Читать книгу Häuschen in der Grube - Jana Auerswald - Страница 11
ОглавлениеIch weiß etwas, was du nicht weißt
»Und?«
Ich stand an der Kasse des Lebensmittelladens und starrte die Kassiererin an, die mich als Zugezogene vorher nie eines Blickes gewürdigt, geschweige denn angesprochen hatte.
»Wie, und?«
»Erzähl mal.«
Was antwortet man auf so eine Frage? Die letzte Kotz-Durchfall-Welle der Kinder haben wir Gott sei Dank überstanden? Oder: Das mit meiner Affäre ist nur ein Gerücht?
»Wann gehtʼs los?«, beharrte die nicht kassierende Kassiererin, beugte sich vertraulich herüber und zwinkerte unbeholfen mit dem rechten Auge. »Na, wann ihr zu bauen anfangt.« Ihr Ton wurde ungeduldig.
»Äh …«
Ich war sprachlos. Keiner hatte von unseren Plänen erfahren, und das sollte auch so bleiben, solange wir die Zusage vom Bauamt nicht hatten. Ihre Frage konnte nur eines bedeuten: Mein Mann hatte geplaudert. Erster Unmut stieg in mir hoch, während ich hinter meinem Rücken vernahm, wie jemand verlangte, man solle eine zweite Kasse aufmachen. Das wunderte mich, da es nur eine gab.
Die Kassiererin verzog das Gesicht und hackte endlich den Preis für die Lasagne in die Tasten der Kasse. »Dreifuffzig«, murmelte sie, sichtlich enttäuscht, dass sie nicht mehr erfahren hatte.
Aber ich hatte mehr erfahren.
Beim Metzger lief es genauso, als ich das Hackfleisch für die Lasagne besorgen wollte.
»Naaaa …?«
Konnte denn kein Mensch im Dorf eine simple Frage stellen?
»Dreihundert Gramm gemischtes Hackfleisch, bitte«, sprach ich zu der Verkäuferin.
Die jedoch schien das nicht zu interessieren. Sie lehnte mit »Ich hab gehört, ihr wollt bauen?« ihren ausladenden Oberkörper auf die Glastheke, sodass die Vase, die darauf stand und an der an einigen dürren Zweigen Ostereier baumelten, bedrohlich schwankte.
»Ich weiß von nichts«, antwortete ich in dem Versuch, die Verbreitung des Gerüchtes zu stoppen, solange das überhaupt noch möglich wäre.
»Aber ihr habt doch den Bauplatz in der Rhein-Aue gekriegt, sagt der Fried-Jürgen.«
»Ach, der Fried-Jürgen!« Ich kannte weder den Fried noch den Jürgen. Aber die Neuigkeit war interessant.
»Genau der. Und die Inge hat mir gestern erzählt, dass ihr euer Haus schon verkauft habt.«
Auch das war mir neu.
»Wie viel habt ihr denn noch dafür gekriegt? Weißt du, mein Mann sagt immer: Jeden Morgen steht ein Depp auf, der den Preis für so eine alte Hütte bezahlt.«
Sie lachte. Ich lachte nicht. Endlich wurde ihr bewusst, dass sie sich verbal zu weit nach vorn gelehnt hatte. Ihre Gesichtszüge entgleisten, ihr Lachen erlosch. Dann klatschte sie einen Klumpen Hackfleisch auf einen Papierstreifen, wickelte ihn ein und reichte mir das Päckchen über die Theke.
»Dreifuffzig.«
Entweder war das heute der Einheitspreis oder ein Codewort für Insider.
Der Gemeinderat hatte uns also das Jawort gegeben. Wenn so viele davon wussten, musste etwas dran sein.
Kaum hatte ich die Metzgerei verlassen, rief ich meinen Lieblingssachbearbeiter beim Bauamt an. Nachdem es zehnmal geläutet hatte, ging der ans Telefon.
»Wir haben den Bauplatz? Ist das richtig?«
Er wusste gleich, wer in der Leitung war. »Ja, der Gemeinderat hat gestern in seiner nicht öffentlichen Sitzung beschlossen, dass Sie den Bauplatz haben können. Sie haben einen Punkt mehr als der nächste Mitbewerber.«
»Das ist wunderbar«, rief ich und vollführte einige Freudensprünge, ohne auf die skeptisch dreinblickenden Mitmenschen neben mir zu achten, die mit ihren Einkaufstaschen vorbeihasteten.
»Wir schicken Ihnen heute die Bestätigung raus, Sie sollten sie spätestens übermorgen in der Post haben. Die fehlenden Unterlagen holen Sie bitte in den nächsten Tagen hier im Bauamt ab. Inzwischen wird alles Weitere für den Notartermin vorbereitet.«
Der Sachbearbeiter wirkte heute fast euphorisch. War das eine große Amtshandlung für ihn? Oder hatte jemand seine Gardine gewaschen? Vielleicht hatte er einfach ein fröhlicheres Gemälde für seine triste Bürowand bekommen.
Da fiel mir etwas ein. »Aber was ist mit den übrigen Bewerbern?«
»Denen wird ein anderer, genauso schöner Bauplatz angeboten werden. Die müssen sich nicht noch einmal bewerben.«
Da war ich froh. Vor lauter Begeisterung vergaß ich zu fragen, wie es sein konnte, dass Entscheidungen des Gemeinderates in einer nicht öffentlichen Sitzung getroffen wurden und am nächsten Tag das halbe Dorf Bescheid wusste. Aber es war mir auch so klar: Direkt nach Sitzungsende wurden die engsten Verwandten informiert, was im Dorf praktisch die Hälfte der Einwohner war.
Kaum war das Gespräch beendet, rief ich meinen Mann an. »Schatz, wir haben es!«
Stille.
»Na, das Grundstück«, versuchte ich, ihm auf die Sprünge zu helfen und erwartete Jubel, wenigstens euphorisches Hmm-Sagen.
Nichts.
»Hallo … HALLO? Habe ich schon wieder kein Netz?«, brüllte ich mein Handy an und schüttelte es. Die Verbindung musste gekappt worden sein.
»Ich bin noch da. Wir haben die Zusage?«, fragte der Schatz, auf den meine Begeisterung nicht so recht überschwappte.
»Ja, es hat geklappt! Wir haben die Zusage! Aber du weißt ja: Bis zum Notartermin können wir immer noch zurückrudern und es uns anders überlegen!«, winkte ich erneut mit dem Hintertürchen, denn ich wollte unbedingt, dass sich dieser Schatz freute.
»Ja, das ist doch gut.«
Gut! Gut ist ein begrenzt aufregendes Wort, genauso wie nett. Wenn jemand nett ist, ist er weder interessant noch spitze, sondern akzeptabel, Durchschnitt, langweilig, gerade so in Ordnung. Und gut fiel in dieselbe Kategorie.
Ich ließ mir die Begeisterung nicht nehmen und lud meinen Mann spontan zum Abendessen bei unserem Lieblingsitaliener ein.
Jetzt, wo es eine Tatsache war, konnte ich nicht mehr an mich halten und beeilte mich, die Neuigkeit in der Welt zu verteilen, zumindest, soweit die Welt nicht ohnehin schon informiert war.
Die Reaktionen waren gemischt.
Meine Lieblingsnachbarin, Oma Liese, schüttelte verständnislos den Kopf, nachdem ich ihr von unserem Vorhaben erzählt hatte. »Nein, Kinder. Warum wollt ihr euch das antun? Von dort aus ist es so weit bis zum Einkaufen, zur Bank und zum Arzt. Warum macht ihr das?«
Ich konnte sie verstehen. In ihrem Alter waren kurze Wege zu Geschäften und Ärzten wichtig. Und die Nachbarn um einen herum, die im Notfall einen Notarzt rufen konnten. Uns hingegen reizten die Lage und der Blick in die freie Natur, und für die fünfhundert Meter bis ins Dorf hatten wir Beine und Fahrräder.
Auch meine Eltern waren nicht angetan von unseren Plänen. Sie hatten selbst gebaut und zehrten noch von ihren Erfahrungen.
»Muss das wirklich sein?«, fragten sie. »Ihr habt so viel renoviert an eurem Haus. Es ist richtig schön geworden.«
Recht hatten sie.
»Und ein Neubau kostet so viel. Wie wollt ihr das alles bezahlen?«
Zugegeben – das war nicht leicht. Aber machbar.
Emma, eine Bekannte, die mit ihrer Familie am anderen Ende des Neubaugebietes wohnte und erst vor Kurzem in ihr neues Haus eingezogen war, sprach mich an, als ich meine Tochter aus dem Kindergarten abholte und sie ihren Sohn.
»Na, da sind sie dieses Grundstück also endlich losgeworden. Wurde auch Zeit. Unseren Bauplatz wollten damals alle haben. Aber wir haben gewonnen!«
Sie lächelte triumphierend, nahm ihren Sohn an die Hand und ging ihrer Wege.
Paulas Meinung kannte ich schon. »Ach Leute, ihr habt jahrelang renoviert und euch mit den Handwerkern herumgeärgert. Ihr habt es wirklich schön hier. Was fehlt euch? Nichts.«
Aus ihrer Perspektive konnte man das so sehen – als Mieterin einer winzigen Einzimmerbleibe an einer viel befahrenen Durchgangsstraße im Nachbardorf. Für sie war es undenkbar, ein renoviertes Haus zu verkaufen, um sich ein neues zu bauen.
»Ich finde, ihr seid total bescheuert.«
Ich schätze Paulas Ehrlichkeit, hatte aber trotzdem gehofft, dass sie sich mit mir freuen würde. Doch ich verzieh ihr rasch, schließlich hatte mich das Baufieber gepackt.
Die Einzigen, die sich begeisterten, waren unsere Kinder. Spontan brachen sie in Jubelschreie aus und begannen, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen, unabhängig von kleinlichen Fragen wie Kosten oder Machbarkeit.
»Wie soll dein Zimmer aussehen?«, fragte ich Ramón, meinen ältesten Sohn.
»Einen Balkon zum Chillen draußen, mit Loungemöbeln. Drin ein XXL-Boxspring-Wasserbett, den größten versenkbaren Fernseher, den es gibt. An die Wand gegenüber ein Riesenposter mit Wolkenkratzern.« Er dachte nach. »Dann brauche ich megaviele Boxen und Lautsprecher mit megafettem Bass. Und megaschnelles Internet. LED-Beleuchtung – überall.«
Manuel war ebenso planungsfreudig.
»Ein Pool vor dem Fenster, damit ich von oben hineinspringen kann. Meine Piratenschiffe sollen dort schwimmen. Und an der Zimmerdecke soll ein riesiges Fenster sein, damit ich den Himmel und die Sterne sehen kann. Außerdem ein eigenes Bad, Beleuchtung um das Bett herum, neue Möbel.«
Auch Leonie hatte spezielle Wünsche.
»Eine lila Wand«, entschied sie. »Ein Hochbett, mit einer Kuschelecke darunter. Vorhänge davor.« Sie überlegte und drehte dabei eine ihrer blonden Locken zwischen den Fingern. » Ein Schminktisch mit Spiegel. Ein rotes Sofa. Und meine Froschlampe soll an die Wand, oben beim Bett.«
Die Kinder träumten von einem monumentalen, jederzeit mit Naschereien gefüllten Kühlschrank mit Eiswürfelbereiter. Sie sahen eine Kochinsel vor sich, an der sie zu allen Tages- und Nachtzeiten auf der einen Seite mit dem Besteck rasselten, während Mutti ihnen gut gelaunt auf der anderen Seite köstliche Mahlzeiten zauberte und hübsch dekoriert anreichte. Gemeinsam träumten wir von einer wundervollen Zukunft in einem Zuhause, das uns gehört und uns gefällt.
Sie sind einfach die besten Kinder dieser Welt.