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Geheimniskrämerei
ОглавлениеJetzt hatte Anne Gebhardt Feierabend. Herbert Weber war unsterblich in sie verliebt. Er fuhr zu den Briten am Nordpark, um sie abzuholen. Freudestrahlend kam sie auf ihn zugelaufen. Er zeigte ihr sein neues Moped. Nachdem sie es ausgiebig bewundert hatte, fragte er: „Ist denn die Kazmarek, da? Können wir zu dir nach Bilk?“
Anne Gebhardt zögerte und wurde nachdenklich.
„Nur, wenn du mir ein Geheimnis verrätst?“, sagte sie schließlich.
„Ja. Alles. Was willst du wissen? Ich bin Fotograf. Verdiene damit kaum Geld. Brauche Gelegenheitsjobs. Du kennst mich doch.“
„Ja, aber was hat es mit dieser Ausnahmegenehmigung auf sich?“
„Was meinst du?“
„Die du damals beantragt hast, als wir uns das erste Mal trafen, hier bei den Briten.“
„Ach so, diese Ausnahmegenehmigung. Nun, das war die Genehmigung für einen Waffenbesitzschein.“
„Ein Waffenbesitzschein? Was für eine Waffe?“
„Du kennst doch meine Pistole.“
„Die ist echt? Ich dachte immer, das ist eine Theaterpistole, die dir dein Freund Georg aus der Oper für deine fotografischen Inszenierungen leiht.“
„Nein, die ist echt. Und ich brauche sie, weil ich als Privatermittler arbeite.“
„Als Privatermittler?“
„Ja, für meinen Vater.“
„Für Weber senior? Aber der ist Rechtsanwalt!“
„Genau, mein Vater ist Rechtsanwalt und gibt mir Aufträge als Privatermittler.“
„Warum hast du mir davon noch nicht erzählt?“
„Du hast noch nicht gefragt.“
„Oh, du bist so ein Geheimniskrämer.“
„Nein, bin ich gar nicht. Es gibt nur Wichtigeres mit dir zu besprechen in der Zeit, in der wir zusammen sind. Das sind nur kleine Gelegenheitsjobs, die mir normalerweise die Miete sichern, aber jetzt läuft da gerade auch nichts mehr, so dass ich mein Auto verkaufen musste. Aber das neue Moped ist ja auch nicht schlecht! Fährt echt super und Platz für dich ist auch.“
Anne ließ ihre Hand über das schwarz gelackte Moped gleiten und über das verzinkte Markenzeichen Triumph.
„Na, dann machen wir eine Ausfahrt, Herr Geheimagent.“
„Erzähl sowas nicht! Ich bin kein Agent, nur Ermittler, die Briten haben mir erlaubt, für den Einsatz als Privatermittler die Pistole bei mir zu führen. Mehr mache ich nicht, keine Spionage, keine Sabotage. Aber dich entführe ich jetzt, steig auf!“ Sie fuhren die Kaiserswerther Straße entlang, die sich nach und nach verengte und von der breiten ehemaligen Aufmarschallee der Nazis aus Pflastersteinen zu einer Straße aus glattem Asphalt aus der Zeit der Weimarer Republik wurde, und schließlich kamen sie durch die Innenstadt von Düsseldorf mit dem Wilhelm-Marx-Haus als Landmarke, dem ersten Hochhaus in Deutschland aus dem Jahr 1924: es war einer der ersten Wolkenkratzer in Europa. Damals galt ein Haus mit 13 Stockwerken schon als Wolkenkratzer. Dieses Haus mit Ziegelsteinfassade markierte während des Wirtschaftswunders das Zentrum von Düsseldorf, mit der Königsallee in der Nähe und der Altstadt auf der gegenüberliegenden Seite.
Herbert und Anne tuckerten auf der Triumph daran vorbei und fuhren weiter durch das Kasernenviertel Richtung Bilk, wo Anne wohnte. Der Düsseldorfer Stadtteil zählt zu den ältesten der Stadt und der Krieg hatte einige prächtige Bürgerhäuser verschont. An einer Häuserwand prangte die Werbung für eine BP-Station.
Sie schlichen sich in die Etage von Frau Kazmarek. Das Licht in der Wohnung war aus. Anne schloss die Wohnung auf, ging hinein und drückte auf den Schalter. Aber das Licht ging nicht an. Frau Kazmarek stand plötzlich mit einer Kerze im Flur: „Sie haben uns das Licht abgedreht.“ Sie weinte, im Dunkeln sah man die Tränen nicht, aber man hörte es an ihrer erstickten Stimme.
Herbert sagte: „Frau Kazmarek, heute zünden wir Kerzen an, ist doch idyllisch und irgendwie auch heilig.“ Er wollte sie aufmuntern. „Finden Sie das nicht?“
Sie seufzte.
„Und morgen bezahle ich bei den Stadtwerken den Strom. Habe meinen Opel Kapitän bei Auto Deckert für ein ordentliches Sümmchen verkauft. Da will ich Ihnen gerne unter die Arme greifen.“
„Ja, würden Sie das tun? Dann bis morgen, Herr Weber.“
Die alte Kazmarek zog die Tür der Wohnung vor seiner Nase zu. Es war ein ordentliches Haus. Herbert stand draußen im Treppenhaus. Immerhin gab es dort Licht.