Читать книгу Geburtstage sind noch lange kein Grund, älter zu werden - Janna Hagedorn - Страница 17
Bin ich schön? Ein offener Brief an einen verunsicherten Mann
ОглавлениеAls im Herbst 2017 die #MeToo-Debatte anhob, war bald klar: Diese Diskussion betrifft uns alle, ob Frauen oder Männer, ob zwanzig oder vierzig. Weil es darum geht, wie wir miteinander leben und arbeiten wollen, um Sex als unlauteres Machtmittel und alltägliche Kränkungen. Aber auch um unsere Körper, die so vieles sein können: eben nicht nur Transportmittel für unseren Kopf, sondern auch Lockstoff, Köder, Beute.
Aber es macht einen Unterschied, ob wir zwanzig oder vierzig sind. Und der hat zwei Seiten. Die gute zuerst: Je älter wir werden, desto weniger erleben wir diese klebrigen Situationen, die fast alle – auch ich! – aus jüngeren Jahren kennen. Das ist ein großer persönlicher Gewinn. Die andere Seite der Wahrheit: Es kann auch schmerzen, wenn die ständige Aufmerksamkeit nachlässt. Als Frau mit diesem »Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein«-Gefühl durch die Straße zu laufen, macht frei, und es deprimiert gleichzeitig. Weil man sich schon manchmal fragt: Sind die Männer einfach Gentlemen – oder registrieren sie mich mit dem ersten Blick als uninteressant, weil hart am Verfallsdatum? Die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen – keine forty-, sondern eine seventy-something – drückte es in einer Talkshow recht trocken so aus: »In meinem Alter bekommen Sie Komplimente nur noch für Ihre Leistung, nicht mehr für Ihr Aussehen – das ist auch nicht schön.«
Und weil es in dieser Frage um Körper geht und um uns Frauen genauso wie um die Männer, habe ich einem von ihnen einfach einen Brief geschrieben.
»Lieber unbekannter Mann,
danke für deine Frage. Seitdem alle über neuen Feminismus, alte Ungerechtigkeiten, Missbrauch und Geschlechterverhältnisse reden – und das wird auch nicht so schnell wieder aufhören! –, hast du sie so häufig gestellt, in sozialen Medien, in den Kommentarspalten der Nachrichtenseiten und auch abends an der Bar, dass ich den Eindruck habe, sie brennt dir wirklich auf den Nägeln. ›Darf ich jetzt keiner Frau mehr ein Kompliment machen, ohne als Sexist beschimpft zu werden?‹, fragtest du entrüstet, und viele pflichteten dir bei: ›Genau! So weit kommt’s noch!‹
Ich kenne dich nicht, und deshalb bin ich nicht sicher, was hinter deiner empörten Frage steckt. Vielleicht ist es wirklich so ein hemdsärmeliges ›Die sollen sich nicht so haben, die Weiber‹, und dann kann ich dir nur empfehlen, ein paar Berichte von Belästigung und Machtmissbrauch zu lesen. Und dir zu überlegen, ob es dir wirklich so egal wäre, wenn jemand so mit Frauen umgeht, die dir am Herzen liegen. Oder mit dir.
Vielleicht ist die Frage aber nicht rhetorisch, sondern ganz ernst gemeint. Und du willst wissen: Bin ich Teil des Problems oder Teil der Lösung? In dem Fall muss ich ein bisschen weiter ausholen, um sie zu beantworten. Nicht für ›uns Frauen‹, das will ich mir nicht anmaßen, sondern für mich allein. Nun ja, vielleicht auch ein klitzekleines bisschen für meine Altersgenossinnen.
Lass mich dazu eine Geschichte erzählen. Kurz nach meinem vierzigsten Geburtstag lief ich eines Nachmittags durch die Straßen von Sevilla und fühlte mich unsichtbar. Ein verstörendes Gefühl auf einer Reise, auf die ich mich lange gefreut hatte: endlich die Stadt wiedersehen, in der ich im Jahr nach dem Abitur nicht nur einen Sprachkurs besucht, sondern vor allem drei herrliche, feierfreudige Monate erlebt hatte! Tatsächlich war die Stadt noch ganz, wie ich sie kannte, mit ihren Tapasbars, ihren leicht heruntergerockten Plätzen, ihren schattigen Patios. Aber etwas fehlte, und nach einer Weile kam ich drauf: Es waren die beiläufigen Rufe auf der Straße. ›Qué guapa!‹, ›Hallo, du Hübsche!‹ – damals, 1990, war das ein allgegenwärtiges Grundrauschen, das jeder Frau entgegenschlug. Egal ob jünger oder älter, egal ob die Frisur saß. Sogar den Madonnenstatuen bei den Osterprozessionen schallten die ›Guapa!‹-Rufe hinterher – den Kerlen war einfach nichts heilig.
Gefiel mir das? Mal so, mal so. An manchen Tagen nervte mich dieser Reflex, dieses unpersönliche Gepfeife und Gejohle, mit dem gleichzeitig alle Frauen und auch wieder keine gemeint war. An anderen Tagen fühlte ich mich unter Blicken und Rufen wie das ›Girl from Ipanema‹ persönlich: sexy und gleichzeitig unangreifbar.
Zwanzig Jahre später bemerkte ich irritiert, wie still es um mich herum geworden war. Das war mir auch wieder nicht recht. Ein Gefühl, mit dem ich nicht allein bin. Und das für Frauen meist schmerzhafter ist als für Männer. Auch das ist wahr, und auch dazu könnte ich Geschichten erzählen. Von Frauen, die entgeistert feststellen, dass mancher Hebel nichts mehr in Bewegung setzt, wenn die, die dahinter sitzt, nicht mehr ganz jung und nicht mehr ganz schön ist.
Lieber unbekannter Mann, ich gebe dir recht: It’s complicated, ach was, very complicated. Denn zwischen ›geht gar nicht‹ – etwa: eine Frau, der gekündigt wird, nachdem sie einen Annäherungsversuch zurückweist – und dem zauberhaften, höchstpersönlichen Kompliment eines frisch Verliebten gibt es eine riesige Grauzone. Und die wird noch dazu von jeder Frau anders definiert.
Erinnerst du dich, wie vor einiger Zeit auf Verlangen der Studierendenvertretung ein Gedicht des Lyrikers Eugen Gomringer von einer Berliner Hochschulfassade entfernt werden musste, weil es von bewundernden Blicken handelt? Begründung: Darin geht es um einen Mann, der an der Straße steht und Frauen hinterherschaut – das allein fanden die AStA-Frauen schon sexistisch. Puh. So gesehen ist jeder Tinder-Nutzer Sexist – und jede Tinder-Nutzerin ebenfalls. Oder wie soll man das finden, wenn Frauen und Männer sich gegenseitig auf ihre erotische Ausstrahlung reduzieren, nur aufgrund eines Fotos?
Kommen wir trotzdem noch mal zu deiner Ausgangsfrage zurück. Denn ich glaube, ich kann dich beruhigen. Ich mag es eigentlich ganz gern, wenn im Alltag so ein kleines Flirren auftaucht, gerade in Momenten, in denen man es nicht erwartet. Bei Arbeitsprojekten, in der Eltern-WhatsApp-Gruppe zur Halloweenparty, bei Treffen mit Kollegen. In einem Nebensatz, einer Andeutung, einer Geste. Kurze Momente, in denen eine Ahnung aufblitzt von: Ich sehe dich, und ich sehe, dass du eine Frau bist, ich schau dich gern an.
Ich glaube, du weißt, was ich meine, du magst das doch umgekehrt auch: so einen verlängerten Blick in der Elternratssitzung oder wenn dir eine Frau auf Facebook ihr Herzchen für einen Beitrag schenkt. Meinetwegen musst du jedenfalls nicht #howiwillchange posten – kollektive Bußübungen, ob analog oder digital, haben für mich neben dem guten Willen etwas von kommunistischen Selbstkritik-Sitzungen. Und von Sippenhaft, und die mag ich nicht. Du bist nicht ›alle Männer‹, genauso wenig wie ich ›alle Frauen‹ bin. Deshalb: Sei du selbst, hör auf dein Herz, genieß es, wenn du eine Frau mit einer charmanten Bemerkung erfreust – und lass es einfach bleiben, wenn du spürst, dass dein Gegenüber peinlich berührt oder verunsichert ist. Vor allem dann, wenn es ein größeres Gefälle gibt zwischen dir und ihr, in Bezug auf das Alter, die Machtposition oder beides. Ich weiß, es kursiert auch der Tipp, man solle ›Frauen doch einfach behandeln wie Männer‹, dann gäbe es keine Missverständnisse, auch keine unangenehmen. Wenn du mich fragst: Das würde die Welt ein wenig ärmer machen.
Übrigens: In Sevilla, das habe ich während meiner Reise entdeckt, wird heute generell weniger gepfiffen und gerufen als 1990. Vielleicht weil sich das Frauen- und Männerbild in Andalusien gehörig verändert hat, vielleicht auch deshalb, weil auf der Straße alle auf ihre Displays starren, statt einander hinterher. Es lag also nicht an mir. Oder jedenfalls nicht nur.
Vielleicht ist das ein Fortschritt. Vielleicht aber auch ein kleines bisschen traurig.«