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Der Floh im Ohr

Seelbruch ist ein bescheidenes Dorf im Oberrheingraben. Entlang der Ackerflächen führt eine Straße hakenschlagend in den Ort hinein, hindurch und ebenso wieder hinaus, um nach zwei Biegungen abrupt vor dem Ufer des Rheins zu enden. Das Ausland, wie die Hiesigen den Landstrich auf der anderen Seite des Stromes nennen, erreicht man mit der Fähre oder einige Kilometer entfernt über eine Brücke, die zu den Pendlerzeiten chronisch verstopft ist – noch mehr, wenn sie monatelang saniert wird.

Seelbruch hatte sich vor acht Jahren für uns entschieden, als mein Mann eine Stelle auf der ausländischen Rheinseite gefunden hatte und wir wenig später eine Bleibe für unsere junge Familie auf dieser, zum Wohnen günstigeren Seite des Flusses: ein Haus aus den Siebzigern des letzten Jahrhunderts, mit Renovierungsstau, aber einer Menge Potenzial. Seitdem wir hier lebten, versuchten wir, den Status der Zugezogenen abzulegen und uns harmonisch in die Dorfgemeinschaft einzufügen, was – wenn es je gelingt – schon mal einige Generationen dauern kann. Solch zarte Bande gibt man nicht leicht auf, vor allem dann nicht, wenn man Kinder hat, die mit ihren Freunden im Dorf aufwachsen und für die es ihre Heimat ist. Für uns stand fest: Wir wollten in Seelbruch bleiben.

In den folgenden Tagen begab ich mich auf die Suche nach einem neuen Zuhause für unsere Familie, fragte die Nachbarn, stöberte in Zeitungen und durchsuchte im Internet unzählige Immobilienportale und Webseiten von Maklern.

Das Angebot war ernüchternd. Nach den ersten Besichtigungen waren mein Mann und ich entsetzt, was Interessenten auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf alles zugemutet wurde: Sämtliche Behausungen lagen verkehrsUNgünstig. Sie kamen gebrechlich und elend daher und verströmten muffig ihre prähistorische Aura. Die Elektroanlagen waren marode, Fensterrahmen wurmstichig. Bäder in moosgrün oder gar grellorange sowie Deckentäfelungen in dunkler Eiche begleiteten unsere Suche ebenso wie verschlissene Tapeten mit Rauten. Klapprige Türen gaben sich ein Stelldichein mit bröckelnder Fassade, Fußbodenbeläge mit fleckenresistenten Mustern bildeten eine Allianz mit antiquierten Rippen-Heizkörpern. Energetisch dümpelten alle Objekte jenseits der Energieeffizienzklasse H herum, sodass findigen Maklern nichts anderes übrig blieb, als Interessenten mit dem enormen Potenzial zu umgarnen, als ideal für Handwerker. Sie lockten mit der idyllischen Lage, mit nahen Wanderwegen in der Natur sowie mit der Nähe zur Praxis des Allgemeinarztes. Dass in der Praxis längst kein Arzt mehr praktizierte, wurde geflissentlich verschwiegen.

»Die spinnen! Wahrscheinlich suchen die alle schon seit Jahren nach einem Käufer für diese schäbigen Bruchbuden! Die will doch keiner haben – und schon gar nicht zu den Preisen!«, regte sich mein Mann einige Tage später auf, als er auf dem Rückweg von der Arbeit eine weitere Besichtigung hinter sich gebracht hatte.

Ich saß mit meiner besten Freundin Paula am Küchentisch, wo wir uns die nächste Runde Aperol Spritz zusammenmixten, wobei sich das Mischverhältnis zunehmend von Spritz in Richtung Aperol verschob.

»Wenn wir eine von diesen Hütten kaufen, fangen wir wieder bei null an und renovieren jahrelang herum«, schimpfte mein Mann und ließ sich auf einen Stuhl sinken.

Ich sah ihn nachdenklich an und nippte an meinem Glas. Er hatte recht. In den letzten Jahren hatten wir unser Haus aufwendig renoviert und uns ein gemütliches Heim geschaffen. Wir hatten nicht nur die dunkle Deckenverkleidung rausgerissen und alle Wände tapeziert und gestrichen, wir hatten auch den Parkettboden abgeschliffen, frisch geölt und in den übrigen Räumen neue Fliesen kleben lassen. Den Bädern hatten wir eine Verjüngungskur gegönnt und der Treppe Stufen aus kanadischem Ahorn. Doch nicht nur das: Inzwischen sammelte eine Solaranlage auf dem Dach die Sonnenenergie ein und speiste die Wärme zusammen mit dem wasserführenden Kaminofen in den Pufferspeicher im Keller ein. Kurz: Unser Heim war kein Vergleich mehr zu dem, das wir vor Jahren übernommen hatten. Wenigstens stünden damit die Chancen, es zu einem attraktiven Preis zu verkaufen, nicht schlecht.

»Ischelf euch beim renoviern.« Paula nahm einen gierigen Schluck aus ihrem Glas und stellte es wieder ab. »Wände streichn gannich ssso schwer sssein.«

»Du, lass mal lieber«, bremste ich ihren Eifer aus. »Ich habe auch keine Lust mehr auf Handwerker, Staub und Lärm. Wenn wir umziehen, soll diesmal alles fertig sein.«

»Aber was sollen wir dann machen?«, seufzte mein Mann. »Was wir suchen, ist nicht aufzutreiben, zumindest nicht, wenn wir hier im Dorf bleiben wollen.«

Gedankenversunken stapelte ich die Bausteine auf der Tischplatte übereinander, die die Kinder hier liegengelassen hatten. Da kam mir eine Idee. »Und wenn wir bauen?«

»Du sbinnscht«, platzte Paula heraus, überzeugte Mieterin, die die Spießigkeit der Häuslebauer, ja jeglichen Besitz generell verabscheute und als Imponiergehabe abtat.

Auch mein Mann schien nicht begeistert zu sein. Er schüttelte den Kopf. »Ne. Nicht mit mir. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie stressig Bauen sein kann?«

»So schwer kann das nicht sein. Das haben andere auch schon geschafft!«

»Vergiss es. Ein Hausbau ist ein gewaltiges Projekt, das kostet Zeit, Nerven und einen Haufen Geld. Und es geht immer etwas schief.«

»Vielleicht ist es ja nicht so schlimm«, widersprach ich. Sprangen in der Werbung nicht immer Häuslebauer vor der Kamera herum, die ihr Glück kaum fassen konnten, während Kind und Hund auf dem frischgrünen Rasen herumtollten?

Für meinen Mann war das Thema abgehakt, er schlurfte zum Sofa und machte es sich vor dem Fernseher gemütlich.

Paula leerte ihr Glas in einem Zug. »Isch geh dannauch malll.« Sie fiel mir zum Abschied um den Hals und war wenig später weg.

Die Idee blieb. Ich fand sie großartig, von Anfang an.

In den nächsten Tagen ließ ich wiederholt Bemerkungen zum Thema fallen. »Schatzilein, wenn wir neu bauen, müssen wir nicht mehr hinnehmen, was andere an unserem Geschmack vorbeigebaut haben. Dann können wir alles genauso machen, wie wir es wollen.«

Mein Mann nickte, aber er sagte nichts.

Hatten sich unsere Jungs einen erbitterten Kampf geliefert und schworen beide trotzig, nie, wirklich nie wieder miteinander zu spielen, sprach ich zu meinem Mann: »In einem neuen Haus hätte jedes Kind ein eigenes Zimmer und diese Streitereien wären endlich vorbei.«

Mein Mann sagte nichts.

»Außerdem wären wir Theodor und Thekla los, wenn wir umziehen. Wäre das nicht schön?«

Mein Mann nickte. Ein wenig. Er brauchte länger, um sich mit der Idee anzufreunden. Die Vorstellung musste erst reifen – wie guter Wein, oder wie guter Käse.

Als an einem dieser Tage der Heizöllaster davondonnerte und mein Mann sich mit der Rechnung in der Hand die Haare raufte, sagte ich: »Stell dir einmal vor, wie viel Energie wir mit einem Neubau sparen könnten.«

»Vielleicht«, sprach mein Mann und seine Augen leuchteten.

Energiesparen – das musste das Zauberwort gewesen sein. Und so kam er wenige Tage später selbst auf das Thema zu sprechen. »Hast du schon von intelligenter Haussteuerung gehört? Das ist eine ganz feine Sache. Und falls wir tatsächlich jemals bauen, brauchen wir eine Wärmerückgewinnung mit kontrollierter Frischluftzufuhr. Und auf das Dach gehört eine ordentliche Solaranlage. Alles auf dem neuesten Stand der Technik.«

Er hatte angebissen.

»Du hast recht«, sagte ich, denn recht geben ist strategisch immer gut. »Energetisch kann man bestimmt ganz tolle Sachen machen.«

Mein Mann nickte und strahlte.

Auf das Schönreden folgte das Schönrechnen. In den nächsten Tagen listeten wir in einer Excel-Tabelle die Kosten auf, bis wir zu dem Ergebnis kamen, dass ein Neubau sogar günstiger wäre als der Kauf und die Renovierung eines gebrauchten Hauses.

Damit stand unser Entschluss fest: Wir bauen. Keiner ahnte, dass es ein Haus aus Stolpersteinen werden würde.

Häuschen in der Grube

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