Читать книгу Häuschen in der Grube - Jana Auerswald - Страница 12
ОглавлениеVon Plänen und Luftschlössern
Jetzt waren wir also Bauherren. Das klang nach Scharen von Handwerkern, die kommen und nach unseren bauherrlichen Pfeifen tanzen würden. Doch als Bauherr ist man zunächst planlos – in jeder Hinsicht.
Meine Jagd nach dem ultimativen Grundriss begann harmlos, als ich beim Wocheneinkauf im nahe gelegenen Supermarkt an einer Zeitschriftenwand vorbeischlenderte und mein Blick an den Hochglanzausgaben diverser Baumagazine hängen blieb. Fasziniert blätterte ich eine dieser Inspirationsquellen durch. Auf der einen Seite stand ein wilder Naturgarten mit der Architektur im Dialog, auf der anderen Seite schwebte über einem Felsen eine Glaskonstruktion, bei der fraglich war, wo sie ihren Halt hernahm. Ich entdeckte Niedrigenergiehäuser mit immensen rahmenlosen Fensterfronten. Die Umgebung schien gleich mit in das Designkonzept integriert worden zu sein, denn jedes dieser Domizile war umringt von weißen Stränden und dekorativer Brandung oder alternativ von imposanten Berglandschaften, wo auf saftig grünen Wiesen glückliche Kühe grasten. Mit unserem Bauplatz in der Rheinaue, gesäumt von alten Wildwuchsformationen, konnten wir damit nicht dienen. Aber man durfte nicht zu viel verlangen.
Eine andere Zeitschrift pries die Verwendung ehrlicher Materialien an, versprach durch ausgefeilte Beleuchtungskonzepte eine heimelige Stimmung am Abend und machte Appetit auf Eichenboden im Schokoladenton. Ein paar Seiten weiter wurde der Baustoff Holz modern interpretiert und ein Fensterband gelobte überraschende Ausblicke – wahrscheinlich darauf, wer gerade kam und ging. Auf der nächsten Seite thronte ein Wohnhaus am Hang und kehrte allen demonstrativ den Rücken zu. Bockiges Ding. Niemand hatte ihm etwas getan. Innen hingegen wirkte es offen, hier entfaltete sich modernes Wohnen über fünf Split-Level-Ebenen, zwischen denen sich waghalsige Treppenkreationen nach oben wanden. Alles war sparsam möbliert und herrlich aufgeräumt. Das wird kurz nach unserem Einzug auch so sein, dachte ich, aber spätestens nach einem Monat wird das übliche Familienchaos herrschen. Ich seufzte und blätterte weiter.
Es war kaum zu glauben, was sich alles machbar war: unzählige Varianten an Grundrissen, Küchenideen, Beleuchtungskonzepten. Doch nicht nur das: Auch pfiffige Wohntrends wie Upcycling waren in diesen Magazinen zu finden, wo man aus Alltagsdingen wie Weinkisten und Verpackungen Möbel und Accessoires zauberte.
Das Beste aber waren die Grundrissvorschläge. Wir könnten uns den optimalen aussuchen und ihn einfach in unser eigenes Baufenster einpassen, dachte ich mir, packte entschlossen zwei dieser Hefte in den Einkaufswagen und zahlte an der Kasse einen Preis, der mich schaudern ließ.
Dann fuhr ich zügig heim. Die Lebensmittel hatte ich vergessen.
Das Angebot an Grundrissen war ernüchternd. Ich hatte beide Zeitschriften schon bald durchgekämmt und nicht das Passende für uns gefunden, zumal viele Entwürfe auf magersüchtige Grundstücksfetzen zugeschnitten waren oder aber Dimensionen hatten, für deren Realisierung wir mindestens drei Bauplätze erwerben müssten. Unserer war quadratisch, praktisch, gut – es konnte nicht so schwierig sein, den geeigneten Grundriss zu finden, also suchte ich weiter. Ich arbeite freiberuflich, was den Vorteil hat, dass ich mir die Arbeitszeit frei einteilen kann. Tagsüber kann ich Zeitschriften durchkämmen oder am Rand der Baugrube stehend Luftschlösser hineinträumen, während mein Mann den Tag im Büro zubringt.
Der Zeitschriftenstapel neben dem Sofa nahm im Laufe der folgenden Wochen beachtliche Ausmaße an. Ich stöberte in der Bücherei und lieh alles, was es zum Thema gab. Wieder zu Hause angekommen prüfte ich jeden Grundriss auf Praktikabilität und Perfektion. Ich verbiss mich immer mehr in die Sache und verfiel in einen Grundrisswahn, den mein Mann mit einem Schulterzucken abtat. Jedes Mal, wenn ich überzeugt war, die ultimative Lösung gefunden zu haben, beharrte ich darauf, dass er ebenso begeistert sein sollte wie ich.
»Du musst dir das hier unbedingt ansehen. Das ist es! Es passt alles«, bekam er jedes Mal von mir zu hören.
»Hm, meinst du wirklich?«, manchmal auch »Na ja. Geht so« waren typische Antworten meines Mannes, dessen Enthusiasmus sich in Grenzen hielt.
»Freust du dich nicht?«, fragte ich dann, worauf er meist nur abwinkte. Er sah das Ganze pragmatisch. Es gab eine Lösung? Thema abgehakt.
Ich gab trotzdem nicht auf und hielt ihm fast täglich den perfekten Grundriss unter die Nase.
»Wir bauen auf jeden Fall eine Haustechnikzentrale ein«, sagte mein Mann wenige Tage später beim Abendessen. »Mit Lüftung, Sole-Wärmepumpe und Wärmerückgewinnung. So etwas braucht ein Niedrigenergiehaus einfach.«
»Aha.«
»Stell dir vor: Bei der Sole-Wärmepumpe wird die Erdwärme als Energiequelle genutzt. Die Wärme wird dem Erdreich entzogen und für die Heizung und die Warmwasserzubereitung verwendet.«
»Auch im Winter?«
»Gerade dann. Im Sommer musst du nicht heizen.« Er lächelte mich milde an.
Alter Schlaumeier. Dennoch fragte ich mich, wo der geschäftstüchtige Kollektor im Winter aus dem steinhart gefrorenen Boden die nötige Hitze herbekäme, um damit unser Haus und unsere Bauherrenseelen zu wärmen. »Aber ist das nicht wahnsinnig teuer?«
»Du musst das so sehen: Natürlich ist die Anlage etwas teurer als eine Luft-Wasser-Wärmepumpe zum Beispiel. Aber sie führt zu einer Wertsteigerung des Hauses.«
»Wenn wir es verkaufen.«
Mein Mann nickte.
Ich wollte nicht verkaufen. Ich wollte neu bauen und dort wohnen bleiben bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
»Und die Lüftung mit Wärmerückgewinnung und kontrollierter Frischluftzufuhr kannst du dir so vorstellen: Die Abluft geht nach draußen, aber nicht die Wärme. So sparen wir einen Haufen Energie und Heizkosten und haben immer perfektes Klima im Haus. Außerdem wird der Staub rausgefiltert, und die Feuchtigkeit nach draußen geleitet, was beides ideal ist für Allergiker, denn Schimmelpilze und Hausstaubmilben haben keine Chance.«
Das hörte sich großartig an.
»Aber das Beste kommt noch!«
Jetzt war ich gespannt.
»Auf das Dach lassen wir eine Fotovoltaikanlage bauen. Und eine Solaranlage. Damit nutzen wir die Sonnenenergie für die Erwärmung des Brauchwassers.«
»Sind eine Fotovoltaik- und eine Solaranlage nicht das Gleiche?«
»Keineswegs«, belehrte mich mein Mann gönnerhaft. »Eine Fotovoltaikanlage dient der Stromerzeugung. Mit den Solarzellen wird die Sonnenstrahlung in elektrische Energie umgewandelt. Diesen Strom verbrauchen wir selbst, der Rest wird mit der netzgekoppelten Anlage in das öffentliche Stromnetz eingespeist. Dafür bekommen wir eine ordentliche Vergütung. Nutzen wir das nicht, schmeißen wir jedes Jahr Geld zum Fenster raus.«
Wenn ich meinem Mann Glauben schenken durfte, würden wir mit all der Technik eine Menge Energie und Kosten sparen. Mehr noch: Wir würden richtig was verdienen an der Sache.
»Das geht natürlich nur mit einem Wechselrichter«, fuhr er fort.
»Ein Richter? Um Himmels willen! Was wollen wir mit einem Richter – und dann mit einem, der andauernd wechselt?«
»Nein, der wandelt den Gleichstrom der Fotovoltaikanlage in Wechselstrom um.«
»Können Richter das?«
Mein Mann verdrehte die Augen. Vermutlich überlegte er, ob das der perfekte Zeitpunkt wäre, aus der Argumentation auszusteigen, ließ den Gedanken aber offenbar fallen.
»Eine Alarmanlage mit Bewegungsmeldern bauen wir auch ein. Dann bekommen wir eine Nachricht, falls jemand einbrechen will. Außerdem brauchen wir einen Bus.«
»Dafür habe ich keinen Führerschein.« Ich fragte mich, ob es eine gute Idee war, mit dem Investieren anzufangen, wenn wir zu all dem einen Bus bräuchten.
Mein Mann blickte mich an. »Ein Bus? Das ist ein Bussystem. Und das ist was ganz Feines. Es wird nicht mehr verdrahtet, sondern programmiert. Du kannst dann mit einem Handy von überall aus auf der Welt die Rollläden hoch- und runterfahren, Aufnahmen von den Überwachungskameras sehen und zum Beispiel die Lampen im Haus ein- und ausschalten.«
»Auch von der Terrasse aus? Oder bei Paula? Oder wenn ich auf Kuba am Strand liege?«
»Ja, genau. Da staunst du, nicht wahr?«
Ich staunte. Wenn ich irgendwann auf einer Segeljacht durch die Karibik schippern würde, könnte ich mit einem Tippen auf mein Handy zu Hause die Beleuchtung, die Verschattung und die Kameras steuern. Und ein Auge auf meinen Mann haben. Das gefiel mir.
»Das intelligente Haus sozusagen.« Mein Mann lächelte selig.
»Hm, nicht schlecht.«
»Nicht schlecht? Das ist nett! Sogar richtig nett! Freust du dich nicht?«
Ich schmunzelte. Ich konnte ihn so gut verstehen.
In den folgenden Tagen und Wochen träumte sich mein Mann in eine schöne neue Eigenheimwelt hinein: mit einer kontrollierten Be- und Entlüftung, mit automatischer Regelung der Raumtemperatur sowie einer ausgeklügelten Licht- und Rollladensteuerung. Im Internet arbeitete er sich in Fotovoltaikrechner ein, prüfte die Wirtschaftlichkeit und verglich mögliche Erträge und Vergütungen. Er vertiefte sich in den Unterschied zwischen monokristallinen und polykristallinen Modulen, berechnete die optimale Dachneigung und die größtmögliche Dachfläche und spielte ernsthaft mit dem Gedanken, die Bauvorschriften zu umgehen und das Haus komplett nach Süden und diagonal im Baufenster auszurichten. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er auch die Dachfläche vergrößert, bis das Haus fast nur noch aus Dach bestand.
Beim Einkauf blieb mein Mann in den Buchläden stehen, fischte stapelweise Bücher zum Thema aus den Regalen und zahlte an der Kasse einen Preis, der mich schaudern ließ. Der Bücherstapel neben seinem Bett wuchs in den folgenden Wochen und nahm beachtliche Ausmaße an.
Ich sah das Ganze pragmatisch. Es gab eine Lösung? Thema abgehakt. Er gab trotzdem nicht auf und schwärmte fast täglich von weiteren energieoptimierenden und fernsteuerbaren Raffinessen.