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a) Anforderungen an eine Ahndungslücke

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Im Kontext gesetzlicher Neuregelungen treten immer wieder Fehler des Gesetzgebers auf, die zu einer Ahndungslücke führen. Als Beispiel kann die Strafbarkeit der Marktmanipulation durch das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz genannt werden, bei der es zu einer eintägigen temporalen „Ahndungslücke“ gekommen ist, weil der deutsche Gesetzgeber die bisherigen Strafnormen der Marktmanipulation durch eine sonstige Täuschungshandlung bereits zum 2. Juli 2016 aufgehoben und außer Kraft gesetzt hat.[307] Zwar hat der Gesetzgeber die neuen Strafvorschriften bereits zum 2. Juli 2016, also gleichsam „nahtlos“ in Kraft gesetzt. Diese verwiesen auf die Vorschriften der MAR (Market Abuse Regulation) als blankettausfüllende Verhaltensnormen, die jedoch erst ab dem 3. Juli 2016 in Geltung traten, also erst einen Tag bzw. 24 Stunden später als die Außerkraftsetzung der alten die Strafbarkeit begründenden Normenkette. Hierbei handelte es sich offenbar um ein kurioses Versehen, zu dem es im Rahmen des komplexen Gesetzgebungsprozesses gekommen war.[308]

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Der 5. Strafsenat des BGH verneinte eine Ahndungslücke, obwohl die in Bezug genommenen unionsrechtlichen Regelungen erst seit dem 3. Juli 2016 in den Mitgliedstaaten der EU als unmittelbar geltendes Recht anwendbar seien. Die Verweisungen in den Strafgesetzen auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften am 2. Juli 2016 seien nicht „ins Leere“ gegangen. Vielmehr führten die Bezugnahmen in den Strafnormen dazu, dass die EU-rechtlichen Regelungen bereits vor ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit durch den Bundesgesetzgeber im Inland für (mit)anwendbar erklärt worden seien. Es sei der Wille des deutschen Normgebers ersichtlich, unionsrechtliche Vorschriften ungeachtet ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit im nationalen Recht in eine Blankettnorm aufzunehmen. Es sei daher nicht zweifelhaft, dass der Gesetzgeber eine lückenlose Ahndung von Marktmanipulationen und Insiderhandel erreichen wollte.[309]

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Diese Entscheidung ist erkennbar von dem Willen getragen, eine Ahndungslücke für die Dauer des 2. Juli 2016 zu verneinen. Allerdings ist zweifelhaft, ob dem nationalen Gesetzgeber das Recht zusteht, eine unionsrechtlich noch nicht geltende Norm über eine strafrechtliche Verweisung in Geltung zu setzen[310] und dadurch das intertemporale Strafrecht zu unterlaufen: Eine Ahndungslücke führt zur Straffreiheit. Mit dem Beginn der Strafbarkeitslücke greift das Milderungsgebot des § 2 Abs. 3 StGB ein und schließt eine Strafbarkeit ab diesem Zeitpunkt aus.

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