Читать книгу Moderne Engel - J. Reiph - Страница 9

Оглавление

Die Ostsee hat mich wieder

Arina

Welch ein Unterschied. Grünliches, trübes Wasser mit maximal fünf Metern Sichtweite im Vergleich zu dem Roten Meer. Sieben Millimeter Neopren statt fünf. Mit Kapuze statt ohne. Aber wenigstens Wasser.

Ich habe ein Thema für meine Masterarbeit. Die Uni hat ein Projekt aufgelegt, wie man auch in unseren Breitengraden das Meer noch intensiver als Anbaufläche für ertragreiche Pflanzen nutzen kann. Dafür legen wir unterschiedliche Felder an. Verschiedene Substrate als Untergrund werden ebenso geprüft, wie verschiedene Algenarten. Sorgen macht uns die Sauerstoffarmut der Ostsee wegen deren Überdüngung. Gesponsert wird die Forschungsaufgabe von einem großen deutschen Konzern, der in diesem Segment Fuß fassen will. Mein Prof ist hellauf begeistert, den Zuschlag bekommen zu haben. Für mich und ein paar weitere Studenten fallen damit Masterthemen an, deren Finanzierung gesichert sind.

Jeder von uns hat eigene Felder, deren Überwachung uns obliegt. Regelmäßig fahren wir raus und messen, protokollieren und fotografieren. Heute ist Sonntag. Im doppelten Sinne. Es ist Sonntag und ein Sonnentag. Also beschließe ich, meinen klapperigen Kombi mit meiner Apnoeausrüstung zu beladen und einen Abstecher zu meinen Feldern zu machen. Ich will nicht das komplette Programm durchziehen, sondern nur mal nachsehen. Dazu muss ich kein großes Gerödel, also Trockentauchanzug, Tauchgerät und so weiter mitnehmen. Neoprenanzug, Gewichtsgurt, die Sicherheitsausstattung und ABC genügen. Natürlich wieder meine langen Apnoeflossen.

So fahre ich die Strecke zum Strandabschnitt, vor dem mein Feld liegt. Bojen kennzeichnen das Areal. Alleine bin ich heute nicht. Nebenan ist ein öffentlicher Badestrand. Mit vielen Besuchern, wie mir die Parksituation verrät.

Etwas weiter hinten finde ich einen Stellplatz für mich. Unter Knarzen gibt die Fahrertür dem Druck meiner Arme nach. Ich frage mich, wann die Tür komplett klemmt. Ach, hätte ich das Geld, würde ich mir einen Bus kaufen. Mit Standheizung. Ein Traum bei Wintertauchgängen.

Wenigstens lässt sich die Kofferraumklappe leicht öffnen. Ich ziehe meinen Neoprenanzug aus der Kunststoffwanne, in der ich bei Tauchgängen in heimischen Gefilden meine Ausrüstung transportiere. Anschließend lege ich meine Jeans und mein Shirt ab. Den Bikini habe ich schon zuhause angezogen. Eine Gruppe junger Männer kommt vorbei. Der von ihnen gezogene Bollerwagen deutet auf reichlich Getränke hin. Bestimmt nicht alle alkoholfrei. Einer trägt einen Ball, andere allerlei Strandkram. Ein erster anerkennender Pfiff. Dem folgen bald weitere aus der Gruppe. Ich habe es mir abgewöhnt, darauf in irgendeiner Weise zu reagieren. Weder lächele ich sie an und mache ihnen damit Mut, mich anzusprechen. Noch verziehe ich das Gesicht. Vielmehr widme ich mich der Aufgabe, den dicken Neo anzuziehen. Jedes Mal ein Wagnis für die Fingernägel. Lange oder aufgeklebte Nägel oder irgendwelchen Lack trage ich eh nicht. Das bringt nichts. Aber für einen dünnen Anzug ist das Wasser noch deutlich zu frisch. Schließlich gewinne ich den Kampf. Füßlinge. Messer an den Unterschenkel. Das Notatemgerät im Holster an den Oberschenkel. Der Gewichtsgurt um die Taille. Handschuhe unter den Gurt gestopft. Maske, Flossen, Schnorchel rausgelegt. Das Auto wird abgeschlossen. Der Schlüssel wandert in einen wasserdichten Beutel, den ich als Brustbeutel unter dem Anzug trage. Wäre doof, wenn er nass wird. Das Auto ist zwar alt, hat aber eine elektronische Wegfahrsperre. Ein im Salzwasser abgesoffener Schlüssel würde meinen Heimweg massiv verzögern. Alles schon dagewesen.

Durch die Dünen erreiche ich den Strand. Ich laufe zum Randbereich des öffentlichen Strands. Dahinter beginnt unser Forschungsareal. Auf dem Weg passiere ich den Hochsitz der Wasserwacht. Freundlich nicken wir uns beide zu. Vor ein paar Tagen haben wir uns kurz unterhalten, weil er wissen wollte, weswegen ich hier tauchen gehen würde.

An der Wasserlinie halte ich an. Ich stopfe meinen dicken Zopf unter die Kapuze und schließe meinen Anzug. Wie immer schaffen es einzelne Locken, sich wieder unter der Kapuze hervor zu mogeln. Egal. Ein paar Schritte weiter stehe ich oberschenkeltief im Wasser. Kräftig spucke ich in meine Maske. Es gibt nichts Besseres gegen beschlagene Tauchmaskengläser als ordentlich Tauchlehrerinnenspucke. Die wird verteilt und kurz ausgespült. Meine Maske setzte ich auf und kontrolliere ihren Sitz. Danach ziehe ich meine Handschuhe über. Mit den Flossen in der Hand wate ich weiter ins Wasser. Als es hüfttief ist lege ich mich auf das Wasser und ziehe meine Flossen über. Schnorchel in den Mund gesteckt und dann geht es los. Ich schwimme zur ersten Boje, die unser Areal markiert. Dort angekommen hole ich tief Luft und tauche ab. An dieser Stelle liegt das Feld auf acht Metern Tiefe. Aufmerksam betrachte ich die Fortschritte. Kontrolliere die Verankerung der Bojen. Immer weiter geht es hinaus. Ich merke, dass die Strömung ab fünf Metern Tiefe heute gut zieht. Aber sie geht parallel zum Ufer, also keine Gefahr, aufs Meer rausgezogen zu werden. Außerdem ist sie nicht so stark, dass ich mit meinen langen Flossen dagegen nicht ankäme.

An einer der äußeren Bojen halte ich mich etwas fest und ruhe mich aus. Mein Blick schweift über das Wasser.

Von links kommt ein Segelboot an. Ein kleines. Ich sehe vier Personen. Eines davon ein Kind. Alle ordnungsgemäß mit Schwimmwesten. Das Kind sitzt am Heck und schaut unentwegt auf das Wasser hinaus. Dabei spielen die Finger mit dem Verschluss seiner Weste. Die Erwachsenen scheinen sich gut zu unterhalten.

Von der anderen Seite höre ich das Aufheulen von Motoren. Ich drehe mich um. Tatsächlich kommen zwei Motorboote mit einem Affenzahn angeschossen. Die liefern sich ein Rennen. Spinnen die? So nahe am Badestrand?

In wilder Jagd rasen sie auf das Segelboot zu. Dessen Skipper beginnt zu winken. Auf den Motorbooten wird sich mit Bierflaschen in der Hand zugewunken. Alle Erwachsenen des Segelbootes winken inzwischen. Nur das Kind wirkt völlig unbeteiligt. Im Gegenteil, es beschäftigt sich intensiv mit seiner Schwimmweste.

Auf einem der Boote wird anscheinend der Gashebel auf Anschlag nach vorne geschoben. Es macht einen regelrechten Satz nach vorne und zieht dem zweiten Boot davon. Aber immer noch direkt auf das Segelboot zu.

Der junge Mann auf dem Segelboot ist aufgestanden und winkt mit beiden Armen. Der Führer des vorderen Motorbootes schaut nach vorne. Er erkennt, dass er dem Segelboot nahe gekommen ist. Vor Erschrecken steht ihm der Mund offen. Erst spät reagiert er und reißt das Steuer herum. Nur wenige Meter entfernt zischt er an dem Segelboot vorbei. In der Bug- und Heckwelle des ersten Motorbootes beginnt das Segelboot heftig zu schwanken. Der junge Mann hockt sich rasch hin. Dafür wird das Kind hin und her geschleudert. Das Segelboot krängt stark. Und dann passiert es. Das Kind geht über Bord. Der ältere Mann an der Ruderpinne versucht, es zu greifen. Vergebens.

Das zweite Motorboot ist herangejagt. Auch dessen Führer scheint den Ernst der Lage nicht zu begreifen. Sein Boot prescht auf der anderen Seite des Segelbootes vorbei. Die Wellen beider Motorboote kreuzen sich. Das Segelboot schlägt quer. Die höchste Heckwelle des zweiten Bootes trifft es in einem ungünstigen Moment. Das Segelboot neigt sich bedrohlich zur Seite. Die Erwachsenen werden zur Seite geschleudert. Das Segelboot kentert.

Von dem Kind ist nichts mehr zu sehen.

Moderne Engel

Подняться наверх