin auf den Tisch. Der Qualm roch süßlich und kratzte in der Lunge. Chris hustete.
„Was ist das?“, fragte er leise.
„Aramieholz“, antwortete Penny nur.
„Hatten wir das in der Schule schon?“
„Ja.“
Penny klang etwas angesäuert, was Chris nicht verwunderte. Immerhin gab sie ihm Nachhilfe in Alchemie. Um sie wieder milde zu stimmen, setzte er ein entschuldigendes Lächeln auf. Die alte Dame setzte sich auf die andere Seite des Tisches und legte ihre Hände mit den Handflächen nach oben auf den Tisch.
„Reicht mir eure rechte Hand“, forderte sie die beiden Freunde auf.
Sie zögerten.
„Wie viel wird uns das kosten?“, hakte Chris nach.
Wieder lächelte die alte Dame nur.
„Gar nichts. Meine Dienste sind umsonst.“
Es war etwas in ihrer Stimme, dass beide dazu brachte jeweils die rechte Hand auf den Tisch zu legen. Die Dame ergriff ihre Hände und drehte sie mit den Handinnenflächen gen Decke. Ihre Daumen legte sie genau in die Mitte. Dann senkte sie den Kopf und summte leise vor sich hin.
„Ich spüre … große Macht. Eine starke Verbindung zur Magie bei beiden von euch. Es verbirgt sich in euch, doch ihr werdet die Möglichkeit erhalten, es freizusetzen.“
Sie hob ihren Blick.
„Das Schicksal wird nicht gnädig mit euch sein. Haltet euch bedeckt, fallt nicht zu sehr auf. Dann wird das Schicksal vielleicht überdenken, was es euch antun wird. Kämpft gegen die Magie in euch.“
Von einem Moment auf den anderen änderte sich etwas. Das Zelt schien zu schrumpfen. Alles wurde enger, kleiner. Panik breitete sich unter den Freunden aus. Sie wollten nur noch raus hier.
Gleichzeitig entzogen sie der alten Damen ihre Hände. Chris stand als Erster auf.
„Danke für den Ratschlag.“
„Ja.“
Penny erhob sich ebenfalls. Die alte Dame blickte sie nur an.
„Beachtet meine Worte. Ihr steht abseits von allen anderen auf dem Weg des Schicksals. Fordert es nicht heraus.“
„Danke, aber wir werden jetzt gehen.“
Penny packte Chris bei der Hand und zog ihn mit sich nach draußen. Sie traten ein paar Schritte von dem Zelt weg.
„Was war das denn?“, fragte Chris kopfschüttelnd.
„Was hast du erwartet? Alle Schicksalsseher sind so drauf.“
Penny zog sich ihr leicht verrutschtes Oberteil zurecht. Chris schüttelte nur den Kopf.
„Das meine ich nicht. Hast du es nicht gespürt? Da drin stimmte etwas nicht. Ganz gewaltig nicht.“
„Ja, aber ich kann nicht sagen was es war.“
Bevor sie weiter darüber nachdenken konnten, kam aus der Menge der Besucher Rohan auf sie zu. Er hatte einen großen Teddybären aus Plüsch unter den Arm geklemmt und strahlte breit.
„Da seid ihr ja. Ihr ahnt nicht, was ich gerade erfahren habe.“
„Dann sag es uns“, meinte Chris. Er war kein Freund von Ratespielen.
Rohan verdrehte die Augen.
„Du nimmst einem auch aus allem den Spaß, Chris. Also, an einem der Stände hat ein Mann mir erzählt, dass morgen Nacht der größte Sternenschauer des Jahrhunderts zu sehen sein soll. Das müssen wir uns anschauen.“
„Du möchtest also, dass wir uns zur Sperrstunde aus der Schule schleichen“, schlussfolgerte Penny.
Rohan winkte den Kopf hin und her.
„Es ist ein Ereignis, das sich erst in vielen hundert Jahren vielleicht wiederholen wird. Das sollten wir nicht verpassen.“
„Und wenn wir nicht kommen, gehst du ohne uns.“
Penny blickte Rohan fragend an. Er nickte.
„Ich lasse mir das nicht entgehen. Aber schöner wäre es natürlich, wenn meine zwei besten Freunde dabei wären.“
„Na schön“, brummte Chris. „Wir können nicht zulassen, dass du erwischt wirst.“
„Hey“, setzte Rohan zum Protest an, grinste aber spitzbübisch.
Penny ergab sich mit einem Seufzen. „Na schön.“