Читать книгу Es lauert unterm Teufelsmoor - Isabelle Bendig - Страница 18
ОглавлениеEs war dunkel. Dicke Schneeflocken fielen auf Narat hinab. In den letzten Tagen hatte der Schneefall zugenommen. Die Straßen waren unter dem Weiß kaum noch zu sehen. Chris schüttelte sich so viele Flocken wie möglich ab, ehe er seinen Mantel aufhing. Trotzdem segelten noch einige auf den Holzboden. Seine Schuhe stellte er auf ein extra dafür ausgelegtes Handtuch. Wie üblich führte ihn sein Weg in die Küche, wo er den Herd anstellte, um einen Topf mit Wasser zu erhitzen. In eine Tasse füllte er dunkelbraunes Kaffeepulver aus einer Dose.
Etwas später saß Chris mit einer heißen Tasse dampfenden Kaffee auf einem Stuhl am Küchentisch und blickte nach draußen. Nachdenklich beobachtete er die Schneeflocken, wie sie am Glas der Fensterscheibe hingen blieben und allerlei Muster bildeten. Manche schmolzen direkt beim Kontakt mit dem Fenster und verwandelten sich in Wassertropfen, die das Glas hinab liefen. Andere blieben hängen und zeigten dem Beobachter ihre individuellen Muster.
Chris nahm einen Schluck Kaffee. Der warme Dampf schlug ihm direkt ins Gesicht. Jemand öffnete die Wohnungstür und betrat die Wohnung. Chris hielt die Tasse vor seinem Gesicht, beobachtete die Küchentür über den Rand hinweg. Es dauerte nicht lange, da betrat eine junge Frau mit langen, hellblauen Haaren und stechend braunen Augen die Küche. Sie trug ein auffallend weites Kleid und hielt ein Paar hochhackige Schuhe in der Hand. Als sie ihn erblickte, seufzte sie tief.
„Nabend, Chris. Hast du auch mal wieder den Weg nach Hause gefunden.“
„Ich freue mich auch dich zu sehen, Tamara.“
Seine Schwester nahm eine Flasche Bier aus dem Schrank und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Die Flasche öffnete sie an der Tischkante. Chris nippte an seinem Kaffee.
„Wo hast du dich herumgetrieben?“
„Ich war mit ein paar Freunden weg. Und du? Ich hätte dich heute im Laden gut gebrauchen können.“
Sie funkelte ihn ärgerlich an. Chris stellte seine Tasse ab.
„Ich musste arbeiten.“
„Ah, deine ominöse Arbeit. Der, von der nicht einmal deine eigene Familie weiß, was genau du da machst.“
„Tamara“, seufzte er.
Doch sie schüttelte nur den Kopf.
„Ich habe gerade erst angefangen. Anstatt hier, im Laden deiner Familie, zu arbeiten, machst du irgendetwas anderes.“
„Bei der Herrin der Hölle, Tamara, ich besorge das Geld für Mamas Medikamente! Das ist alles, was zählt!“
Er hatte seine Faust krachend auf den Tisch fahren lassen. Der dumpfe Schlag hallte in der Küche wider. Doch Tamara zuckte nicht einmal. Sie wartete mit einer stoischen Ruhe ab, wobei sie ihren Bruder die ganze Zeit anblickte. Es war ein altes Spiel, das sie schon viel zu oft gespielt hatte.
Chris wurde ruhiger. Das dumpfe Brummen in seinem Kopf hörte auf, die Krämpfe aus seinem Kiefer lösten sich. Er entspannte seine Hand. Seine Fingernägel hatten blutige Stellen in seiner Handinnenfläche hinterlassen. Schnell legte er sie mit den Handflächen flach auf den Tisch.
„Du hast die Medikamente bekommen?“, hakte Tamara nach.
Chris nickte.
„Manche waren schwierig zu besorgen, aber die alte Kräuterdame hat ihre Kontakte.“
„Wie hat sie darauf reagiert?“
Mit dem Kopf deutete Tamara in Richtung des Schlafzimmers ihrer Mutter. Chris schmunzelte nur.
„So wie du. Die erste Frage war: Woher hast du das Geld. Als wäre das so wichtig. Ihr solltet wissen, dass ich euch nie in Gefahr bringen würde.“
Er stand auf und ging zum Fenster. Während er weiter seinen Kaffee trank, beobachtete er die Schneeflocken. Hinter ihm rutschte Tamara auf ihrem Stuhl hin und her. Die Bierflasche schlug einmal gegen die Tischkante.
„Da war ein Brief für dich in der Post“, wechselte sie nach einer Weile Schweigen das Thema.
Überrascht wandte Chris sich um. Seine Schwester hatte sich über den Tisch gebeugt und hielt einen Briefumschlag mit goldenen Rändern in der Hand. Auffordernd blickte Tamara Chris an. Dieser nahm den Brief an sich und betrachtete sofort den Absender.
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Ein kalter Schauer lief seinen Rücke hinab. Er riss den Umschlag auf und zog den Brief hinaus. Dieser war in feiner Handschrift geschrieben und an den Seiten mit einer Blumenzeichnung verziert. Der Inhalt sprach von einem Jahrgangstreffen und der Verfasser lud Chris ganz herzlich dazu ein. Unterschrieben hatte Dr. Schäper, die Direktorin der Einrichtung.
Chris starrte den Brief lange an.
„Was steht drin?“, hakte Tamara neugierig nach.
Chris antwortete nicht. Stattdessen zerriss er den Brief in kleine Schnipsel und ließ dieser in seiner Hand in Flammen aufgehen. Tamara sprang erschrocken auf.
„Himmel, was ist in dich gefahren!“
Asche rieselte auf die Küchenfliesen. Chris schob sie achtlos mit dem Fuß zur Seite. Erst nach einer Weile fragte Tamara nach:
„Was stand denn drin?“
„War eine Einladung zu einem Jahrgangstreffen.“
„Und du willst da nicht hin.“
Chris, der weiterhin auf die Reste der Asche blickte, nickte.
„Warum sollte ich?“, murmelte er.
„Du könntest deine alten Freunde wiedersehen.“
Langsam hob Chris den Blick. Er versuchte zu lächeln, doch es führte sich gequält an.
„Frage ist, ob sie mich wiedersehen wollen.“
Darauf hatte Tamara keine direkte Antwort.
„Bist du dir sicher?“
„Tamara, nach dem, was auf dem Abschlussball passiert ist, bin ich die letzte Person, die sich dort wieder blicken lassen sollte.“
Er nippte an seinem Kaffee. Mittlerweile war das Getränk lauwarm, Tamara legte fragend den Kopf schief.
„Du hast mir nie erzählt, was genau passiert ist.“
„Wenn du älter bist.“
„Hey, ich stehe kurz vor meinem Abschluss.“
In diesem Fall war der Begriff ‚kurz‘ dehnbar gewählt. Tamara musste noch mindestens ein Jahr die Schule besuchen, bevor sie den Abschluss überhaupt in Betracht ziehen konnte. Aber darauf ging Chris jetzt nicht ein.
„Ich gehe ins Bett“, sagte er stattdessen.
Mit seiner Tasse in der Hand ging er an Tamara vorbei. Doch sie griff seinen Arm und hielt ihn fest.
„Kann ich dich noch kurz umarmen? Einfach so. Ich brauche etwas brüderliche Liebe.“
„Auch lang.“
So standen die Geschwister mehrere Minuten da und umarmten sich. Danach ging jeder in sein Zimmer.