Читать книгу Häuschen in der Grube - Jana Auerswald - Страница 9
ОглавлениеBeamte haben es nicht leicht
Wer ein Stück Land sein Eigen nennen und sich häuslich niederlassen möchte, hat drei Möglichkeiten:
Nummer eins:
Er erkundigt sich bei der Gemeinde oder der Stadt, dort gibt man bisweilen Bauland frei. Haben die Vorbesitzer mehr oder weniger freiwillig das Feld geräumt und stehen dem Vorhaben keine Wanderpfade einer Europäischen Schaufelfußkröte oder Einflugschneisen eines reviertreuen Storchenpaares im Weg, wird erschlossen und verkauft.
Nummer zwei:
Er kontaktiert Makler, hört sich in der Nachbarschaft um und durchkämmt das Wochenblatt in der Hoffnung, einen Glückstreffer, also eine Liegenschaft in Traumlage und zum Traumpreis zu ergattern.
Nummer drei:
Er ist ein Einheimischer, dessen Vorfahren seit Beginn der Besiedlung während der Bronzezeit an diesem Ort leben und der in die regionalen Seilschaften verstrickt ist. Engagiert er sich obendrein im örtlichen Karnevalsverein, bei den Freitagswürflern und im Förderkreis für Heimatpflege, gibt es für ihn Land im vereinfachten Vergabeverfahren und mit Klüngelbonus.
Wir waren Zugezogene, der Härtefall sozusagen; für uns kamen nur die ersten beiden Möglichkeiten in Betracht.
Bei Maklern hatten wir keinen Erfolg. Das Angebot im Wochenblatt war lausig. Und der private Erwerb freier Baulücken im Ort scheiterte daran, dass Hiesige niemals Grund und Boden hergeben. Im Gegenteil: Wo sich eine Chance ergibt, kauft man dazu, für sich selbst oder für den Nachwuchs, um damit den Einheimischenstatus kommender Generationen zu sichern und um schon heute zu wissen, wo die Kinder und die Kindeskinder künftig ihre Unterhosen auf der Wäscheleine flattern lassen werden.
Uns interessierte ein Neubaugebiet am Rand von Seelbruch, und so steuerte ich wenige Tage später das Bauamt der Gemeinde an, um das Angebot zu sondieren.
Das heruntergekommene Fachwerkhaus, das die Baubeamten beherbergte, war winzig und windschief. Mich beschlich ein beklemmendes Gefühl, als das massive Eichenportal hinter mir ins Schloss fiel. Ich fand mich in einem düsteren Treppenhaus wieder, in dem eine weitere Tür in einen dahinterliegenden Flur führte. Dort wurden Kopierer und Aktenschränke von unzähligen Kartons belagert, sodass an ein Durchkommen nur zu denken war, wenn man seinen BMI im Griff hatte. Zwischen den Kartonbergen gingen Türen ab, die allesamt offenstanden.
Vielleicht würde die bedrückende Atmosphäre den zuständigen Sachbearbeiter dazu bewegen, aus der eigenen Zwangslage heraus jedes Neubauvorhaben als Zukunftsvision turbobeschleunigt zu bearbeiten, dachte ich mir und betrat entschlossen den ersten Raum zu meiner Rechten.
»Einen wunderschönen guten Morgen, die Herren«, rief ich. »Wo kann ich hier ein Grundstück kaufen?«
Zwei Mitarbeiter saßen links und rechts an einem Schreibtisch vor flimmernden Monitorklötzen aus dem letzten Jahrhundert und gafften mich an, als wäre ich ein plattgefahrenes Tier.
»Ich möchte wissen, wo es in Seelbruch freie Bauplätze gibt und was ich tun muss, um einen davon käuflich zu erwerben«, versuchte ich es erneut.
Immer noch keine Regung. Mein Auftauchen hatte sie offenbar völlig überrumpelt. Waren die beiden taubstumm? Oder nur Dekoration?
»Hier – bei mir«, vernahm ich eine Stimme aus dem Off, besser gesagt, von der anderen Seite des Flures.
Ich verließ das Büro, betrat die gegenüberliegende Amtsstube und erblickte im fahlen Licht zwischen Aktenstapeln und Ordnerbergen einen gramgebeugten Mann mit einem Walrossschnauzer.
»Sehr schön«, freute ich mich über das unverhoffte Entgegenkommen, erwiderte einen schlaffen Händedruck und ließ mich auf dem wurmstichigen Stuhl gegenüber seinem Schreibtisch nieder. »Mein Mann und ich wollen einen Bauplatz in Seelbruch kaufen. Ich nehme ihn gleich mit, am Stück, nicht in Scheiben. Und packen Sie ihn mir bitte ein«, versuchte ich, mit einem Scherz die trostlose Atmosphäre aufzulockern.
Der absolut humorresistente Herr ging jedoch nicht auf meine Bemerkung ein, offenbar hatte ich eine komplett spaßfreie Zone betreten.
»Das ist nicht so einfach, wie Sie denken«, brummte er nur.
Warum es nicht einfach sei, verriet er mir nicht, sondern verschwand wortlos durch eine offenstehende Nebentür.
Ich saß da, wartete, nichts geschah. Von irgendwoher vernahm ich das Rascheln von Papier und ein herzhaftes Gähnen. Ich nutzte die Gelegenheit, um etwas Licht in das Dunkel dieses Raumes zu bringen und zog einen Holzrollladen ein Stück nach oben, dessen alte Lamellen dabei störrisch ächzten. Doch was ich dann erblickte, war auch nicht besser: Das Zimmer machte einen total abgestimmten Eindruck: Die aluminiumgrauen Aktenschränke passten farblich zu den zementgrauen Wänden und wurden nur von den staubgrauen Vorhängen getoppt, was in dem Fall aber auch am mangelnden Budget für das Reinigungspersonal liegen konnte. An einer freien Wand hing der Kunstdruck eines abstrakten Gemäldes, offenbar von einem Künstler mit posttraumatischer Belastungsstörung gemalt, der der Welt sein Innerstes hatte präsentieren wollen, während er sich in einer ausgeprägten depressiven Stimmung mit Suizidabsicht befand und so schnell keinen Termin bei einem Therapeuten bekommen hatte. Schwarzgraue Farbschlieren rangen verzweifelt miteinander auf der Flucht vor einer blutroten Lache aus aggressivem Gemetzel in der Mitte des Bildes. Dieses Seelengemälde war vermutlich das einzige Aufregende zwischen diesen vier Wänden. Fast tat mir der zuständige Beamte leid. Da war er schon zurück.
Er schob auf dem Schreibtisch mehrere Aktenstapel zur Seite, die bedrohlich schwankten und zu kollabieren drohten, faltete dann umständlich einen Plan auseinander und breitete ihn zwischen den Aktenbergen aus.
»Wir bieten noch zwei günstige Bauplätze in Jöhlsmoor und in Hinterschluffenhausen an. Wäre das etwas für Sie?«
Ich wollte mich mit meiner Familie weder in Jöhlsmoor noch in Hinterschluffenhausen niederlassen, winzige Käffer mitten in der Pampa, dreißig Kühe, drei Einwohner, null Geschäfte.
»Eigentlich nicht«, lehnte ich das Angebot daher höflich ab. »Für uns kommt nur Seelbruch infrage.«
Der Beamte seufzte und entfaltete umständlich den zweiten Plan.
»Hier ist das neue Baugebiet in Seelbruch. Und hier …«, er hackte mit seinem dünnen Zeigefinger auf das Papier ein, »hier sehen Sie die letzten freien Bauplätze.«
Wir beugten uns gemeinsam über die Zeichnung. Eines dieser Rechtecke gefiel mir spontan am besten: ein Eckbauplatz mit Südausrichtung, an zwei Seiten mit echten Nachbarn, an zwei Seiten mit echter Natur. Über sechshundert Quadratmeter maß er, verriet der Plan. Damit war er deutlich größer als die heutzutage üblichen Parzellen, wo Bauherren das Haus meist so in ein schmales Baufenster hineinquetschen, dass sie zwangsläufig am Leben ihrer Nachbarn teilhaben und immer im Bilde sind, wann diese den Kühlschrank leer futtern, welche Horrorfilme sie sehen und welche Nachtwäsche sie tragen.
»Wenn Sie sich für ein Grundstück interessieren, müssen Sie ein Bewerbungsformular ausfüllen«, riss mich der Baubeamte aus meinen Gedanken und sah mich streng an. »Aber das ist nicht so einfach. Die Vergabe erfolgt mit einem Punktesystem. Das heißt, bei mehreren Bewerbern erhält der mit der höchsten Punktzahl den Zuschlag.«
»Was spielt alles eine Rolle?« Punkte. Wettbewerb. Meine Gier war geweckt.
»Zum Beispiel, wie viele Kinder Sie haben und ob Sie verheiratet sind.«
Mein Innerstes jubelte. Meine drei Kinder waren deutlich mehr als das eineinhalbe Kind, das eine Durchschnittsdeutsche statistisch zur Welt brachte. Und verheiratet war ich mit meinem Mann auch.
»Außerdem zählt, wie lange Sie in Seelbruch wohnen und ob Sie bereits Wohneigentum besitzen.«
Mein Innerstes kollabierte augenblicklich. Wir waren Eigenheimbesitzer, aber unser Aufenthalt in der Gemeinde beschränkte sich zu diesem Zeitpunkt auf knapp acht Jahre, was in der Zeitrechnung eines Einheimischen ein Witz war.
»Gibt es denn noch andere Bewerber?«, erkundigte ich mich in der Hoffnung, dass wir die einzigen Interessenten wären.
»Ja, die gibt es. Und nicht nur einen.« Er hackte mit dem Finger erneut auf den Plan ein, und zwar genau auf das Rechteck, das spontan meine Sympathie gewonnen hatte. »Für diesen Bauplatz gibt es sogar schon zwei Bewerber.«
Mein kollabiertes Innerstes blieb am Boden liegen.
»Für welchen Platz interessieren Sie sich denn am meisten?«
Ich tippte mit meinem Finger auf die Stelle des Planes, auf die noch wenige Augenblicke zuvor sein Finger niedergesaust war.
»Das ist lustig«, entgegnete er, lachte aber trotzdem nicht, sondern legte seine Beamtenstirn in Falten und kratzte sich am Bart. »Da bewirbt sich monatelang niemand, und nun sind es gleich drei auf einmal. Das können Sie vergessen. Da haben Sie keine Chance.«
Was für ein charmanter Zeitgenosse! Ich spürte, wie meine Zuversicht zu einem schwarzen Loch implodierte. Sollte unser Traum vom Eigenheim so schnell zerplatzen? Ich beschloss, den Gedanken zu verwerfen und mich nicht unterkriegen zu lassen. Möglicherweise sprangen die anderen noch ab. Oder wir gewannen das Punkterennen mit der Kinderzahl.
»Ach ja – ob Sie den Bauplatz, für den Sie sich bewerben, überhaupt bekommen, entscheidet der Gemeinderat in seiner nächsten Sitzung.«
Reichten die Punkte denn nicht aus, um zu gewinnen? »Und wann findet die nächste Sitzung statt?«
»Die letzte war erst vor zwei Tagen. Das kann also noch dauern, zumal die Osterfeiertage dazwischenliegen. Wenn Sie den Antrag jetzt stellen, wird in etwa sechs Wochen darüber entschieden werden.«
Sechs Wochen? Das ist eine lange Zeit. Ich bin ein spontaner Typ. Wenn ich etwas will, dann sofort und nicht Wochen oder Monate später.
Der Beamte erhob sich und kramte im Aktenschrank an der Rückwand herum. »Ich gebe Ihnen ein paar Unterlagen mit. Sie können sich dann alles in Ruhe überlegen.«
Während er wühlte, sortierte, lochte und tackerte, fiel mir noch etwas ein. »Gibt es bei diesem Bauplatz irgendetwas, das wir wissen oder beachten sollten?«
»Ja, schon. Warten Sie, ich suche es heraus«, sagte er, zog einen Ordner aus dem Regal und blätterte in den Seiten.
»Hier – da ist es. Aber das betrifft nicht das Grundstück, für das Sie sich interessieren. Auf dem Nachbargrundstück verläuft entlang der Grenzlinie eine Verrohrung. Dort darf auf einer Breite von drei Metern nicht gebaut werden. Die Gemeinde erhält außerdem ein dauerhaftes Geh- und Fahrrecht, muss also jederzeit dran können. Tiefwurzelnde Sträucher oder sogar Bäume dürfen hier nicht gepflanzt werden.«
Das fehlte noch, dass in zwanzig oder dreißig Jahren ein Bagger durch meinen hübsch angelegten und eingewachsenen Garten pflügt, die Blut-Berberitze, die Männertreu und den Langhaarigen Gebirgs-Thymian zunichtemacht, nur um ein schäbiges gemeindeeigenes Entwässerungsrohr zu reparieren. Gut, dass das ein anderes Grundstück betraf, dachte ich.
»Und ein Bodengutachten?«, fragte ich ihn. »Gibt es das?«
Er winkte ab. »Ich glaube nicht. Wenn es das gibt, dann höchstens im Archiv. Wenn Sie wollen, kann ich danach suchen lassen und Sie informieren, falls wir eins finden.«
»Tun Sie das.« Ich erhob mich. »Wir werden die Anträge zügig ausfüllen. Melden Sie sich, wenn wir die Zusage haben?«
»Die Zusage? Ha ha ha.« Diesmal lachte er doch. »Wir werden Sie benachrichtigen, wenn der Gemeinderat eine Entscheidung getroffen hat.«
Ich nickte und drückte zum Abschied eine schlaffe Hand. Im Vorbeigehen schenkte ich dem immer noch glotzenden Beamtenduo im Nachbarzimmer ein mitleidiges Lächeln und verließ mit einer Kopie der Vergaberichtlinien, den Verkaufsbedingungen und einem Auszug aus dem Bebauungsplan das beklemmende Etablissement in die Freiheit nach draußen.