Читать книгу Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende - J. H. Praßl - Страница 28
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Worte … zu viele von ihnen. Um zu überzeugen, Verständnis zu wecken, Brücken zu schlagen. Viel zu oft geredet, viel zu oft versucht. Ich bin der Worte so müde, meiner Sprache so überdrüssig. Tagein, tagaus rede ich, doch egal wie sehr ich mich bemühe, meine Worte trägt der Wind hinfort. Nichts ändert sich je wirklich durch sie.
Taten … die vielgepriesenen, oft gelobten. Wohin haben sie mich gebracht? Ich führte das zweite Bataillon in die Wüste, wo es elendiglich verreckte. Hat es etwas zum Besseren verändert? Nein. Verändern tu nur ich mich, ja sogar mit beängstigender Geschwindigkeit. Menschliche Sichtweisen bewegen mich. Als Elfe sollte ich den Lauf der Dinge in der Natur, im Alleinen sehen, zur Kenntnis nehmen und meinen Weg fortsetzen. Fressen und gefressen werden, dem Weltgeist seinen Willen, der Natur ihren Lauf lassen. Doch ich bin so voller Zorn, irrational, einer Elfe nicht zustehend. Und doch, ich kann nicht anders. Ich erkenne nun, wohin mich mein Weg führt. Um ein Volk, das so anders ist als das meine, zu verstehen, muss ich wie dieses Volk denken können. Bin ich deshalb keine Elfe mehr? Vielmehr bin ich die, die neue Wege beschreitet: Hüterin der Waldesstille, Jägerin, Pfadfinderin … es fügt sich. In Zeiten des Wandels, so wie wir sie nun erleben, ist der Stillstand unser Untergang. Wenigstens in diesem Punkt hatte Lask Cisch recht. Wenn mein Volk sich noch länger im geistigen Unterholz seiner Wälder verkriecht, wird es hilflos mitansehen müssen, wie Baum um Baum niedergebrannt wird. Ich werde den Untergang nicht wehklagend mitansehen. Wenn es in meiner Macht steht, werde ich mein Äußerstes geben, um mir, meinem Volk, den Menschen neue Wege aufzuzeigen.
(Aus dem Tagebuch von Siralen Befendiku Issirimen, 349 nGF)
Irwin saß auf der untersten Stufe der Treppe, die von der Steuermannskajüte zum Korridor mit den Kajüten ein Deck tiefer führte, und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Seit seiner Begegnung mit Chara fühlte er sich irgendwie nicht besonders. Er hatte keine körperlichen Beschwerden, das nicht. Aber irgendwo rumorte es … in seinem Bauch. So fühlte es sich wenigstens an. Es passte ihm nicht, was Darcean und Siralen vorhatten. Er wusste bloß nicht, warum. Es ging ihn ja eigentlich nichts an. Er wollte auch gar nicht, dass es ihn etwas anging. Alles, was das Kommando dachte, plante, tat, interessierte ihn eigentlich nicht. Das war alles viel zu belastend für einen Künstler, der darauf zu warten hatte, dass die kreative Welle über ihn kam und ihn davontrug – in eine andere Dimension. Eine Welle, auf der nur er ritt, die nur von ihm geritten werden konnte, die er so richtig reiten würde, weil sie die wahre, die einzige war, die … Wieso dachte er jetzt an Marion, die schöne Blonde von gestern Nacht?
Er räusperte sich. Immerhin war er ein Profi und kein träumender Narr. Der Punkt war, dass ihn die werten Damen vom Expedkom aus ihren Problemen raushalten sollten. Er hatte nur einer einzigen Dame gegenüber Verpflichtungen – der Muse. Davon abgesehen war er ein brillanter Berater in Sachen Propaganda, und ein bisschen in Sachen Militärisches … Und als solcher brachte man ihm sowieso viel zu wenig Respekt entgegen.
Und trotzdem, irgendetwas störte ihn. Jetzt, wo er dem Brigadier Ragna MacGythrun nicht länger verpflichtet war, fühlte er sich von anderen Dingen in die Pflicht genommen. Es lag an dieser Göttin des Todes. Dabei hatte sie vor kurzem noch die Hand an seiner Kehle gehabt und ihm eben genau damit gedroht – dem Tod. Aber sie hatte auch etwas … sie war … so rabiat! Eine Naturgewalt. Ja, das war sie. Sie war eben das Sandkorn. Nein, das war es nicht. Es war etwas anderes. Irwin fühlte sich in der Gegenwart der Flok einfach sicher. Und wenn sie nichts mehr zu sagen hatte, war es um seinen Schutz geschehen. Irgendetwas sagte ihm, dass er Chara nicht egal war. Und sie war ihm nicht egal. Genau darum … darum saß er hier und fühlte sich elend. Allerdings warnte ihn sein Instinkt davor sich einzumischen. Er würde sich in Gefahr bringen, ganz sicher sogar. Das wollte er nicht. Wäre ja noch schöner.
Ein Luftzug streifte seine Wange, als würde jemand an ihm vorbei die Treppe verlassen, auf deren unterster Stufe er saß. Irwin spähte in den Korridor, sah aber niemanden, abgesehen von den beiden tätowierten Muskelbergen vor Charas Kajüte. Litt er jetzt schon an Wahnvorstellungen? Wäre ja gar nicht so abwegig, wenn man bedachte, was er alles durchmachen hatte müssen.
Er wollte sich gerade wieder zurücklehnen, da vernahm er ein unwilliges Grunzen und einen dumpfen Schlag. Alarmiert stand er auf. Doch er sah nur, wie einer von Charas Leibwachen seine Stabkeule zurückzog und der andere nach etwas vor ihm auf dem Boden griff. Nur, da war nichts. Nicht, dass Irwin ernsthaft damit gerechnet hätte, diese Wilden hätten alle Humpen im Schrank …
Was, bei allen guten Geigern? Leise zog er sich zurück auf die Treppe und linste vorsichtig um die Ecke. Dort, wo vorher nichts als Luft war, begann sich plötzlich eine Gestalt zu materialisieren. Sie lag auf dem Boden vor Charas Tür, als hätten ihre Beine ganz plötzlich nachgegeben. Wahrscheinlicher war, dass sie die Stabkeule getroffen hatte, die der Wilde Nummer Eins noch immer zum Schlag erhoben hatte.
Darcean … Der Elf, der ihm, Irwin MacOsborn, nicht den ihm gebührenden Respekt entgegenbrachte, setzte sich stöhnend auf und tastete nach seinem Kopf. Noch während er damit beschäftigt war, zu begreifen, dass die Situation, in der er sich befand, einiges zu wünschen übrigließ, donnerte der Wilde, der ihn zu Boden geschlagen hatte, mit der Faust gegen Charas Kajütentür.
„Zweiauge!“, knurrte er.
„Kann rein!“, drang Charas Stimme nach draußen.
„Ga!“, bekam sie als Antwort. Und dann folgte irgendein unverständlicher Wortschwall.
Die Tür flog auf, und Chara erschien auf der Bildfläche. Irwin schluckte und fühlte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. Na klar tat sie das, immerhin trug die Flok nur ein schwarzes Tuch um die Hüften und ein Unterhemd, durch das man ihre prallen Brüste mehr als nur erahnen konnte. Das Blut wich aus seinem Kopf in tiefere Regionen. Und wäre es nicht die Flok gewesen, und wäre die Situation nicht dermaßen unpassend gewesen, und wäre er nicht einigermaßen verwirrt angesichts des gerade in Erscheinung getretenen Elfen auf dem Boden, er hätte einen richtig guten Spruch losgelassen. Und so die Flok davon überzeugt, ihm ihre Früchte darzubieten. Leider blieb ihm der im Halse stecken, als Chara irgendwo einen Dolch hervorzauberte und vor Darcean in die Hocke ging. Sie würde doch nicht … Nein, das würde sie nicht.
Die Klingenspitze wanderte zu Darceans Hals, wo sie wie eine Ballerina eine Pirouette drehte und zum Stillstand kam.
„Na, sieh mal einer an. Siralens Berater schleicht vor meiner Tür herum und macht sich dafür auch noch unsichtbar. Was soll ich denn davon halten?“
Darcean antwortete nicht. Wahrscheinlich hatte es ihm ebenfalls die Sprache verschlagen.
„Od!“, knurrte der Leibwächter und nickte in Richtung eines hellen Flecks, der sich auf der Türschwelle abzeichnete. Chara griff danach, ohne den Dolch zurückzuziehen. Sie faltete das Pergamentstück mit Zeigefinger und Daumen auseinander und las.
„Ist das eine Nachricht von deinen neuen Verbündeten?“, fragte Darcean, und Zorn schwang in seiner sonst so nüchternen Stimme mit.
Chara verzog keine Miene. „Das wird sich zeigen.“ Die Antwort war seltsam, wenn man bedachte, dass sie es eigentlich wissen müsste. Es sei denn der Verfasser blieb anonym. Auch denkbar. Hier auf der Meerjungfrau passierte alles Mögliche, mit dem keiner rechnete. Das hatte Irwin in der kurzen Zeit, die er nun auf dem Kommandoschiff war, gelernt.
„Was dachtest du denn, vor meiner Kajüte zu finden?“, wandte sie sich wieder dem Elfen zu.
„Etwas in der Art, wie du es gerade in Händen hältst, möglicherweise. Vielleicht wollte ich auch nur ein klein wenig spionieren. Immerhin scheinst du öfter Mal Besuch zu bekommen, den du penibel vor uns geheim hältst.“
„Das Spionieren ist nicht dein Ding, Darcean. Lass es lieber.“
Chara zog das Messer zurück und ließ es unter ihrem Hüfttuch verschwinden, wo sich, allem Anschein nach, ein Halfter befand. Auch wenn Irwin sich fragte, wo genau dieses sitzen sollte.
„Waka ki!“, befahl sie und stand auf. „Lassen wir ihn gehen.“
Unerwartet gewandt kam Darcean auf die Beine. „Du riskierst das Vertrauen jener Leute, auf deren Hilfe du angewiesen bist, Chara“, sagte er und zupfte sich seine graue Tunika gerade. „Du solltest mit offenen Karten spielen. Siralen hält viel von dir. Sie will sich nicht gegen dich stellen müssen.“
„Dann soll sie es bleiben lassen“, kam es schnörkellos zurück. „Ich habe euch Zeit gegeben, über meinen Vorschlag nachzudenken. Danach tue ich, was ich für richtig halte, und ihr tut, was ihr für richtig haltet.“ Damit wandte sie sich ab und verschwand in ihrer Kajüte.
Ein leises Knurren erklang, als einer der beiden Goygoa erneut seine Stabkeule hob. War wahrscheinlich seine Art, dem Elfen zu sagen, dass das Gespräch zu Ende war.
Irwin kicherte leise, obwohl es im Grunde nichts zu kichern gab. Aber naja … der Elf, der ihn behandelte wie einen Anfänger, war gerade ganz schön aufgeflogen. Nicht, dass er es ihm gönnte. Aber jetzt, da die Gefahr gebannt war, fühlte Irwin sich besser als noch vor ein paar Augenblicken. Er war nicht länger in vertrackten Gedanken gefangen, und das fühlte sich richtiggehend befreiend an. Jetzt hatte Chara zumindest einen Hinweis darauf, dass Siralen und Darcean ihr eigenes Süppchen kochten. Und damit war er selbst fein raus.
Dann konnte er sich jetzt ja getrost der Frage widmen, wo genau die Flok den Hüftgurt für ihren Dolch unter ihrem schwarzen Röckchen trug.
„Du möchtest also eine Nacht mit mir verbringen.“ Charas linker Mundwinkel ging nach oben, als sie das Hauptdeck betrat, und dort, im Schatten des Hauptmasts, genau jener Person begegnete, mit der sie gerechnet hatte. „Das hättest du einfacher haben können, Siralen.“ Sie trat auf die Elfe zu, streckte die Hand aus und hielt ihr das Pergamentstück vor die Nase.
Siralen atmete aus, und ihre Schultern sackten nach unten. Sie wirkte müde, müder noch als nach der Schlacht gegen die Scorpios. Antwort hatte sie auch keine parat.
„Du dachtest wohl, du appellierst einfach mal an meine Eitelkeit. Dabei solltest du wissen, dass die eines der wenigen Laster ist, die man mir nicht anrechnen kann.“
Als Siralen immer noch nichts sagte, schnippte Chara das Pergamentröllchen über die Reling. „Ich liefere Euch weitere Verräter, wenn Ihr im Gegenzug eine Nacht mit mir verbringt. Wenn Ihr interessiert seid, trefft mich bei Sonnenuntergang am Achterdeck …“ Chara nickte langsam. „Knapp und direkt, und damit gar nicht mal so schlecht. Blöd nur, dass mein Kontaktmann erstens keinerlei Interesse an ein bisschen Mit-Mir-Rummachen hätte – der hat andere Sorgen – und dass er zweitens die persönliche Anrede vorzieht. Deine Idee?“
„Der Text kam von mir.“
„Und Darcean?“
„Wollte dir die Nachricht heimlich zukommen lassen, wie du gewiss bereits weißt.“
„Stimmt. Und wieso das Ganze?“
Siralen strich sich eine lose Strähne aus dem Gesicht, wandte sich ab und trat an die Reling. „Ach, Chara …“, flüsterte sie. „Die Dinge entgleiten uns. Siehst du das denn nicht? Du denkst, wir hätten keinen Ausweg, und müssten mit Chaosanhängern zusammenarbeiten. Und das Furchtbare daran ist, dass du das nicht nur denkst, du bist auch bereit, es über die Köpfe derjenigen hinweg durchzusetzen, die auf dich zählen und auf die du zählen kannst. Und du musst auf uns zählen, wenn du diese Mission zum Erfolg führen möchtest.“
Sie drehte sich wieder zu ihr um und sah ihr in die Augen. „Wir mussten versuchen, dir deinen Vertrauensbruch und die Konsequenzen desselben vor Augen zu führen …“
„Was hättet ihr denn getan, wenn ich von deiner Anwesenheit hier oben überrascht gewesen wäre?“, unterbrach Chara Siralens Sermon.
Siralen zuckte mit den Schultern. „Nun, zunächst wäre es ein Hinweis darauf, dass du mit jemand anderem gerechnet hattest, nämlich einem Dragatisten. Was wiederum ein Beweis dafür gewesen wäre, dass du genauso weitermachst, wie du es für richtig hältst, egal, was Darcean und ich davon halten. Kurz, dein vermeintliches Angebot, wir könnten uns entscheiden und mitbestimmen, ist vielmehr ein Ultimatum. Entweder seid ihr für mich, oder ich ziehe die Sache alleine durch. Das ist es, was du tatsächlich gemeint hast. Was im Übrigen typisch für dich ist. Du hattest nie vor, unserer Stimme irgendein Gewicht beizumessen. Du tust, was immer du tun willst.“
„Weil ich weiß, was diese Mission braucht.“ Chara trat neben Siralen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Reling. „Und hier hast du also darauf gewartet, dass ich in eure Falle tappe. Gehofft, dass ich auf’s Achterdeck komme, um meinen vermeintlichen Kontaktmann zu treffen.“
„Ich will, dass du begreifst …“
„Du wirst mir genauso wenig etwas begreiflich machen wie Thorn, Telos, Lucretia … Ich weiß, was ich tue, auch wenn alle denken, ich wüsste es nicht. Und mein Angebot steht. Entweder helft ihr mir dabei, den bestmöglichen Weg zu finden, die Dragatisten in die Allianz zu integrieren und damit die Verräter von Chaosbündnisseite zu eliminieren, oder ich regle die Dinge auf meine Art.“
„Und dies ist die Stimme des Diktats.“
„Nein, es ist die Stimme der Internen Sicherheit. Und wenn ich mich nicht irre, ist das Verräter-Problem eine Angelegenheit ebendieser.“
Kerrim tauchte wie ein kaum wahrnehmbarer Schatten aus der Luke zu den Mannschaftsunterkünften. Chara sah ihn nur, weil seine Gegenwart gewöhnlich ein seltsam vertrautes Gefühl in ihr auslöste. Musste an der Blutsbruderschaft liegen, die mittels Magie zu einer endgültigen Sache gemacht worden war.
Der Bruder näherte sich ihnen nicht. Er schlenderte scheinbar arglos übers Hauptdeck und warf dem zweiten Maat in der Takelage eine Grimasse zu. Was auch immer er damit sagen wollte … fest stand, dass seine Ohren so spitz waren wie die einer Fledermaus. Und dass er ganz erpicht darauf war, jedes Wort mitzubekommen, das hier an der Reling gesprochen wurde.
„Denkt nochmal darüber nach, was es bedeuten würde, das Wissen der Dragatisten zu nutzen“, kam sie zum Thema zurück. „Du und Darcean … ihr beide seid wichtig. Als Vorbilder für andere, insbesondere die Elfen, als Ausgleich für mich in diesem Kommando. Wenn ihr eine Alternative für unser Verräterproblem habt, bin ich die erste, die euch dabei hilft, die Sache anzugehen. Aber wenn nicht …“
„Wir können dir nicht mehr vertrauen, Chara, verstehst du das denn nicht?“ Siralen warf den Kopf zurück, dass ihr die Silbersträhnen wie fließende Seide in den Nacken fielen. Dann atmete sie durch. „Ich spreche noch einmal mit Darcean. Er steht deinem Ansuchen einen Akzent wohlwollender gegenüber als ich. Wenn er dafür stimmt, dann bin auch ich auf deiner Seite. Aber es wäre der blanke Wahnsinn. So, nun muss ich allerdings noch jemanden empfangen.“ Damit ließ sie Chara mit sich alleine und trabte Richtung Kapitänskajüte davon.
Kaum, dass Siralen verschwunden war, stand Kerrim neben ihr.
„Ja?“, forderte Chara ihn zum Sprechen auf.
„Nur dass du dich wieder ainmal bewegest auf seher dünnem Ais, Schwesterchen.“
„Du meinst, es wird langsam eng auf der Meerjungfrau.“
Er zuckte mit den Schultern. „Noch ist es nicht ganż so ħaikel, würde ich sagen. Alles kħain Problem. Aber es kħönnte werden demnächst ain bisschen ungemütlich, ja.“ Ein Grinsen, dann ließ er seine Hände in den Taschen seines dünnen Mantels verschwinden. „Was auch immer, du kħannst auf jeden Fall żählen auf mich, wie du waißt. Aber Lindawen …“
„Werde ich einweihen.“
„Daine Entschaidung. Ich ħoffe, dass er am Ende ist auf unserer Saite. Ich möchte ihn auf kħainen Fall ħaben als Gegner.“
Chara musterte das Gesicht ihres Bruders. „Verstehe. Würde mir auch nicht gefallen. Sonst alles in Ordnung?“
Kerrim verlagerte das Gewicht auf das andere Bein. „Wieso fragest du?“
„Nur so. Du wirkst ein bisschen neben dir.“
„Was ich?“
„Nein, Al’Jebal …“
„Mach kħaine Witże über den Namai.“
„Dein Namai, mein Auftraggeber.“
„Daran werde ich mich nicht ainmal gewöhnen in ħundert Jahren.“ Er trat von der Reling zurück. Offenbar hatte er fertig geredet. War zu erwarten gewesen. Kerrim redete nicht gerne über sich. Er redete überhaupt nicht über Privates, wenn er einen Ausweg sah. Nur einmal hatte er ausgepackt und ihr von seinen Anfängen als Al’Jebals Hatschmaschin erzählt. Das hatte Chara auf eine einzigartige Weise berührt, auch wenn es vordergründig um einen eitrigen Zehennagel gegangen war. Im Grunde wusste sie aber, dass der Hatschmaschin, der keine Skrupel kannte, wenn es um die Erfüllung seiner Pflichten ging, keinerlei Nähe zuließ, egal ob Bruder und Schwester oder nur Kollege. Und das, warum auch immer, störte sie.
„Gute Nacht, Kerrim.“
Er drehte sich um und fixierte sie mit seinen dunkelbraunen Augen. „Schlaf schön, Schwesterchen.“
Schlafen. Genau das wollte sie jetzt. So sehr, dass ihr Körper bei dem Gedanken daran schmerzte.
Nach ihrem Gespräch mit Chara hatte sich Siralen in die leere Kapitänskajüte zurückgezogen. Tauron war, wie erwartet, noch nicht zurück von seinem Dienst. Sie hingegen nutzte die Zeit, um einen Anwärter auf den Posten des Adjutanten zu empfangen. Es war wohl Ironie, dass ausgerechnet sie, eine Kommandantin aus dem Volk der Elfen, welches von sich selbst dachte, über den Menschen zu stehen, auf der Suche nach einem menschlichen Ratgeber war. Und das, nachdem sie einst verzweifelt nach einem würdigen Stellvertreter gesucht und diesen auch gefunden hatte. Doch der hatte sich leider von ihr abgewandt, weil sie, so die fadenscheinige Begründung, zu vermenschlicht war, während ihr jetziger Stellvertreter ewig dazu überredet hatte werden müssen, den Posten anzunehmen, weil er mit dem Menschen im Kommando nicht zurechtkam. Nur um jetzt, da er endlich an ihrer Seite stand und kämpfte, von einem Slarpon okkupiert zu werden, wegen der Erbärmlichkeit eines Barden, der nur Dummheiten im Kopf hatte.
Es klopfte, und Siralen richtete sich auf dem Stuhl hinter Taurons Schreibtisch auf.
„Tretet ein!“
Die Tür öffnete sich zögernd, und auf der Schwelle stand ein Mann mit dunkelblondem Haar. Kaum der viel erwähnten menschlichen Pubertät entflohen, aber von deutlich reiferen Zügen als es der erste Eindruck vermuten ließe. Seine Statur wirkte beinahe etwas schmächtig für einen Soldaten, aber die Proportionen harmonierten.
„Orsen Talbot von der sechsten Kompanie des zweiten Bataillons“, gab er bekannt. Siralen winkte ihn zu sich. Er schloss die Tür gewissenhaft und trat an den Schreibtisch heran. Sie musterte ihn schweigend und wartete darauf, dass er die rechten ersten Worte fand. Was möglicherweise nicht gerecht war, aber auch nicht schaden konnte.
„Ihr habt nach einem Adjutanten verlangt.“ Er hob das glattrasierte Kinn ein Stück und nahm Haltung an. „Hier bin ich also.“
Selbstbewusst genug für sein Alter, aber noch weit davon entfernt, erwachsen genug zu sein, um über den Dingen zu stehen.
„Ihr seid einer der wenigen Überlebenden der Schlacht gegen die Scorpios?“
„Richtig.“
„Warum wollt Ihr diesen Posten?“
„Ich möchte so viel wie möglich zum Gelingen dieser Mission beitragen.“
Siralen unterdrückte ein Gähnen. „Lasst es mich anders formulieren: Warum wollt Ihr einer elflischen Befehlshaberin dienen?“
Jetzt wirkte Talbot fast peinlich berührt.
„Ich …“ Er straffte seine Schultern. „Ich bin nicht damit einverstanden, was meine Kameraden gegen Euch angezettelt haben oder über Euch und Euer Volk denken.“
„Was denken sie denn?“ Als ob sie das nicht wüsste.
Ein leises Räuspern. „Nun, sie denken, Euer Volk sei ungeeignet, um Soldaten zu befehligen. Besonders solche menschlichen Bluts. Die Elfen seien zu wenig kriegerisch … Ihr versteht?“
„Was hätte ich, Eurer Meinung nach, an Euren Worten missverstehen können?“
„Vergebung.“ Er senkte den Kopf, hob ihn aber rasch wieder.
„Ich halte diese Einstellung für dumm und kurzsichtig. Außerdem schadet sie dem Grundgedanken, für den wir in diesem Krieg kämpfen.“
„Und der wäre?“
„Einheit und Frieden für alle, die auf Seiten der Ordnung stehen.“
Siralen nickte und stand auf. „Wie könntet Ihr mir als Adjutant behilflich sein?“
Jetzt sah er ihr aufrecht ins Gesicht, und sie meinte etwas zu erkennen, das mehr war als bloßer Gehorsam. Orsen Talbot sah aus, als hätte er ein persönliches Interesse an diesem Posten. Welches, das war nicht auszumachen.
„Ich würde Euch, soweit es in meiner Macht steht, beratend zur Seite stehen. Ich kenne meine Kameraden. Ich weiß, was menschliche Soldaten antreibt, worauf sie Wert legen, was sie brauchen, um Befehle zu befolgen.“
„Mir wäre es lieber, sie würden mir freiwillig folgen als durch bloßen Gehorsam.“
Ein halbherziges Lächeln, dann nahm er wieder Haltung an. „Verzeiht, dass ich offen spreche, Kommandantin, aber genau das ist Euer Problem. Damit sie Euch folgen, müssen sie Euch respektieren, und dafür müsst Ihr Härte zeigen, die auf einer soliden Basis ruht.“
„Und worin mag eine solche solide Basis bestehen, Herr Talbot?“
„Ihr müsst Euch selbst gegenüber Härte beweisen. Ihr müsst Euer Leben riskieren und kämpfen. So wie in der Schlacht gegen die Scorpios.“
Siralen strich sich die Haare zurück und trat hinter dem Schreibtisch hervor. „Ich verstehe.“
Talbot presste die Hände an seinen Körper und hob erneut das Kinn. Offenbar hatte er nichts weiter zu sagen. Und augenscheinlich war ihm irgendetwas unangenehm, denn seine Wangen erröteten leicht.
„Ist alles in Ordnung?“
„Ja … Nein, um ehrlich zu sein, nicht.“ Er straffte sich, schien nach den rechten Worten zu suchen.
„Ich hatte von den Plänen des Brigadiers Ragna MacGythrun gehört“, sagte er so leise, dass sie sich nach vorne beugen musste, um ihn zu verstehen. Dann festigte sich seine Stimme. „Ich ahnte, was passieren würde, und habe Euch nicht gewarnt. Das wäre meine Pflicht gewesen. Es tut mir leid.“
Siralen musterte ihn, seine plötzlich unsichere Haltung, das gequälte Gesicht … die Jungenhaftigkeit, die den erwachsenen Soldaten unkenntlich machte.
„Nun, jetzt seid Ihr hier, um diesen Fehler wieder gut zu machen. Das habt Ihr allen anderen, die davon wussten, voraus, oder nicht?“
„Wenn Ihr es so sagt …“
„Dann freue ich mich, Euch als meinen Adjutanten zu haben. Ich werde das Kommando morgen von Eurem Amtsantritt in Kenntnis setzen.“
Er salutierte. „Vielen Dank. Ich werde mich des Postens würdig erweisen.“
„Davon gehe ich aus. Ihr könnt wegtreten.“
Als Orsen Talbot gegangen war, löste Siralen träge den Webgürtel von ihren Hüften, schälte sich aus ihrer Tunika und den Wildlederbeinlingen und schlüpfte in das Nachthemd, das ihr in weichen Falten den Körper hinabfiel. Tauron würde erst spät von seinen Pflichten zurückkehren. Dann eben alleine in den Schlaf gleiten.
Armer Orsen. Jetzt steckte der junge Krieger mit beiden Füßen im Morast zwischen den Fronten seiner Kameraden. Und es stand zu befürchten, dass ihre Gegner bei weitem mehr waren als ihre Befürworter. Es würde also nicht einfach für ihn werden. Orsen Talbot ein Freiwilliger … Einer, der sie unterstützen wollte. Ein zum Gehorsam verpflichteter Berater hätte auch keinen Sinn ergeben.
Wie auch immer, sie hatte endlich ihren Adjutanten – ein kleiner Lichtblick. Und dann war da ja auch noch der große Lichtblick. Bald würden sie und Tauron Hochzeit feiern. Sie wollten auf der Weiterfahrt um die Nordspitze des Kontinents nach einem geeigneten Ort dafür Ausschau halten. Der druidische Teil der Hochzeit sollte ja an Land stattfinden.
All das hob Siralens Stimmung. Da war nur eines, das sich vehement gegen das Hochgefühl sträubte. Chara … Der Vertrauensmissbrauch der Assassinin saß ihr wie ein Alb auf dem Herzen.
Seufzend schlüpfte Siralen unter die Bettdecke. Sie wollte gerade nach ihrem Tagebuch greifen, als ihre Hand erstarrte.
Ein Stück Pergament lag zusammengefaltet auf ihrem Nachttisch und neigte sich wie ein sterbendes Vögelchen zur Seite. Irgendetwas sagte Siralen, dass es sich dabei nicht um eine Nachricht Taurons handelte. Das Zittern, mit dem ihre Hand nach dem Pergamentschnipsel griff, wurde zum Zeugen dieser Befürchtung. Es war, als wäre die Dunkelheit der Nacht mit einem Mal auf ihre Schlafstatt gefallen. Während Siralen die Nachricht entfaltete, lauschte sie ihrem Herzschlag, der laut in ihren Ohren widerhallte. Dann begann sie zu lesen. Sie las die erste Zeile, die zweite, noch einmal die erste … und schloss resigniert die Augen. Ein Schauer der Angst und Scham lief ihr den Rücken hinab. Dann war sie also die nächste Zielperson.
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