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Phönix aus der Asche
ОглавлениеDie Zeit war reif für die Fotografie als Kunstform. Die Sammler und Museen begriffen das jetzt in der Nachkriegszeit. Herbert war Ende Dreißig mit vollem Haar. Er wollte als Fotograf Erfolg haben. Er wusste, dass er da von Schmölke eine Chance erhalten hatte, er, der Soldat, der Kriegsheimkehrer, der in Düsseldorf neu anfangen musste nach dem Wahnsinn des Zweiten Weltkrieges.
Herbert glaubte an Wunder. Und er wollte sein eigenes Wirtschaftswunder erleben, sein eigenes Wunder von Bern. Herbert wollte gewinnen, so wie es die Spieler im Fußball getan hatten. Natürlich wusste er, dass dazu auch gehörte, sich gegen Gegner durchzusetzen. Das Saarland war für die Fußballer solch ein Gegner gewesen, hatte es doch eine eigene Nationalmannschaft, die ausgerechnet gegen Deutschland spielen musste, und hätten die Spieler der saarländischen Fußballauswahl gegen die bundesdeutsche Mannschaft nicht 1:3 verloren, wer weiß, ob es das Wunder von Bern überhaupt gegeben hätte. Das Wunder, im Endspiel die Ungarn zu besiegen und Weltmeister zu werden. Aber der Vereinsspieler von Fortuna Düsseldorf Toni Turek hatte im Tor der Bundesdeutschen gestanden und war der Held. Solch ein Held wollte Herbert auch sein, in seinem Metier, der Fotografie.
Seine Fotos der Bombentrichter in Düsseldorf hatte er mit schönen Frauen inszeniert, die wie Leichen zwischen den Trümmern lagen. Das waren Fotos von Trümmerfrauen, wie sie keiner erwartete. Es war ein Tabubruch. Herbert zeigte die Frauen als Opfer. Er wollte damit ausdrücken, dass auch Frauen im Krieg gelitten hatten und dass diese Frauen über das, was ihnen widerfahren war, meist schwiegen. Selbst Frau Kazmarek, die Vermieterin von Anne, verheimlichte ihr Leid und das ihrer Tochter. Viele Frauen waren vergewaltigt worden, wie sie. Deshalb hatten viele von ihnen den Tag der Befreiung oder Tag des Sieges der Alliierten über Nazideutschland nicht unbeschwert feiern können.
Die Trümmergrundstücke in Düsseldorf durften fünf Jahre lang nicht bebaut werden. Es gab einen verordneten Baustopp. Erst danach fing der Bauboom an. Erst dann wurden zunächst auch nur Teile der Flächen zur Bebauung freigegeben, denn die Planer im Rathaus und bei der Verwaltung hatten Ehrgeiziges vor. Ab Mitte der 50er Jahre bauten sie die autogerechte Stadt Düsseldorf mit Hochstraßen und Brücken. Und die Architekten entwarfen dazu Hochhäuser. Am Hofgarten sollte ein Hochhaus für die Phoenix-Rheinrohr AG Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke gebaut werden. Der Generaldirektor Fritz-Aurel Goergen war ein Vorzeigeunternehmer des Wirtschaftswunders. Die Düsseldorfer sprachen darüber: „Hast du die Pläne gesehen?“
„Ja, das wird Prinz Aurels Pyramide.“
Das Gebäude stand noch nicht, da schickte man den sogenannten „Prinz Aurel“ in die Wüste, weil er in Ungnade gefallen war, und das Hochhaus bekam einen neuen Namen: Dreischeibenhaus.
Düsseldorf erhob sich aus den Trümmern wie Phönix aus der Asche. Und Herbert Weber war der Fotograf dieses Wunders.