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Vorwort

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Ruth von Kleist-Retzow wurde 1867 als Gräfin von Zedlitz und Trützschler geboren. Sie starb 1945, wenige Monate nachdem Deutschland besiegt und das Dritte Reich Adolf Hit­lers zerschlagen war. Ihr ganzes Leben verbrachte sie in Preußen östlich der Oder und Neiße, wo sich die feudale Gesellschaftsstruktur bis weit in das 20. Jahrhundert halten konnte.

Diese so konservative Umwelt formte eine Frau und eine Familie, die es nicht dabei bewenden ließen, den Nazis von Anfang an Widerstand zu leisten. Vielmehr beteiligten sich vier der engsten Familienmitglieder aktiv an Versuchen, Adolf Hitler zu töten und das Naziregime zu Fall zu bringen.

Das Leben Ruth von Kleist-Retzows sowie der Kreis derer, die sie inspirierte, erregte zunächst Aufsehen durch eini­ge, wie es schien, unzusammenhängende historische Anekdoten, unter anderem auch aus dem Leben Dietrich Bonhoeffers. Dieser deutsche Theologe war einer der Anführer der we­nigen, die dem Versuch der Nazis, die evangelische Kirche gleichzuschalten, energisch entgegentraten. Später gehörte er einer Verschwörung an, deren Ziel die Beseitigung Hitlers und der Nazis war. Sein Leben und sein Tod sowie seine umfangreichen Schriften stellen ein Vermächtnis dar, das noch heute in weiten Bereichen als Vorbild für gesellschaftliches und politisches Handeln Gültigkeit hat.

Ruth von Kleist-Retzow war es, die Bonhoeffer in seinen gegen die Nazis gerichteten religiösen Aktivitäten in den ers­ten Jahren der Naziherrschaft unterstützte. In diesen gefährlichen Zeiten entwickelte sich eine tiefe Freundschaft zwischen dem ledigen Theologen aus Berlin und der Matriarchin aus dem alten Preußen.

Im Laufe der Zeit führte Ruth ihn in ihrer Familie ein. Dadurch entstand die Verbindung zwischen der politischen Verschwörung in Berlin, zu der er gehörte, und der von ihrer Familie geprägten militärischen Verschwörung. Ruth stellte auch eine Verbindung privater Natur zwischen Bonhoeffer und ihrer Enkelin Maria von Wedemeyer her. Die später da­raus entstandene Liebe unterstützte sie. Als Bonhoeffer kurz vor dem Sieg über Deutschland im Mai 1945 von den Nazis hingerichtet wurde, waren die beiden verlobt und beabsichtigten zu heiraten.

Ein halbes Jahrhundert nach dem 2. Weltkrieg und Holocaust steht noch die Frage im Raum: Wie konnte aus diesem vermeintlich erzkonservativen, antidemokratischen und militaristischen, für die alten preußischen Gebiete typischen Milieu eine Familie hervorgehen, die sich in Deutschlands schwärzester Zeit so verhalten hat, wie es hier beschrieben wird – eine Familie, die nicht nur Hitlers und der Nazis wahre Natur sehr früh erkannt, sondern sie konsequent und oft sogar heroisch bis zum Ende bekämpft hat?

Wenn es auf diese Frage überhaupt eine eindeutige Antwort gibt, so liegt sie in der Lebensgeschichte von Ruth von Kleist-Retzow. Ihre Wurzeln reichen weit zurück, über ihr eigenes langes Leben hinaus. Die Anwesenheit Otto von Bismarcks, des Architekten des deutschen Nationalstaats, bei Ruths Taufe ist von symbolischer Bedeutung für ihren ge­samten Lebensweg. Ebenso zeugt die jahrhundertealte Verbindung zwischen ihrer Familie und der Familie ihres Mannes mit der preußischen und deutschen Monarchie von einer Loyalität, die die Monarchie selbst noch überdauerte.

Im 20. Jahrhundert, vor allem in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg, wurde die Geisteshaltung von Ruth und Gleichgesinnten zu einem Anachronismus. Diejenigen, die jahrhundertelang die deutsche Politik, die öffentliche Verwaltung und vor allem das Offizierskorps der Armee beherrscht hatten, verfielen während der kritischsten Jahre der um das Über­leben kämpfenden Weimarer Republik in Passivität. Einige weniger wohlwollende Betrachter der Geschichte würden sagen, sie hätten durch ihre Untätigkeit zum Fall der Republik und dadurch zum Erfolg Hitlers und den damit zusammenhängenden Gräueln beigetragen.

Dessen ungeachtet waren es genau die scheinbar altmodischen Tugenden zusammen mit ihrer tiefen Religiosität, die Ruth und andere Mitglieder ihrer Familie gegen Hitler und die Nazis fast von Anfang an opponieren ließen. Die Beteiligung von Ruths Familienangehörigen an der Verschwörung gegen Hitler und das Naziregime ist als eine logische Fortsetzung der Gedanken und Taten zu sehen, deren Wurzeln in der Chronik dieser Frau und ihrer Herkunft untersucht werden. Ihre Geschichte handelt von Konflikten, geteilten Lo­yalitäten, Tod und Zerstörung. Es ist jedoch auch eine Geschichte von Treue, Romantik und Liebe, in der Momente höchsten Glücks erfahren werden.

Diese Familiengeschichte zu schreiben, war für mich ein tiefes und bewegendes Erlebnis. Möge sie den Lesern ebenso viel bedeuten.

Jane Pejsa

Mit dem Mut einer Frau

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