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Home, Sweet Home

Arina

Boah, meine nächste Butze ist im Erdgeschoss! Mühsam habe ich meine Tauchtasche und den normalen Koffer in den vierten Stock unseres Wohnhauses geschleppt. In diesem deutlich in die Jahre gekommenen Wohnhaus ist unsere WG. Die Wohnung teile ich mir mit zwei anderen Mädchen. Sie sind recht nett. Aber Ordnungsliebe ist nicht ihre hervorstechendste Charaktereigenschaft. Deshalb bin ich gespannt, was mich erwartet, wenn ich gleich die Wohnungstür öffne. Sicherheitshalber wappne ich mich.

Uuuuuund? Vorsichtig schiebe ich die Tür auf. Ungläubig stoße ich sie auf. Wie sieht es denn hier aus??

Na, das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Es ist aufgeräumt. Die Schuhe stehen ordentlich im Regal. Keine Jacken, die auf dem Boden liegen. Vorsichtig gehe ich in die Wohnung. Die Küche ist gleich links vom Eingang. Die Tür ist nur angelehnt. Ich luge in den Raum. Keine Geschirrberge. Keine Pizzakartons. Unfassbar.

Was ist mit meinen Mitbewohnerinnen passiert? Haben Aliens der guten Sorte ihre Körper übernommen?

Mein Zimmer. Das ist hinten rechts am Ende des Flurs. Mucksmäuschenstill ist es in der Wohnung. Warum höre ich keine Musik aus den anderen Zimmern? Haben die Aliens sie entführt?

Ich stelle meine Taschen im Flur ab und öffne meine Zimmertür. Keine abgestandene Luft. Keine Fremden in meinem Bett. Kein Chaos.

Plötzlich springen zwei Mädchen hinter der Tür hervor.

„DU BIST ZURÜCK!!!!“

Jubelnd fallen sie mir um den Hals. Laut kreischen sie mir in die Ohren. In den nächsten Minuten versichern sie mir unüberhörbar, dass sie mich vermisst hätten.

Lachend verziehen wir uns in die Küche. Sie haben tatsächlich einen Kuchen gebacken. Bei dem und einem leckeren Kaffee quetschen sie mich über meinen Aufenthalt in Ägypten aus. Natürlich erhoffen sie sich Details über heiße Flirts mit Urlaubsgästen. Damit kann ich allerdings nicht dienen. Auf solche Sachen lasse ich mich nicht ein. Außerdem hat mehr als die Hälfte der flirtwilligen Kerle direkt mit dem NoGo-Spruch angefangen. Es gibt eine Anmache, bei der gehen bei mir direkt alle Schotten runter.

„Hat dir schon mal einer gesagt, was du für tolle Haare hast?“ Das ist die freundliche Version. Und ja, du Depp, das hat gefühlt die Mehrheit der männlichen Erdbevölkerung getan. Warum denkt sich nicht mal einer was Originelles aus?

„Hey Feuerkopf, wenn ich dich sehe, stehe ich sofort in Flammen.“ Das ist die nächste Eskalationsstufe.

Spätestens, wenn einer mit dem Spruch kommt: „Hast du überall rote Haare?“ ist definitiv Schluss.

Es mag sein, dass ich in der Beziehung überempfindlich bin. Aber es ist eben so. Kerle, die mir so kommen, haben direkt verschissen. Das mag an meiner Vergangenheit liegen. Innerlich seufze ich.

Als ich 15 Jahre alt war, sind meine Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ich kam in eine Pflegefamilie. Die Pflegemutter war ja ganz nett, aber der Pflegevater wurde recht zügig zudringlich. Deswegen kam ich ins Heim. Die Jahre bis zu meiner Volljährigkeit waren nicht einfach. Erst aus einer intakten Familie heraus gerissen worden zu sein. Dann in meiner Trauer auch noch bedrängt zu werden. Und schließlich musste ich mich in einer gänzlich fremden Umgebung behaupten. Meine schulischen Leistungen machten mit 15 einen Knick, was jeder verstand. Sonst hätte ich wahrscheinlich ein Schuljahr übersprungen. Weniger habe ich verstanden, warum viele meiner bisherigen Freunde sich von mir distanzierten. Für einige war ich plötzlich zur „Unberührbaren“ geworden. Mit 16 kam ich in eine betreute Wohngruppe. Das war schon wesentlich besser. Ich habe mich regelrecht in meinen Büchern und Schulaufgaben vergraben. Meine sozialen Kontakte waren eh schon gering geworden. Also war das Teil meiner Trauerbewältigung. Durch eine Sondergenehmigung musste ich nicht raus aus der Wohngruppe, als ich im Januar 18 wurde. Ich durfte bis zu meinem Abi dort wohnen bleiben. Mein Abi war das Beste des Jahrgangs, das nur am Rande. Aber es gab weder Mutter noch Vater oder sonstige Angehörige, die das mit mir hätten feiern können.

Glücklicherweise hatten meine Eltern vorgesorgt. So konnte ich mit 18 mein WG-Zimmer beziehen. Meine Ablenkung waren erst die Schule und später mein Studium. Und alte Sportkollegen aus dem Tauchverein, in dem ich vor dem Tod meiner Eltern bereits Mitglied war. Einige Vereinskollegen haben mich zu Tauchgängen mitgenommen. Ich durfte kostenlos Mitglied sein. Meine Ausrüstung setzte sich aus Spenden zusammen. Die Hilfe meines Vereines vergelte ich heute durch kostenlose Tauchkurse, die ich abhalte. Die Einnahmen kommen komplett dem Verein zu Gute. Und der Sportwart ist selbst begeisterter Apnoetaucher. Er hat mich an diese Disziplin herangeführt. Der Sport wurde für mich neben der Schule zu einem guten Ventil.

Es war nicht immer leicht. Oft vermisse ich meine Eltern. Ihren Rat. Meine Gespräche mit meiner Mutter, die wir früher häufig geführt haben. Aber grundsätzlich versuche ich, positiv zu denken (außer bei blöden Anmachsprüchen). Durch meine Konzentration auf mein Studium bin ich heute in der glücklichen Lage, mein Bachelorstudium ein halbes Jahr vor der Regelstudienzeit beendet zu haben. Sogar mit Bestnoten. Das hat mir Anerkennung bei den Profs eingebracht. Ich hatte Ökologie und Biologie mit dem Schwerpunkt marine Ökosysteme belegt. Mein Masterstudium Meeresbiologie läuft gut. Neben den klassischen Themen Aquakultur und Marikultur habe ich meinen Schwerpunkt auf die Nutzung pflanzlicher Ressourcen bei der Gewinnung von Nahrung aus dem Meer gesetzt. Das Thema ist noch vergleichsweise wenig verbreitet. Ich sehe darin aber eine Zukunft. Für mich, aber auch für die Menschheit. Deswegen habe ich auch keine Probleme gehabt, ein Thema für meine Masterarbeit zu bekommen. Sie haben mir auch schon signalisiert, mich bei einer Promotion unterstützen zu wollen. Ich muss nur die Finanzierung in trockene Tücher kriegen. Die Rücklagen meiner Eltern sind weitgehend aufgebraucht. Meine Nebenjobs decken meine Lebenshaltungskosten. Aber großartig sparen geht nicht.

Nun ja. Noch habe ich etwas Zeit. Zuerst den Master, dann mal weitersehen.

Jetzt im Moment freue ich mich über meine Mitbewohnerinnen. Über ihren Empfang. Und über die aufgeräumte Wohnung.

Ach ja, sogar der Kühlschrank ist voll. Sie haben sogar einige meiner Lieblingsspeisen eingekauft. Manchmal kann man mit den Mitmenschen auch Glück haben.

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