Читать книгу Häuschen in der Grube - Jana Auerswald - Страница 10
ОглавлениеStraßenbegleitbegrünungsvorschriften
Am darauffolgenden Sonntag hatten mein Mann und ich endlich Zeit, uns in die Unterlagen des Bauamtes zu vertiefen. Draußen tobte ein Unwetter und klatschte schweren Eismatsch an die Scheiben und auf die ersten Krokusse im Blumenkasten auf der Fensterbank. Wir machten es uns im Bett bequem, umringt von Plänen, Vorschriften und Richtlinien.
Ich vergrub mich im Daunenberg und lauschte meinem Mann, der sich die Bebauungsvorschriften vorgenommen hatte.
»Tankstellen sind nicht erlaubt, Sporteinrichtungen auch nicht, und Kirchen schon gar nicht.«
»Wie schade, eine Kirche wäre doch mal was.« Ich lachte, nippte am Cappuccino und wischte mir mit dem Handrücken den Schaum vom Mund.
Mein Mann deutete mit dem Zeigefinger auf das Papier. »Hier, hör mal: ›Die die Straße säumende Straßenbegleitbegrünung ist mit standortgerechten Laubbäumen vorzunehmen‹, steht da.« Er blätterte eine Seite weiter. »Dieser Grünordnungsplan hier scheint genau vorzuschreiben, was die Art, Zahl und die Größe der Bäume und Sträucher angeht, die zu pflanzen sind.«
Ich lachte. »Na, zum Glück reichen die Pflanzvorschriften nicht noch bis zu den Stiefmütterchen und zur Kräuterschnecke. So viel Freiraum lässt man den Häuslebauern und Gartenanlegern dann doch.«
Während ich mich noch amüsierte, las mein Mann weiter. Ich vernahm Begriffe wie Grundflächenzahl, Anzahl der Vollgeschosse und Traufhöhe.
»Traufhöhe? Was soll das sein?«, hakte ich nach.
»Warte, das kann ich dir gleich sagen.« Mein Mann zückte sein Smartphone, wischte und tippte darauf herum: »Hier steht es: ›Die Traufhöhe ist das Maß zwischen der Bezugshöhe und dem Schnittpunkt der Außenwand mit der Oberkante der Dachhaut, das senkrecht an der Außenwand gemessen wird.‹ Alles klar?«
»Hat ein Dach eine Haut? Das steht den ganzen Tag in der prallen Sonne!«, sagte ich. »Und schreiben die einem mit dieser Bezugshöhe etwa vor, in welcher Etage die Möbelleute alles ins Haus schleppen?«
Mein Mann verdrehte die Augen. »Blödsinn. Die Bezugshöhe ist die Höhe der Häuser. Das muss schon festgelegt werden, damit nicht jeder so baut, wie es ihm gerade passt.« Er blätterte weiter, las stumm und stutzte. »Hier steht, irgendein Bezugspunkt wäre OK Straße.« Dabei zog er das Okay und die Straße deutlich in die Länge.
Mir war nicht klar, warum in diesem Behördenpapier nicht nur ein grammatikalischer Schnitzer enthalten war, sondern vor allem, warum eine so laxe Sprache verwendet und ein gewisser Bezugspunkt salopp mit Okay durchgewunken wurde.
Mein Mann legte den Papierstapel neben seinem Bett auf den Boden und wir beugten uns gemeinsam über den zeichnerischen Teil der Bauvorschriften. Der Plan schrieb die Firstrichtung der Dächer vor, deren Neigungswinkel und die Lage und Größe der Baufenster. Es gab Linien, an die gebaut werden durfte, und andere, an die gebaut werden musste. Außerdem wurde eine offene Bauweise angeordnet, wobei mir fraglich schien, was offen im Zusammenhang mit Häusern bedeutete: Entweder hatte ein Haus Wände und ein Dach oder eben nicht.
Ich ließ das alles auf mich wirken, ohne recht zu wissen, was im Einzelnen damit gemeint war. Die Vorgaben klangen restriktiv, aber realisierbar.
Mein Mann schwang die Beine aus dem Bett und trottete in Richtung Küche. Als er wenig später mit der nächsten Runde Kaffee zurückkehrte, sich in seine Kissen zurücksinken ließ und Milchschaum schlürfte, schnappte ich mir die Vergaberichtlinien.
»Die wollen da scheinbar nicht jeden haben. ›Grundsätzlich werden die Baugrundstücke nur an Seelbrucher Bürger verkauft, die hier seit mindestens fünf Jahren ihren Hauptwohnsitz haben. Auch Auswärtige haben eine Chance, wenn sie vorher längere Zeit in Seelbruch gewohnt und ihre Beziehung zum Ort nicht abgebrochen haben.‹ Was soll das wieder heißen? Wie halte ich meine Beziehungen zum Ort aufrecht, wenn ich nicht mehr hier wohne?«
Mein Mann lachte herzhaft. »Du musst dem Bürgermeister jedes Jahr ein Urlaubskärtchen aus Mallorca schicken. Oder du lässt dich einmal im Jahr blicken und bringst dich beim Maibaumstellen aktiv ins Gemeindeleben ein, indem du den Bierumsatz steigerst.«
»Kein Problem«, sagte ich und lachte. »Hier steht außerdem, dass zwei Jahre nach der Beurkundung mit dem Bau begonnen werden muss, und zwei Jahre später soll das Haus bezugsfertig sein. Wer sich nicht daran hält, muss das Grundstück an die Gemeinde zurückgeben. Die Kosten trägt der Käufer.«
Das war streng. Damals wussten wir nicht, dass diese Vorschrift nur für Auswärtige galt und für diejenigen, die zu feige waren, sich darüber hinwegzusetzen, denn einige von Einheimischen erworbene Grundstücke waren auch Jahre nach dem Verkauf noch nicht bebaut worden. Wann man damit beginnen würde, stand in den Sternen – jedenfalls nicht in den Bauvorschriften.
Mein Mann leerte seine Tasse, stellte sie beiseite und ließ sich mit einem tiefen Seufzer in die Kissen zurücksinken. »Sei ehrlich: Sollen wir das wirklich durchziehen? Hier ist es doch auch nett. Sollen wir das alles, was wir hier geschaffen haben, einfach aufgeben?«
Ich traute meinen Ohren nicht. Er ging zurück auf Los. Jetzt galt es, diplomatisch vorzugehen, damit die Baupläne nicht schon an diesem Punkt scheiterten.
»Machen wir es doch so«, schlug ich vor. »Wir stellen den Antrag und warten ab, was passiert. Erhält ein anderer den Zuschlag, vergessen wir die ganze Sache. Und wenn wir gewinnen, haben wir bis zum Notartermin noch jede Möglichkeit, zurückzurudern«, winkte ich mit dem Hintertürchen.
In diesem Moment wummerten in der Nachbarschaft dumpfe Bässe los, dann setzte das Jammern eines Saxofons ein. Mein Mann verdrehte die Augen nach oben und seufzte schwer. »Also gut, ich bin dabei. Lass uns das machen.«
Das Unwetter hatte sich verzogen und so beschlossen wir, das Wunschgrundstück in Augenschein zu nehmen. Die durch den Lärm der Nachbarn erwachten Kinder parkten wir vor dem Fernseher, denn vorerst sollte niemand von unseren Plänen erfahren, nicht einmal sie.
Das Baugebiet schmiegte sich in T-Form an ein etwas älteres Wohngebiet und führte links und rechts in zwei Stichstraßen, die beidseitig von Bauplätzen gesäumt wurden. Unser favorisiertes Grundstück lag am Ende einer dieser Stichstraßen. Als ich dort stand, verliebte ich mich augenblicklich in dieses Fleckchen Erde. Die durch die Wolkenfetzen brechende Sonne ließ Regentropfen auf den Schilfröhrichten glitzern, die in den Wasserlachen ringsherum auf den Baugrundstücken gediehen. An einer Seite führte in weitem Bogen ein von mächtigen Eichen und Ahornbäumen gesäumter Asphaltweg entlang, auf dem ich in einiger Entfernung zwei Hunde mit ihrem Herrchen spazierenrennen sah. Über den Feldern schwebte Regendunst und von einer nahen Trauerweide klang das Flöten eines Sumpfrohrsängers herüber. Dieser Ort war perfekt zum Wohnen. Hier würde ich die nächsten Jahrzehnte meines Erdendaseins im Kreis meiner Lieben und in purer Glückseligkeit verbringen. Was gab es Schöneres.
»Nett«, sagte mein Mann und schaute in die Landschaft. Auch er war also begeistert.
Zurück in der Bestandsimmobilie füllten wir das Formular aus und zählten die Punkte zusammen. Hier die Liste:
⌂ Pro Aufenthaltsjahr im Dorf 1 Punkt: gesamt 8
⌂ Jeder Mitbewerber (z.B. Ehepartner) 25 Punkte: gesamt 25
⌂ Sind die Partner verheiratet 10 Punkte: gesamt 10
⌂ Jedes minderjährige Kind im Haushalt 20 Punkte: gesamt 60
Ergebnis: 103 Punkte
Die Fakten lagen auf dem Tisch, mehr war nicht drin. Es gab keine unehelichen Kinder, und das Geldköfferchen mit der Bestechungsmillion war gerade auch nicht zur Hand. Doch so übel war diese Punktzahl nicht.
Gleich am nächsten Morgen eilte ich zum Bauamt und warf den Antrag noch vor den regulären Öffnungszeiten in den Briefkasten. Nun hieß es warten. Und obwohl so viele Bewerber im Rennen waren, hoffte ich, bald Bauherrin zu sein.