Читать книгу Aus dem Leben eines Liebhabers - Jan Pelzer - Страница 10
Die Unwürdige
ОглавлениеAls ich die Universitätsstadt nach meiner unglücklichen Liebe gewechselt hatte, verliebte ich mich noch während meiner weiter laufenden Ausbildung zum Schreinermeister in eine junge Schauspielerin, die an einer Studio-Bühne die Liebhaberinnenrollen spielte. Ihre Mutter war Putzfrau in dem Haus, in dem ich wohnte, und hatte mir wiederholt Karten für Aufführungen von Theaterstücken geschenkt, in denen ihre Tochter auftrat. Ich hatte der Mutter auch zu verstehen gegeben, dass mir ihre Tochter gut gefiel, und daraufhin weitere kostenlose Eintrittskarten für die töchterlichen Auftritte bekommen. Ich glaubte auch zu bemerken, dass die Tochter sehr wohl meine Anwesenheit wahrnahm und durch diese zu einem intensiveren Spiel angeregt wurde. Meine Liebe zu ihr wurde bald so heftig, dass ich ihr einen Brief schrieb. Darin stellte ich mich ihr vor, gestand ihr meine Zuneigung und meldete meinen Besuch für die nächste Vorstellung des Shaw-Stückes „Pygmalion“ an. Ich lud sie zugleich, um sie persönlich kennen zu lernen, nach der Theateraufführung zum Abendessen in eines der stimmungsvollen Lokale der Stadt ein und ließ auch durchblicken, dass eine spätere Heirat nicht ausgeschlossen sei.
Der Tochter, die mich vielleicht nach den Beschreibungen ihrer Mutter vom Ansehen her kannte und die vielleicht an einer Flirtbekanntschaft interessiert gewesen wäre, muss dieser Brief sehr zudringlich vorgekommen sein. Wahrscheinlich kam es ihr auch lächerlich vor, dass dieser asketische, halb verhungerte Anwärter auf den Schreinerberuf, der ihr in dem besagten Schreiben seine finanzielle Situation mit elterlichen Zuwendungen von 250,- DM im Monat gewissenhaft dargelegt hatte und auch seine monatlichen Auslagen, die bei wenigstens 230,- DM lagen, nicht verschwiegen hatte, ihr, ohne sie persönlich zu kennen, bereits durch die Blume einen Heiratsantrag gemacht hatte. Vielleicht hatte sie zu dem besagten Termin nach der Theateraufführung auch schon etwas anderes vor. Sie beantwortete jedenfalls den Brief nicht.
Ich hatte das auch nicht anders erwartet und glaubte, dass nach den Blickkontakten im Theater und dem ermutigenden Verhalten der Mutter der Abend nach meinen Vorstellungen ablaufen würde. Ich kaufte mir also für diesen Abend ausnahmsweise von meinem Geld die Eintrittskarte für die besagte Aufführung und ebenfalls die in meinem Brief angegebenen Erkennungszeichen, eine rote Nelke und eine Pfeife. Ich hatte in irgendwelchen Liebesromanen gelesen, dass solche Erkennungszeichen auf Frauen Vertrauen erweckend und betörend wirken, und hatte demzufolge diesen – wie mir schien – Erfolg versprechenden psychologischen Trick sofort in die Tat umgesetzt. Das Pfeiferauchen musste ich allerdings noch lernen, weil ich Nichtraucher war; aber ich war, wie immer in Zuständen der Verliebtheit, zu jedem Opfer bereit, um der erwählten Frau zu imponieren und nahe zu kommen.
Die Zeit bis zu der schicksalhaften Begegnung nutzte ich zum Training des Pfeiferauchens. Dieses war sehr nötig wegen meiner empfindlichen Schleimhäute und Bronchien. Aber so sehr ich mich auch bemühte, bis zum Tag der Verabredung gegen die Anfälle von Husten und die Schmerzen meiner verbrannten Zunge immun zu sein – meine Anstrengungen verschlimmerten nur das Übel.
Der Tag der Verabredung kam, und ich kletterte – dem Ernst des Anlasses angemessen – in den, wie ich meinte, elegantesten Anzug, den ich hatte: einen von meinem gut situierten und wohlbeleibten, auch etwas kleiner geratenen Onkel abgelegten hellgrauen Glencheck Anzug, der mir abenteuerlich um die schmalen Schultern und Hüften schlotterte und an Armen und Beinen zu kurz war. Auch hatte der Anzug an einigen Stellen unausrottbare Flecken, die eine beiläufige Folge des gelegentlichen übermäßigen Alkoholgenusses meines Onkels waren und wohl auch den Grund dafür abgegeben hatten, dass er sich des guten Stückes zu meinen Gunsten entledigt hatte. Stoff und Schnitt waren aber vom Elegantesten und Preziosesten dessen, was damals Mode war, und ich hoffte in dem kostbaren Stück den größten Eindruck auf meine Herzensdame zu machen.
Zusätzlich zu den angekündigten Erkennungszeichen wie Nelke und Pfeife versah ich das Prachtstück noch mit allem mir für ein außerplanmäßiges Essen zur Verfügung stehenden Geld (es waren etwa 20,- DM) und machte mich zu Fuß auf, um nach einem Spaziergang von etwa 3 Kilometern voller Sammlung am Schauplatz der Ereignisse zu erscheinen. Es war nur gut, dass es schon dämmerte und ich nicht allzu genau von den Passanten wahrgenommen werden konnte, denn der Mantel, den ich trug, echt Cashmere, war auch aus dem Fundus meines Onkels. Und die Schulterstücke schaukelten abwechselnd auf meinem Rücken und den Schlüsselbeinen, aber sie saßen nicht dort, wo sie sitzen sollten. Außerdem passte ich in das gute Stück doppelt, wenn nicht dreifach hinein, so dass ich bei etwas mehr Beleuchtung damals bestimmt zur sechzehnten oder siebzehnten Sehenswürdigkeit der an Sehenswürdigkeiten nicht armen Stadt geworden wäre.
Im Theater kam ich – Gott sei Dank – so spät an, dass ich nicht mehr von vielen Besuchern gesehen werden konnte, weil der Raum schon abgedunkelt war. Meine Flamme schien mich aber gleich bemerkt zu haben, denn sie spielte noch selbstbewusster und kecker als sonst. So machte ich mir allerhand Hoffnungen auf das Rendezvous nach der Aufführung. Ich brachte also nach Schluss der Vorstellung meine Utensilien, die Nelke, die qualmende Pfeife, in die richtige Position, drapierte den Cashmeremantel malerisch über dem linken Arm und stolzierte in einer dem Ernst der Stunde angemessenen Würde in dem Foyer des Theaterchens auf und ab.
In diesem Foyer stand auch der schmale Bretterverschlag, in dem sich die Schauspieler umzogen. In diesem Verschlag gab es offenbar keine Trennwand zwischen Damen und Herren, wie ich missbilligend aus den lebhaften Gesprächen zwischen Frauen und Männern, wahrscheinlich noch in der Unterbekleidung, entnehmen konnte. Zudem wurde in sehr elementarer Weise und unter Beteiligung aller Schauspieler zwischen einem Mann und einer Frau, die ich unschwer als meine Erwählte identifizieren konnte, gestritten.
Man kann sich vorstellen, wie mich diese unziemliche Vertrautheit meiner von mir schon als Braut betrachteten Angebeteten mit einem anderen Mann verstörte. Der Streit spielte sich zudem in leidenschaftlichen und wenig erhabenen Formen ab, wobei mir besonders der ordinäre, wenn nicht gar vulgäre Ton meiner Geliebten so unangenehm auffiel, dass ich einem Wechselbad der widerstreitendsten Gefühle ausgesetzt war. Letztlich gipfelte der Streit in einer für den beteiligten Mann äußerst schmerzhaften Tätlichkeit meiner Dame, einem kräftigen Biss in die Nase, wie sich später herausstellte, der den gemarterten Mann zu einem panischen Schmerzensschrei veranlasste.
Zwar standen mir allmählich die Haare zu Berge und das Herz klopfte mir im Halse, aber ich hielt tapfer aus und wartete. Längst war der letzte Theaterbesucher gegangen. Sogar die Garderobenfrau war schon fort, und ich war im Foyer allein, bis auf die Leute in dem Verschlag, in dem es jetzt leiser geworden war, wohl weil dem offensichtlich schwer verletzten Mann erste Hilfe geleistet werden musste. Ich zündete mir also die zweite Pfeife an, setzte mich auf den Annahmetisch der Garderobenfrau und wartete weiter. Ich wartete so lange, dass ich mir noch eine dritte Pfeife anzünden musste, was derartige Verbrennungen meiner Zunge zur Folge hatte, dass ich dem geplanten Abendessen nur noch mit Unbehagen entgegensehen konnte.
Schließlich steckte ein Mann eine blutige Nase aus dem Verschlag, was offensichtlich das Werk meiner Flamme war, schob seinen Körper nach, zog die anderen Schauspieler nach sich, unter denen auch meine Geliebte war, und verschwand – wie der ganze Pulk – durch den Ausgang.
Meine Herzenskönigin hatte mir zwar noch einen scheuen Blick zugeworfen, bevor sie sich bei ihrem Bissopfer eingehängt hatte und durch die Tür geschlüpft war, aber in diesem Blick war keine Botschaft enthalten, kein Zeichen der Ermutigung oder der geheimen Erkennung. Mich beschlichen ein Gefühl der Kälte, der Fremdheit und ein vages Empfinden für die Lächerlichkeit meines Verhaltens. Ich spürte den Schmerz meiner verbrannten Zunge, die Erschöpfung meiner Nerven und gewann den Eindruck, meine Aufmerksamkeit an eine Unwürdige verschwendet zu haben. Langsam rutschte ich vom Garderobentisch und konnte mich schwach an dem Gedanken erfreuen, mein winziges Vermögen von 20,- DM wenigstens nicht überflüssigerweise vergeudet zu haben. Meine Liebe zu der jungen Frau erlitt einen schweren Dämpfer, von dem sie sich nie mehr erholte, so dass ich das Studiotheater nur noch ganz selten besuchte und keinen Versuch mehr machte, die junge Frau kennen zu lernen.
Die junge Frau muss meinen Auftritt aber ganz anders verstanden haben, denn ihre Mutter bot mir jetzt sogar für die immer ausverkauften Premieren des Studiotheaters Freikarten an, die ich aber dankend ausschlug, und legte mir dann wiederholt einen Büschel angesengten Strohs vor meine Zimmertür, was wohl bedeuten sollte, dass sie meine Liebe zu ihrer Tochter für ein Strohfeuer hielt. Vielleicht war mir aber nur unbewusst aufgegangen, dass diese absolute Form von Liebe, die ich im Sinn hatte, in dieser Beziehung und in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen keine Chance hatte, und widmete mich vermehrt dem Studium meines weiblichen Idols, der heiligen Johanna, und ihrer Verehrung, was mir zumindest für einige Zeit die krankhaften Exaltationen und Krisen meiner überreizten Nerven ersparte.