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1. Begehungsort der Tat nach § 9 Abs. 1 StGB

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Auch bei dem Begehungsort der Tat gilt es, den völkerrechtlichen Charakter des Strafanwendungsrechts zu berücksichtigen. Ansonsten droht über den Umweg einer weiten Interpretation des § 9 StGB die Begrenzung durch das Territorialitätsprinzip bzw. das Erfordernis eines sonstigen Inlandsbezugs als „genuine link“ entwertet bzw. sogar aufgehoben zu werden. Dass solche Befürchtungen keine Schwarzmalerei sind, zeigen Überlegungen zur Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei Äußerungen im Internet (Rn. 88), die nahezu einer Allzuständigkeit der deutschen Rechtsprechung für sämtliche Kommunikationen im Internet das Wort redeten.

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Der Tätigkeitsort nach § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB befindet sich an jedem Ort, an dem der Täter eine auf die Verwirklichung des Tatbestands gerichtete Tätigkeit entfaltet, die zumindest das Versuchsstadium erreicht.[159] Vorbereitungshandlungen sind unbeachtlich, sofern sie nicht selbstständig mit Strafe bedroht sind.[160] Ebenso wenig erfasst sind Handlungen nach Beendigung der Tat.[161] Bei Dauerdelikten befindet sich der Handlungsort an jedem Ort, an dem ein Teilakt des Delikts ausgeführt wird.[162] Gleiches gilt bei mehraktigen Delikten.[163] Generell liegt eine Inlandstat bereits dann vor, wenn sie auch nur teilweise im Inland begangen wird.[164]

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Beim Erfolgsort gemäß § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB ist zunächst die einschränkende Beschreibung „zum Tatbestand gehörend[e]“ zu würdigen. Demnach genügt nicht jede beliebige Folge einer Tat, sondern bedarf es einer Auswirkung, die für die Tatbestandsverwirklichung erheblich ist.[165] Außertatbestandliche Folgen sind nicht erfasst.[166] Nach herrschender Meinung soll auch der Ort, an dem eine objektive Strafbarkeitsbedingung eintritt, einen Erfolgsort darstellen.[167] Schließlich zielt der jeweilige Straftatbestand gerade darauf ab, den Eintritt solcher Folgen zu vermeiden.[168] Dem wird allerdings entgegengehalten, dadurch die Funktion der objektiven Strafbarkeitsbedingungen als strafbarkeitsbegrenzendes Element nicht zu berücksichtigen.[169]

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Bei Unterlassungstaten liegt zunächst nach § 9 Abs. 1 Var. 2 StGB der Begehungsort an dem Ort, an dem der Täter im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Hierunter fällt unstreitig der Aufenthaltsort des Täters während seines Untätigbleibens, zudem nach verbreiteter Ansicht auch der sog. Vornahmeort, von dem aus der Täter den Erfolg hätte abwenden müssen.[170] Darüber hinaus bleibt als Begehungsort einer Unterlassungstat der sog. Erfolgsabwendungsort anzusehen, an dem der Erfolgseintritt hätte abgewendet werden müssen.[171]

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Konkrete Gefährdungsdelikte weisen ihren Erfolgsort dort auf, wo die tatbestandliche Gefahr begründet wird.[172] Kontrovers diskutiert wird hingegen die Behandlung abstrakter Gefährdungsdelikte; dieser Meinungsstreit erfährt eine zunehmende Bedeutung bei Äußerungsdelikten im Internet, die häufig gerade abstrakte oder abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte darstellen. Jedenfalls sofern es sich hierbei wie in der Regel um Tätigkeitsdelikte handelt, scheint es nahe zu liegen, einen Erfolgsort von vornherein abzulehnen, setzen Tätigkeitsdelikte doch nach ihrer tatbestandlichen Struktur keinen (Tat-)Erfolg voraus und erscheint die Annahme eines „zum Tatbestand gehörende(n)“ Erfolgs daher durchaus fraglich.[173] Zudem ist bei abstrakten Gefährdungsdelikten im Allgemeinen zu bedenken, dass die als Erfolg in Betracht kommende Gefährlichkeit der tatbestandlichen Tätigkeit lediglich das Motiv des Gesetzgebers für den Erlass der jeweiligen Strafvorschrift bildet, nicht jedoch ein Tatbestandsmerkmal.[174] Allenfalls wenn der jeweilige Tatbestand einen sog. Zwischenerfolg in Gestalt einer näher beschriebenen Wirkung (z.B. das Inbrandsetzen bei der Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 StGB) voraussetze, dem eine abstrakte Gefährlichkeit zugeschrieben wird, könne an dem Ort, an dem dieser Zwischenerfolg eintritt, ein Erfolgsort angenommen werden.[175]

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Diese sehr nahe an den einzelnen Tatbestandsmerkmalen orientierte Auslegung erscheint im Hinblick auf den Schutzzweck abstrakter Gefährdungsdelikte überdenkenswert. Schließlich wäre es jedenfalls kurios, dass die Entscheidung des Gesetzgebers für ein abstraktes Gefährdungsdelikt unter Verzicht auf eine konkrete Gefahr oder eine Verletzung des geschützten Rechtsguts als tatbestandlichen Erfolg bei Handlungen im Inland zu einer Ausweitung des Strafrechts führen würde, bei Handlungen im Ausland hingegen zu einer Einschränkung mangels Anwendbarkeit des nationalen Strafrechts wegen eines generell abzulehnenden Erfolgsorts führte.[176] Auch bei § 13 Abs. 1 StGB wird die mit § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB vergleichbare Formulierung „einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört“, nicht derart interpretiert, dass ein unechtes Unterlassen bei Tätigkeitsdelikten von vornherein ausgeschlossen ist.[177] Einiges spricht daher dafür, bei Tätigkeitsdelikten einen Erfolgsort nicht kategorisch abzulehnen. Als „Erfolg“ im Sinne des § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB ließe sich grundsätzlich diejenige (abstrakte) Gefahr begreifen, vor deren Realisierung der jeweilige Straftatbestand gerade schützen wollte. Ein Erfolgsort könnte demzufolge überall dort erwogen werden, wo sich diese Gefahr realisieren könnte[178] bzw. tatsächlich realisiert hat.[179] Allerdings bleibt zu berücksichtigen, dass ein Staat selbst nach dem Auswirkungsgrundsatz (Rn. 18) seine Strafgewalt nicht schon bei lediglich denkbaren Folgen beanspruchen kann. Notwendig sind vielmehr tatsächliche Beeinträchtigungen oder zumindest konkrete Gefährdungen des geschützten Rechtsguts. Daher bietet es sich an, für die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei abstrakten Gefährdungsdelikten ebenso eine (Verletzung oder zumindest) konkrete Gefährdung des jeweiligen Schutzguts zu fordern.[180] Abstrakten Gefährdungsdelikten einen Erfolgsort zuzugestehen, bedeutet somit nicht, für eine uferlose Anwendbarkeit des nationalen Strafrechts einzutreten.

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Hoheitliche Strafgewalt kann sowohl für die Unterbindung bestimmter Verhaltensweisen (Tätigkeitsprinzip) als auch für die Vermeidung unerwünschter Auswirkungen (Erfolgsprinzip) beansprucht werden. Daher können sog. Distanzdelikte, bei denen der Erfolg in einem anderen Staat eintritt als an demjenigen Ort, an dem die erfolgsursächliche Tätigkeit vorgenommen wird, die Anwendbarkeit des Strafrechts sämtlicher beteiligten Staaten begründen. Zur Illustration mag ein einfaches Beispiel dienen, in dem ein Täter im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Österreich von Deutschland aus einen tödlichen Schuss auf einen Spaziergänger in Österreich abgibt, der dort auf der Stelle verstirbt. In Fällen wie diesen kann sowohl der „Tätigkeitsstaat“, auf dessen Territorium das betreffende Verhalten stattfindet, als auch der „Erfolgsstaat“, auf dessen Gebiet die kausal herbeigeführte Gefahr oder Schädigung zu bemerken bleibt, seine Strafgewalt beanspruchen.[181]

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Eine der wachsenden Globalität sowie nicht zuletzt der zunehmend fortschreitenden Informations- und Kommunikationstechnologie geschuldete Entwicklung lässt zudem sog. multiterritoriale Delikte als Unterform der Distanzdelikte zum Alltag werden. Zu denken ist etwa an Medienerzeugnisse, die in mehreren Staaten zugleich publiziert werden (z.B. internationale Übertragungen von Sportwettbewerben und sonstigen kulturellen Ereignissen in Rundfunk und Fernsehen), bis hin zu sämtlichen frei zugänglichen Inhalten im Internet, die grundsätzlich weltweit abgerufen werden können. In solchen Konstellationen kann der Täter mit einer einzigen Handlung, etwa einer einzigen Äußerung von seinem Heimatstaat aus, einen Erfolgseintritt in einer Vielzahl fremder Staaten herbeiführen und dadurch entsprechend viele nationale Strafrechtsordnungen zugleich berühren.[182] Insbesondere bei Veröffentlichungen im Internet droht daher eine Mehrfachzuständigkeit zahlreicher Staaten und die Gefahr mehrfacher Strafverfolgung des Täters, die es nicht zuletzt im Hinblick auf eine ggf. unterschiedliche strafrechtliche Beurteilung des jeweiligen Verhaltens in den betroffenen Staaten kritisch zu hinterfragen gilt (Rn. 86 ff.).[183]

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Der durch ein bestimmtes Verhalten ausgelöste Kausalverlauf als solcher bildet keinen Anknüpfungspunkt für die nationale Staatsgewalt. Deshalb bieten sog. Transitdelikte, bei denen Tatobjekt oder Tatmittel auf ihrem Weg vom ausländischen Handlungs- zum ausländischen Erfolgsort das Inland durchqueren (z.B. bei einem in Österreich aufgegebenen, über Deutschland an den niederländischen Empfänger übermittelten Brief beleidigenden Inhalts), dem sog. Durchgangsstaat keinen Anknüpfungspunkt für seine hoheitliche Strafgewalt.[184] Etwas anderes gilt nur, wenn der Transport durch das Inland selbst eine Tathandlung nach deutschem Recht darstellt (wie z.B. bei der nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 i.V.m. § 11 Abs. 1 S. 2 BtMG strafbaren Durchfuhr von Betäubungsmitteln).[185]

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