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Unglückliche Liebe

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Ich möchte die Geschichte meiner erotischen Begegnungen nunmehr fortsetzen. Du erinnerst dich, dass meine letzte Liebesaffäre kein gutes Ende genommen hatte und ich deswegen eine Zeit lang keine Freundin hatte. Dennoch kam einige Jahre später der Zeitpunkt, dass ich von einer neuen Liebe überwältigt wurde. Das war zur Zeit meiner beruflichen Ausbildung. Ich hatte trotz meiner „frühkindlichen“ Abneigung gegen die Schule auf Druck meiner Eltern das Abitur sehr früh geschafft und danach wegen der guten Verdienstmöglichkeiten auf ihren Wunsch Zahnmedizin studiert. Nachdem ich in kürzester Zeit das Studium der Zahnmedizin erfolgreich beendet hatte, besuchte ich eine Fachschule für Schreiner. Als Zahnarzt wollte ich nicht arbeiten, weil mir meine Scharte den unmittelbaren Umgang mit vielen fremden Menschen zu einer qualvollen Anstrengung gemacht hätte. Mit Holz zu arbeiten machte mir dagegen Vergnügen, und der persönliche Umgang mit Kunden ist ja bei weitem nicht so nah und so häufig wie bei einer Zahnbehandlung. Gesellige Zusammenkünfte mit vielen – selbst bekannten – Menschen sind mir immer unbehaglich gewesen. Bei jeder Begegnung mit anderen Menschen hatte ich Angst, dass sie von meinem Aussehen abgestoßen werden oder darüber irgendwelche unpassenden Bemerkungen machen könnten. Daher war ich immer froh, wenn ich unumgängliche Zusammenkünfte so früh wie möglich wieder verlassen konnte.

Ich hatte den Ausbildungsort nicht gewechselt und so besuchte ich nach den Unterrichtsstunden in der Fachschule aus meiner alten Neigung zur Literatur als Gasthörer noch einige Vorlesungen an der Universität. Meine Ängste vor anderen Menschen spielten hier keine so große Rolle, da mich niemand kannte und ich mich im Schutz meiner Anonymität unabhängig und sicher fühlen konnte.

Da diese Vorlesungen nicht zu meiner Berufsausbildung gehörten, folgte ich den Ausführungen der Dozenten sehr entspannt und konzentrierte mich in meiner unbewussten Sehnsucht nach Partnerschaft mit einer Frau mehr auf die Beobachtung der Studentinnen als auf die Ausführungen der Professoren zu Eichendorff, Rilke, Brecht und Karl Marx. Bald schon fiel mir eine gut aussehende Studentin mit einer sehr innigen Aura auf und ich beachtete sie mehr als die interessantesten Mitteilungen über romantische Chiffren, symbolistische Dingmagie, episches Theater und den dialektischen Materialismus.

Das Mädchen war blond, blauäugig, groß gewachsen und von einer in sich versammelten Lieblichkeit. Es beseligte mich, wenn die junge Frau in meiner Nähe saß, und ich war betrübt, wenn sie nicht in die Vorlesung kam. Schließlich war mir klar, nur dieses Mädchen konnte meine Frau werden. Ich war ihm mit meiner ganzen Existenz verfallen. Aber wie sollte ich seine Bekanntschaft machen, wie es für mich gewinnen? Ich war Einzelkind, in einer Jungenschule mit viel Ausbildungsprogramm, aber ohne gesellschaftliche Kontakte aufgewachsen und hatte mit Mädchen trotz meiner zwei sexuellen Abenteuer keine Erfahrung. Ich war in dieser Hinsicht auch – wie gesagt – durch meine Behinderung blockiert.

Es wurde für mich zu einem großen Problem, mit einem solcherart eingeschränkten Repertoire meine Leidenschaft an den Mann oder – genauer gesagt – an die Frau zu bringen. Zu meinem großen Unglück musste ich zudem Zeuge davon werden, wie die Angebetete bald einen Freund hatte, mit dem zusammen sie nicht nur die Vorlesungen besuchte, sondern auch auf der Straße und in den Lokalen der romantischen Universitätsstadt anzutreffen war. Diese Wahrnehmung hatte eine durchschlagende Wirkung auf meine seelische und körperliche Verfassung. Ich wurde maßlos eifersüchtig auf den unbekannten Rivalen. Ich konnte nicht mehr essen und schlafen. Ich magerte ab, ernährte mich nur noch von Haferschleim und Knäckebrot und gewöhnte mich daran, dem Tod täglich unerschrocken mein junges Leben als leichte Beute anzubieten. Dieser aber rührte die ihm wahrscheinlich allzu magere Beute nicht an.

Schließlich explodierten meine Leidenschaft und Eifersucht in einem Schwall von Worten, die ich in einem langen Brief aneinander reihte. Der Brief umfasste eine Suada von Vorwürfen gegenüber der jungen Frau, die mich ja gar nicht kannte, wegen ihrer häufigen männlichen Begleitung, einen Bericht über meine Vergangenheit und einen Science-Fiction-Teil über meine mutmaßliche Zukunft als Schreinermeister. An den Schluss setzte ich ein Gedicht von Hans Carossa, das ich damals als Schlafmittel brauchte, weil es einen wunderbar beruhigenden und tröstenden Inhalt und Rhythmus hat.


Der alte Brunnen

Lösch aus dein Licht und schlaf! Das immer wache

Geplätscher nur vom alten Brunnen tönt.

Wer aber Gast war unter meinem Dache,

hat sich stets bald an diesen Ton gewöhnt.

Zwar kann es einmal sein, wenn du schon mitten

im Traume bist, dass Unruh geht ums Haus,

der Kies beim Brunnen knirscht von harten Tritten,

das helle Plätschern setzt auf einmal aus,

und du erwachst, - dann musst du nicht erschrecken!

Die Sterne stehn vollzählig überm Land,

und nur ein Wandrer trat ans Marmorbecken,

der schöpft vom Brunnen mit der hohlen Hand.

Er geht gleich weiter, und es rauscht wie immer.

O freue dich, du bleibst nicht einsam hier.

Viel Wandrer gehen fern im Sternenschimmer,

und mancher noch ist auf dem Weg zu dir.

Mein Brief erstreckte sich schließlich über 16 oder mehr Din-A-4-Seiten. Aber leider war mir die Adresse der Angebeteten nicht bekannt, und so nützte mir auch mein umfangreiches Konvolut nichts, um ihr näher zu kommen. Glücklicherweise gab es aber vor dem Hörsaal, in dem die Vorlesung stattfand, die wir gemeinsam besuchten, eine Garderobe, wo wir unsere Mäntel und Anoraks ablegten. Da ich den Anorak genau kannte, den meine Verehrte trug, und dieser auch ein unverwechselbares Einzelstück war, konnte ich unbemerkt mein Schreiben in eine ihrer Anoraktaschen stecken und somit sicher sein, dass es sein Ziel erreichte.

Nach dieser aufregenden Aktion wartete ich ungeduldig auf eine Antwort der jungen Frau, aber diese hatte es nicht eilig. Nach etwa 14 Tagen traf schließlich ein sehr vernünftiges und nüchternes Schreiben bei mir ein. Ich wurde wegen meiner persönlichen Ansprüche zurechtgewiesen, es wurde auf das Unvernünftige des Briefes hingewiesen, es wurde klargestellt, dass die freie Zeit sehr knapp bemessen sei, dass aber das Gedicht eine verwandte Seite berührt habe und dass noch zwei Termine in diesem Semester frei seien. Wenn ich ebenfalls Zeit hätte, könnte ich einen der zwei Termine wählen und sie nachmittags in ihrer Bude zu einem Glas Tee besuchen. Auch die Angabe ihrer Adresse fehlte nicht – mit der Bitte um kurze Rückantwort und Bekanntgabe des passenden Termins.

Eigentlich hätte ich über diese Reaktion sehr froh und glücklich sein können, aber in meiner Kindlichkeit und meinem Überschwang waren mir die klaren Grenzen, die mir hier gezogen wurden, sehr zuwider. Ich war zwar darauf gefasst gewesen, dass die junge Frau überhaupt nicht reagiert hätte. Aber wenn eine Antwort kam, hatte ich damit gerechnet, dass sie etwas Zuneigung und Bereitschaft zu einigen gemeinsamen Unternehmungen gezeigt hätte und mich nicht – wie ich meinte – schon abgehakt hatte, bevor sie mich überhaupt kennen gelernt hatte. Auf der anderen Seite hatte ich aber die Hoffnung, durch mein persönliches Erscheinen die Situation noch etwas günstiger gestalten zu können.

So meldete ich mich zum ersten Termin, den sie angegeben hatte (der allerdings auch erst in vier Wochen war), bei ihr an. Auch diese vier Wochen vergingen und ich fuhr an dem Tag der Verabredung mit dem Rad und einem Blumenstrauß zu ihr. Sie empfing mich etwas gereizt und machte mir gleich klar, dass ihre Vermieterin Herrenbesuch verboten habe und ich nicht lange bleiben könne. Darauf führte sie mich in ihre kleine separate Bude, legte sich in Seitenlage auf ihr Bett, postierte mich auf einen Stuhl davor und erzählte mir, dass sie gerade eine große Enttäuschung mit einem Mann hinter sich habe.

Ich hätte in diesem Augenblick eigentlich hellhörig werden und begreifen müssen, dass sich diese Mitteilung auf ihre Beziehung zu meinem „Rivalen“ bezog, und hätte daraus Hoffnung für mich schöpfen können, hätte auch Impulse für tröstende und solidarische Worte daraus ziehen können, aber verletzt durch ihre schroffe Begrüßung und ihre eigentlich nunmehr sehr verständliche Gereiztheit, konnte ich mich nicht in ihre Situation einfühlen. Ich ging daher auch nicht auf das unendlich chancenhaltige Thema ein, fragte nicht nach ihren enttäuschenden Erfahrungen und konnte mich somit auch nicht von dem offensichtlich gemeinen Verhalten ihres Expartners distanzieren und ihr mit mir eine seriöse und engagierte Alternative anbieten.

Ich erzählte ihr stattdessen irgendwelche Bagatellen über einen kurzen Aufenthalt auf einem Bauernhof, wo ich im Stall und bei der Ernte geholfen hatte und mich über die krummen Beine der Bäuerin gewundert hatte. Sie führte diese Beobachtung auf ein sexuelles Interesse meinerseits an der Bäuerin zurück, was ich heftig bestritt. Auch diese Bemerkung der jungen Frau hätte mich bei etwas mehr Besonnenheit auf die von mir gewünschte Erfolgsspur bringen können. Denn sie verriet doch eine gewisse Anteilnahme an meinem „Sexualleben“ und sie signalisierte zugleich eine gewisse Verunsicherung in Bezug auf ihre eigene sexuelle Attraktivität, der sie offensichtlich bewusst oder unbewusst den „Verlust“ ihres letzten Partners, also vermutlich meines Rivalen, zuschrieb. Auch ihre ungewöhnliche Platzwahl auf dem Bett, obwohl zwei Stühle im Zimmer standen, hätte mich bei etwas mehr Erfahrung im Umgang mit Frauen auf eine Erfolg versprechendere Strategie bringen können, als meine vorgefasste Absicht durchzuführen und sie zu einigen gemeinsamen Wanderungen in der idyllischen Umgebung der Universitätsstadt einzuladen.

Ich hatte denn auch keinen Erfolg, als ich meine Einladung aussprach. Sie lehnte mein Angebot mit der Begründung ab, dass sie diese Ausflüge bereits mit einer Studentenverbindung gemacht habe und in ihrer wenigen noch frei bleibenden Zeit schon ausgebucht sei. Es gelang mir aber wenigstens, sie zu einem Konzert des Vegh-Quartetts im Saal des städtischen Musikvereins einzuladen.

Eigentlich unterhielten wir uns ganz gut, aber die junge Frau sah in mir natürlich ganz klar das, was ich damals auch in Wirklichkeit war, einen magersüchtigen, bettelarmen, weltfremden, idealistischen Schwärmer und Träumer. Umso merkwürdiger war es, dass sie dennoch aufstand und einen Tee für uns kochte und auch etwas zu essen anbot. Sie setzte sich neben mich und tat dann etwas, das mich, wenn ich erfahrener gewesen wäre, zu höchstem Jubel veranlasst hätte. Sie suchte, wenn sie mir eine Tasse Tee oder ein Stück Kuchen reichte, die Berührung mit meiner Hand. Sie wäre also zu einer Art experimentellem Körperkontakt bereit gewesen, um zu erproben, ob die „Chemie“ zwischen uns stimmte. Aber ich begriff – beherrscht von Heiratsabsichten und Eheanbahnungsstrategien – überhaupt nichts von der Chance des Augenblicks.

Schließlich war ich durch die weiterhin spürbare nervöse Reizbarkeit der Studentin (die ich als allergische Reaktion auf meine Hasenscharte missverstand) und ihre Blockadehaltung meinen Programmvorschlägen gegenüber so sehr eingeschüchtert, dass ich nur noch irgendwelchen germanistischen Wissenschaftssalat daherlaberte, weil sie das Fach „hauptamtlich“ studierte und sogar eine Hilfsassistentenstelle im germanistischen Institut innehatte, um ihr zu zeigen, dass auch ich über Rilke und Eichendorff, über Brecht und Karl Marx Bescheid wusste. Diese gelehrte Konversation entlockte ihr aber nur ein Gähnen und sie erinnerte mich an die Unduldsamkeit ihrer Zimmervermieterin. Ich verstand diesen Wink sehr wohl, erinnerte sie noch einmal an das Konzert des Vegh-Quartetts und verabschiedete mich kleinlaut in dem (wie sich bald herausstellen sollte) richtigen Gefühl, dass alles aus war, bevor es angefangen hatte.

Das, was wir Liebe nennen, wütete nun in mir, beherrschte mich, machte mich zur Marionette seiner Launen. Ich zitterte, wenn ich sie von der Straßenbahn aus auf dem Bürgersteig sah, konnte nicht mehr lernen oder ruhig in meiner Stube hocken. Es trieb mich hinaus in die Natur. Und diese wurde mir in meiner Einsamkeit und meinem Liebeskummer zum willkommenen Partner, an dessen Anblick ich mich erfreuen konnte und dessen Stimme in den verschiedensten Tonlagen mit mir zu sprechen begann. Die Melodien von Finken und Meisen, von Amseln und Lerchen wurden mir zu Musik und gierig aufgesogenen Gesprächsbeiträgen in dem inneren Dialog, den ich unaufhörlich mit meiner fernen Geliebten führte. Der Wind, das Rieseln und Rauschen der Bäche, der Regen, das Rascheln der Blätter in den Bäumen wurden zu Stimmen, die mir Botschaften von ihr überbrachten. Gedichte begannen in mir hörbar zu werden: wilde, bedingungslose, entschlossene Fanfaren meiner brodelnden Leidenschaft. Immer noch hört man den brausenden Feueratem des in Ekstase geratenen Kandidaten der Schreinerkunst, der nicht wusste, was mit ihm geschah, in den Versen des folgenden Sonetts:

Liebe

Liebe will alles gewagt!

Wie blitzender Bug in das Meer

Barkassengewitter jagt!

Sie fragt nie: „Wohin und woher?“

Steuermann, Moses und Maat

die Stürme, die Ströme und der

über mythischen Wassern ragt,

Poseidon, dein Hirte und Herr.

Stunden, dem Meere ergeben –

O Nacht, die vergeblich verfloss.

Deine Atemzüge heben

so bange die Brust und so bloß –

O, deine Liebe wird leben,

Ahasver, Dein Sohn und Genoss!

Öfter ging ich auch an dem Flüsschen, das die Stadt durchfließt und sich dann durch grüne Wiesen, die teilweise von Gehölzen bewachsen sind, in die Ferne davonmacht, spazieren. Und hier sah ich eines Sonntagmorgens das Bild, das für mich in meinem verklärten Zustand ein Symbol für die harmonische Binde-Kraft der Liebe wurde. Ein jugendliches Paar, zwei unschuldige Kinder, knieten am anderen Ufer des Flüsschens in einem Gehölz, dessen Bäume, Zweige und Laub von der herbstlichen Sonne mit einem milden Leuchten umflossen wurden, voreinander. Auch die Silhouetten der Jugendlichen wurden von diesem Leuchten beglänzt, so dass sie sich mit dem Glanz der sie umgebenden Landschaft, des Himmels und der Sonne zu einer für mein derzeitiges Empfinden zugleich sinnlichen körperlichen wie heiligen geistigen Einheit verbanden.

Ich empfand in diesem Augenblick die ganze Schönheit einer positiven Uridee von Lebensglück, von einem harmonischen Zusammenspiel aller Naturkräfte zur Evolution des Lebens. Ich wollte die „Innigkeit und Intimität“ der Situation in keiner Weise stören, wandte mich schnell ab und ging meiner Wege.

Dieses Bild aber prägte sich in meiner Seele ein und schuf mir, wenn ich es mit der Ungewissheit und der gefühlten Vergeblichkeit meiner Liebe verglich, große Leiden. Ganz hoffnungslos war ich aber dennoch nicht, weil ich mir von unserer Begegnung bei dem Konzert des Vegh-Quartettes noch eine Chance versprach. Hierbei konnte sich noch alles zum Guten wenden. Und ich legte mir eine sehr wohlgesetzte Rede zurecht, die ich unbedingt noch vor Beginn des Konzertes vortragen wollte und in der ich die ganze Bandbreite meiner Liebesbereitschaft mit allen Konsequenzen bis zur diamantenen Hochzeit darzulegen gedachte.

Seltsamerweise kam ich aber nicht darauf, dass einem Erfolg meines Werbens die Unbedingtheit und Leidenschaftlichkeit meiner Liebe am meisten im Wege standen und dass es mir nicht gelang, mich in die Situation der jungen Frau hineinzuversetzen, für die ich eine Bekanntschaft unter vielen war und der gegenüber ich mich auch derart „locker“ und unverbindlich hätte benehmen müssen. Vielleicht wäre ihr meine Gegenwart dann erträglicher gewesen und hätte sich mit der Zeit so etwas wie Kameradschaft und Freundschaft – vielleicht sogar mehr – entwickeln können. Aber so stellte ich einfach zu hohe amouröse Ansprüche an sie, die sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in keiner Weise erfüllen konnte und wollte. Ich war von der realen Situation der jungen Frau und von meiner realen Situation meilenweit entfernt in einem Land der Träume, der Ideale und der heldischen Leidenschaften.

Somit musste es also zum endgültigen Konflikt und Bruch zweier völlig gegensätzlich gestimmter und in ihrer Entwicklung und Reife sich weit voneinander entfernt befindender Personen kommen. Für mich bedeutete die Verabredung fast so etwas wie eine Verlobung und ein gewaltiges Glück. Für sie war es ein Abendunterhaltungsprogramm unter vielen gleichartigen anderen. Das Zusammentreffen mit mir bedeutete ihr nichts Besonderes. Dementsprechend kamen wir auch in zwei völlig unterschiedlichen Aufzügen und Verfassungen in den Musikvereinssaal. Ich hatte meinen schwarzen Anzug angezogen, war schon eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung da und wartete draußen auf sie, weil ich – wie gesagt – noch unbedingt vor dem Konzert und außerhalb des Saales meine Rede anbringen wollte. Sie kam in Anorak und Jeans in letzter Sekunde mit Kollegtasche aus dem germanistischen Seminar, wo sie noch ihren Hilfsassistentenjob ausgeübt hatte. Sie ärgerte sich, dass ich keine Plätze für uns freigehalten hatte und wir auf Treppenstufen sitzen mussten, um das Konzert zu verfolgen. Ich ärgerte mich, dass sie so spät gekommen war und mir keine Gelegenheit zu einer Aussprache gegeben hatte. Selbst das Engelkonzert des Vegh-Quartetts konnte die erneut bemerkbare nervöse Reizbarkeit und schlechte Laune meiner Herzensbeherrscherin nicht vertreiben.

In der Pause stritten wir uns über unsere unterschiedlichen Auffassungen von der gehörten Musik, schönen Haydn-Quartetten, die das Vegh-Quartett sehr musikantisch und beseelt vorgetragen hatte. Die Folge war, sie lehnte es nach dem Konzert kategorisch ab, sich von mir nach Hause begleiten zu lassen. Sie hatte auch vorausschauenderweise ihr Rad mitgebracht, auf das sie sich ohne weiteres schwang und entschwand. Dass dieser Vorgang das Ende dieser Beziehung bedeutete, spürte ich im selben Augenblick.

Mein Gefühl hatte mich nicht getrogen. Die junge Frau war für mich in der Folgezeit nicht mehr zu sprechen. Für mich begann eine lange Leidenszeit, aber schließlich wurde ich durch diese Erfahrung von einer Form der Liebe geheilt, die man auch als Hörigkeit bezeichnen kann. Mit der Konsequenz, mit der die junge Frau den Kontakt zu mir abbrach, hat sie aus meiner heutigen Sicht viel Charakter und Anständigkeit bewiesen. Denn wenn sie zynisch gewesen wäre, sie hätte mich ausnehmen können wie eine goldene Gans.

Aus dem Leben eines Liebhabers

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