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Der Mahner und Aktionist

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Helmut Palmer war davon überzeugt, dass die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung im Grunde keine demokratische Gesinnung habe. Ihr sei die Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezwungen worden, Autoritätshörigkeit und Untertanengeist seien weiterhin ausgeprägt. In der politischen Elite, der Verwaltung und der Justiz der Bundesrepublik wären weiterhin Nationalsozialisten beziehungsweise Antidemokraten tätig. Palmer legte diese Haltung auch in späteren Jahren nicht ab, als man allein schon aus demografischen Gesichtspunkten davon ausgehen musste, dass ehemalige Nationalsozialisten aufgrund ihres Alters gar nicht mehr in diesen Positionen tätig sein konnten. Palmer focht dies nicht an. Wenn ein von ihm angegriffener Regierungsdirektor entrüstet entgegnete, er sei erst 14 Jahre alt gewesen, als das „Dritte Reich“ zusammenbrach, entgegnete Palmer, dass das Alter damit nichts zu tun habe, denn auch jüngere Leute würden die Methoden des Nationalsozialismus verwenden. Vermeintliche und tatsächliche antisemitische Tendenzen, die er zumeist in Leserbriefen fand, prangerte er öffentlich an. Palmer verstand sich als Mahner, der der rechten Gesinnung nahestehende Eliten, aber auch gegen das Gemeinwohl handelnde Politiker und Beamte entlarven sowie undemokratisches und skandalöses Verhalten seiner Mitmenschen öffentlich anprangern wollte.

„Angenommen, der Adolf wäre drangeblieben, dann wäre jeder von Euch, das ist sicher, noch in der braunen Uniform beim Mosten.“

Palmer 1996 in einem Brief an eine mit ihm

verwandte Familie in Geradstetten

Während der Regierungszeit des Ministerpräsidenten Hans Filbinger war selbiger Palmers bevorzugtes Angriffsziel: „Ein Aal hätte gegenüber diesem ‚schwarzen Jesuiten, diesem Klerikalfaschisten‘ noch Handgriffe“, so glatt sei der Ministerpräsident, wurde Palmer in der Alb-Neckar-Zeitung vom 23. März 1976 zitiert. Zum Geburtstag Filbingers demonstrierte er regelmäßig vor dessen Amtssitz. Aber auch gegen dessen Nachfolger Lothar Späth („Wenn der Russe da wäre, wäre der Kommissar“, zitiert im Hohenloher Tagblatt vom 28. Juli 1981) und Erwin Teufel („Lieber ein Remstalrebell als ein Langweiler wie der Teufel, dem das Brot in der Gosch verschimmelt“, zitiert in den Calwer Kreisnachrichten vom 3. März 1993) polemisierte Palmer und vermischte dabei oft Privates und Öffentliches miteinander, wenn er vor ihren Privathäusern demonstrierte und zuvor in Zeitungsanzeigen dazu aufrief, ihn dabei zu unterstützen.

Legendär waren seine Auftritte bei den jährlichen Dreikönigs-Treffen der FDP vor der Stuttgarter Staatsoper. Helmut Palmer wurde im Laufe der Jahre ein fester Bestandteil als belebender Störfaktor dieses Politikereignisses, was auch regelmäßig von den Medien wahrgenommen wurde. Bei den Treffen mahnte er die FDP, ihren liberalen Zielsetzungen treu zu bleiben, und konfrontierte die FDP-Größen direkt am Eingang zur Oper mit seinen selbst gepinselten Plakaten. 1992 brachte er einen Waschzuber mit und erinnerte die FDP-Politiker mit der Aufforderung, ihr Geld darin zu waschen, an vorausgegangene Korruptionsaffären. Palmer erhielt aufgrund seiner lautstarken Aktionen mehrfach Hausverbot für die Veranstaltung in der Staatsoper. Freilich gelang es ihm einmal, mit falschem Schnurrbart und Perücke verkleidet, trotzdem in den Saal zu gelangen.

Bei landesweit Aufsehen erregenden Prozessen wegen Amtsmissbrauchs oder Korruption war Helmut Palmer sehr oft in den Verhandlungen als lautstarker Zuhörer dabei, verfasste Protestnoten, Leserbriefe und thematisierte die Skandale in Inseraten oder öffentlichen Reden. Doch machte Palmer auch Jahrestage der jüngeren deutschen Geschichte öffentlich, die in den Medien seiner Meinung nach nicht ausreichend aufgearbeitet wurden. So zum Beispiel, wenn er zu Ehren des Hitler-Attentäters Georg Elser in Heidenheim einen Kranz niederlegte und tags darauf am Alten Schlossplatz in Stuttgart am Mahnmal der Gewalt Wache hielt; wenn er am Grab der letzten zwei im Rems-Murr-Kreis getöteten Weltkriegssoldaten eine Rede hielt und mahnende Briefe an die Führer der Supermächte des Kalten Krieges, Michael Gorbatschow und Ronald Reagan, vorlas; oder wenn er auf dem im Dritten Reich in ein Konzentrationslager verwandelten Hohenasperg einen Kranz für die Opfer des Nationalsozialismus niederlegte. Palmer wollte mahnen, die Gewalt und Unmenschlichkeit, die von der deutschen Gesellschaft ausgegangen waren, nicht zu vergessen.

Helmut Palmer sammelte unzählige Unterschriften, häufig für sich selbst im Kampf gegen die Justiz, sehr oft aber für die gemeinschaftliche Sache. So entzündete er mit Gesinnungsgenossen beim Kampf gegen den geplanten Bau der Neckar-Alb-Donau-Autobahn in den 1970er-Jahren des Nachts ein Feuer des Protests auf den Anhöhen des Remstals, um die Durchschneidung des Tals durch ein großes Autobahnviadukt zu verhindern. Und noch in den 1990er-Jahren sammelte er Unterschriften gegen französische Atomtestversuche auf der Südseeinsel Mururoa.

Besonders die Verwaltung nahm er in seinen Aktionen aufs Korn. Wenn er in einer Behörde wie in Ulm, Geislingen, Gaggenau oder Ludwigsburg in unverschlossene Amtszimmer kam und offen herumliegende Akten sah, so steckte er diese flugs ein, um danach öffentlich die Nachlässigkeit der Beamten anzuprangern. In Ludwigsburg nahm er 1976 in einer verwaisten Amtsstube einen Telefonanruf entgegen. Seine Antwort wurde am 4. November 1976 in der Kornwestheimer Zeitung wiedergegeben: „Hier gibt es keinen zuständigen Beamten, hier gibt es nur Palmer.“ Einer seiner aufsehenerregendsten Streiche geschah 1970, als er ein Polizeifahrzeug, das unverschlossen am Wegesrand parkte, entführte, damit einige Straßen weiter fuhr und später den Zündschlüssel im Polizeirevier abgab.

Legendär sind seine eigenmächtigen Straßenausbesserungen, wenn die Behörden nicht oder ihm zu langsam die von ihm angemahnten Missstände auf den Straßen Baden-Württembergs angingen. An vielen Stellen im Land sägte er Bäume am Straßenrand um, die er als sichtbehindernd erachtete. Unfallträchtige Straßenabschnitte wurden mit Hacke und Schaufel, manches Mal sogar mit schwerem Gerät wie Baggern und Betonmischern von Helmut Palmer und Anhängern eigenmächtig bearbeitet. Auf dem kleinen Schlossplatz in Stuttgart errichtete er 1971 demonstrativ eine Pyramide aus dreieckigen Straßenmarkierungszeichen, die er zuvor auf den Landstraßen eingesammelt hatte, um gegen Steuergeldverschwendung zu demonstrieren. All diese Aktionen Palmers sorgten für anhaltende Medienpräsenz und erzeugten sein Image als tatkräftiger Rebell wider die Obrigkeit.

Helmut Palmer

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