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Augen zu und durch
ОглавлениеHerbert Weber hatte sich von seinem Vater eilig verabschiedet und verließ das Haus Kaiserswerther Straße 241. Auf der Straße sprach er noch einmal mit Katharina Reiz, die an ihrem Auto stand und in der Handtasche den Autoschlüssel suchte.
„Sie fahren einen Karmann-Ghia?“, fragte Herbert.
„Schön, nicht? Fabrikneu!“
Herbert nickte. „Ich werde vor Ihrem Haus Posten beziehen, wundern Sie sich also nicht, wenn dort ein Opel Kapitän steht.“
Sie verabschiedeten sich und Frau Reiz fuhr los. Herbert sah ihr lange nach, dann ging er zu seinem Motorrad. Er hatte einen Vorschuss von seinem Vater in der Jackentasche. Anne Gebhardt kam langsam auf ihn zu. Er sah sie und sagte: „Hallo, schöne Frau!“
„Na, sah eben so aus, als wenn du jemand anders schöner fändest.“
„Sei nicht eifersüchtig! Du hast keinen Grund.“
„Pass auf, dass ich dir nicht die Augen auskratze.“
„Es ist doch nur eine Klientin meines Vaters. Du kennst sie bestimmt: Katharina Reiz.“
„Die Starregisseurin des Führ-uns-nicht-in-Versuchung-Films?“
„Genau die!“
„Und was will sie?“
„Sie will sich scheiden lassen. Aber ihr Mann nicht. Deshalb hat sie Angst. Ich soll auf sie aufpassen.“
„Und was bringt das?“
„Den Opel Kapitän zurück.“ Dabei klopfte sich Herbert auf die Brust, dort wo das Geld in der Jackentasche steckte.
„Dann wird das die letzte Fahrt auf der Triumph?“
„Ja, vorbei ist das Motorradintermezzo, schon morgen hab ich meinen Wagen zurück, aber jetzt noch einmal auf zwei Reifen, auf, auf zur letzten Fahrt, steig auf!“
Er sagte das so, wie man „Auf, auf ins letzte Gefecht“ sagt.
Anne ließ sich nicht zweimal bitten. Sie tuckerten los. Herbert würde diese Fahrt sein Leben lang nie vergessen. Sie mussten durch Golzheim und Pempelfort nach Bilk. Er kannte die Strecke wie seine Westentasche, doch was Anne mit ihm veranstalten wollte, war heftig. Es wurde eine Blindfahrt.
Zunächst saß sie brav hinter ihm auf dem Motorrad, als sie so die Kaiserswerther Straße entlangfuhren, wo die Straße eine Allee junger Platanen war. Aber dann legte sie die Hände über Herberts Augen.
Herbert hatte als Soldat gelernt, ein Moped auch zu fahren, wenn ihm vorübergehend die Sicht genommen wurde, deshalb blieb er souverän und hielt die Spur.
„Gleich sind wir an der Kreuzung“, sagte sie.
„Noch fünfzig Meter. Jetzt.“ Er hielt.
„Du kannst anfahren!“
Sie fuhren die Kaiserstraße weiter am schmucken Gebäude des Hofgärtnerhauses vorbei. Doch Herbert konnte es nicht sehen und Anne musste sich auf den Verkehr konzentrieren und ihre Anweisungen geben.
„… schneller! … weiter! … langsamer! … gleich sind wir an einer Ampel … du hast grün …“
Sie erreichten das Wilhelm-Marx-Haus. Auch das sah Herbert nicht. Anne kommandierte entschieden: „Hier kommt unsere Abbiegung.“
Sie tuckerten weiter. „Noch hundert Meter. Jetzt rechts!“ Er legte das Motorrad in die Kurve. „Und sofort wieder links.“
Sie fuhren Richtung Friedrichstraße, dort ließ sie die Augen wieder frei. Herbert hatte ihr blind vertraut, obwohl es gefährlich war und selbstverständlich auch verboten. Aber Anne und er fühlten sich eins.
„Diese Fahrt werde ich so schnell nicht vergessen“, sagte Herbert.
„Das rate ich dir!“, sagte Anne hinter ihm.
„Ich kenne jetzt genau das Geräusch des Straßenbelags.“
„Du hattest Vertrauen, deshalb ist nichts passiert. Wenn du Angst gehabt hättest, wäre das Motorrad verrutscht und wir verunglückt.“
„Ja, ich vertraue dir.“
„Ich dir auch.“
„Morgen hole ich den Opel vom Autohaus. Auto Deckert wird sich freuen, mir das Auto ein zweites Mal verkaufen zu können.“
„Und die Triumph?“
„Behalte ich erstmal. Aber ich muss sie irgendwo unterstellen.“
„Können wir ja gleich mal meine Vermieterin fragen, ich glaube, die hat noch eine Garage frei.“
„Die Kazmarek, ob die uns hilft? Wo wir deine Miete nicht immer pünktlich zahlen können?“
„Fragen kostet nichts.“
„Aber die Garage wird was kosten.“
Sie fuhren auf der schwarzen Triumph durch Düsseldorf. Ein schwarzes Taxi folgte ihnen in einigem Abstand.