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I. Das Strafanwendungsrecht in Österreich

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Das österreichische Strafanwendungsrecht in den §§ 62 ff. öStGB ist mit seiner deutschen Entsprechung in den §§ 3 ff. StGB weitgehend vergleichbar. Gemeinsam ist beiden Regelungskomplexen zunächst, dass es sich hierbei jeweils nicht um Kollisionsrecht handelt.[264] Außerdem werden die gleichen völkerrechtlichen Prinzipien bemüht, um die Reichweite der nationalen Strafgewalt zu bestimmen und bei Sachverhalten mit Auslandsberührung den notwendigen legitimierenden Anknüpfungspunkt zu bezeichnen.[265] Wiederum wird schließlich die inländische Gerichtsbarkeit als objektive Bedingung der Strafbarkeit angesehen.[266]

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Das primäre völkerrechtliche Prinzip stellt auch im österreichischen Strafanwendungsrecht das Territorialitätsprinzip dar (§ 62 öStGB), das – wie in Deutschland – durch das Flaggenprinzip (§ 63 öStGB) ergänzt wird. Weitere völkerrechtliche Prinzipien, namentlich das Realprinzip (siehe z.B. § 64 Abs. 1 Z. 1 und 3 öStGB), das aktive (§ 64 Abs. 1 Z. 2a, Z. 4a, Z. 4b, Z. 9 und Z. 10 öStGB) wie passive Personalitätsprinzip (§ 64 Abs. 1 Z. 4a lit. a und Z. 7 öStGB), das Weltrechtsprinzip (§ 64 Abs. 1 Z. 1, Z. 5 und 6) sowie das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege (§ 64 Z. 5 lit. d, Z. 9 lit. f und Z. 10, § 65 Abs. 1 Z. 2 öStGB) werden in § 64 und § 65 öStGB aufgegriffen. Diese Vorschriften unterscheiden sich dadurch, dass § 64 öStGB anders als § 65 öStGB keine Strafbarkeit nach dem Recht des Tatorts voraussetzt. Im Groben lassen sich diese Regelungen und die darin zum Ausdruck kommenden Prinzipien mit den §§ 5, 6 StGB einerseits und mit § 7 StGB andererseits vergleichen. Stets setzt die Anwendbarkeit des nationalen Strafrechts – ebenso wie nach deutscher Rechtslage – zudem voraus, dass der jeweilige Straftatbestand nicht allein innerstaatliche Interessen schützt, was sich im Wege seiner Auslegung ergibt.[267]

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Ähnlich wie in § 5 StGB werden auch in § 64 öStGB die einzelnen völkerrechtlichen Prinzipien mitunter scheinbar nach Belieben kombiniert.[268] Insoweit darf vor allem auf § 64 Abs. 1 Z. 7 öStGB verwiesen werden, der sämtliche Auslandstaten eines Österreichers gegenüber einem Österreicher, sofern beide zum Zeitpunkt der Tat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten, der inländischen Gerichtsbarkeit unterwirft und somit eine Kombination aus passivem und aktivem Personalitätsprinzip wie Wohnsitz- und Domizilprinzip darstellt.[269] Generell lässt sich bei § 64 öStGB ein andauernder Wandel und eine stete Erweiterung beobachten, der internationalen Verpflichtungen Österreichs und deren Umsetzung geschuldet ist; hiermit gehen allerdings ein zunehmender Mangel an Systematisierung der Vorschrift und sich überschneidende Anwendungsbereiche einzelner Ziffern einher.[270]

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Sofern eine Auslandstat nicht von §§ 63, 64 öStGB erfasst ist, kommt – subsidiär[271] – eine Anwendung des österreichischen Strafrechts noch nach § 65 öStGB in Betracht. Während dessen Abs. 1 Z. 1 an die österreichische Staatsbürgerschaft des Täters anknüpft und sich daher auch als Ausprägung des aktiven Personalitätsprinzips begreifen lässt, liegt Abs. 1 Z. 2 das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege zugrunde.[272] Das passive Personalitätsprinzip greift § 65 öStGB – anders als § 7 Abs. 1 StGB – nicht auf. § 65 Abs. 1 öStGB setzt eine Strafbarkeit auch nach dem Recht des Tatorts voraus, d.h. die Tat muss im Ausland strafbar sein, ohne dass Rechtfertigungs-, Entschuldigungs-, Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe eingreifen.[273] Eine Ausnahme von diesem Prinzip der „identen Norm“[274] gilt gemäß § 65 Abs. 3 öStGB, wenn an dem Tatort keine Strafgewalt besteht; dann genügt allein die Strafbarkeit der Tat nach österreichischem Recht.

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Der Begehungsort einer Tat ergibt sich aus § 67 Abs. 2 öStGB. Danach ist eine Tat an jedem Ort begangen, an dem der Täter handelt oder hätte handeln sollen oder an dem der dem Tatbild entsprechende Erfolg eintritt oder nach Tätervorstellung hätte eintreten sollen. Ebenso wie durch § 9 Abs. 1 StGB werden somit Handlungs- und Erfolgstheorie kombiniert und bestimmt sich der Tatort demzufolge nach der Ubiquitätstheorie.[275] Für die Anwendbarkeit des österreichischen Strafrechts genügt hierbei die Belegenheit eines der beiden Orte im Inland, so dass auch grenzüberschreitende Distanzdelikte dem österreichischen Recht unterfallen.[276] Bei Transitdelikten wird hingegen ein Begehungsort nach § 67 Abs. 2 öStGB wegen des zu geringen Inlandsbezugs abgelehnt.[277]

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Um einen inländischen Handlungsort zu begründen, genügt es, nur einen Teil des deliktischen Verhaltens im Inland vorzunehmen, z.B. bei mehraktigen Delikten einen einzelne Teilakt oder bei Dauerdelikten eine einzelne Phase im Inland zu begehen.[278] Für den Erfolgsort reicht der Eintritt eines Teil- oder Zwischenerfolgs ebenso aus wie die Realisierung einer schweren Folge bei einer Erfolgsqualifikation nach § 7 Abs. 2 öStGB oder einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit.[279] Erfolg wird ähnlich wie in Deutschland als jedes von der Tathandlung abtrennbare, vom Tatbestand vorausgesetzte Ereignis in der Außenwelt verstanden, das zur Vollendung des gesamten Unrechts notwendig ist.[280]

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Einen Erfolgsort weisen neben Verletzungsdelikten auch konkrete Gefährdungsdelikte auf, bei denen der Erfolg in dem Eintritt der tatbestandlichen konkreten Gefahr besteht.[281] Demgegenüber stellt eine lediglich abstrakte Gefahr für das jeweils geschützte Rechtsgut nach wohl herrschender Ansicht in Österreich keinen Erfolg im Sinne des § 67 Abs. 2 öStGB dar.[282] Folglich bildet bei abstrakten (ebenso wie bei potentiellen) Gefährdungsdelikten der Handlungsort den einzigen Anknüpfungspunkt, um einen inländischen Tatort zu begründen.[283] Gleiches gilt für schlichte Tätigkeitsdelikte.[284]

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Bei mehreren Tatbeteiligten bestimmt sich der Tatort zunächst nach dem Ort der eigenen Handlung oder Unterlassung des jeweiligen Beteiligten, die demzufolge bei ein und derselben Tat unterschiedliche Tatorte aufweisen können.[285] Insoweit bleibt vorab zu bemerken, dass das österreichische Strafrecht in § 12 öStGB dem Einheitstätersystem folgt, so dass jeder Beteiligte an einer Tat, sei es der unmittelbare Ausführungstäter, der Bestimmungs- oder der Beitragstäter, als Täter anzusehen ist. Da § 67 öStGB auf den Täter abstellt, ist für jeden Beteiligten der Tatort gesondert zu bestimmen. Insbesondere kann nicht etwa der Tatort des unmittelbaren Ausführungstäters den anderen Beteiligten zugerechnet werden.[286] Bei einer Auslandstat des unmittelbaren Täters unterfällt daher jeder inländische Tatbeitrag eines sonstigen Täters, auch wenn er lediglich Bestimmungs- oder Beitragstäter ist, dem österreichischen Strafrecht,[287] und zwar unabhängig von dem ausländischen Tatortrecht.[288] Andererseits gilt für jeden im Ausland handelnden Beteiligten das österreichische Strafrecht, wenn der tatbestandliche Erfolg im Inland eintritt oder hätte eintreten sollen.[289]

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