Читать книгу Geburtstage sind noch lange kein Grund, älter zu werden - Janna Hagedorn - Страница 4

STATT EINES VORWORTES Hase in seiner Sauce oder: Warum vierzig werden heute ganz anders schmeckt als frÜher

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Am Morgen meines vierzigsten Geburtstages musste ich früh raus. Der Grund dafür war damals gerade zwei Jahre alt geworden, hielt Ausschlafen für überschätzt und fünf Uhr morgens für den perfekten Zeitpunkt, um ein Buch anzuschauen. Natürlich nicht allein. In dem Buch waren hässliche Tiermamas in bunten Blusen abgebildet, die ihren ebenfalls ästhetisch bedenklichen Nachwuchs im Einkaufswagen durch den Supermarkt schoben oder mit ihm auf dem Spielplatz Karussell fuhren.

Mein kleiner Sohn deutete begeistert auf jedes Gefährt auf den Pappseiten, rief dabei »Tassi!«, und ich verzichtete darauf, ihn zu belehren, dass nicht jedes Ding mit Rädern ein Auto und nicht jedes Auto ein Taxi war. Das Leben wird schon früh genug kompliziert. Während ich dort auf dem Wohnzimmersofa kauerte, halb gerührt und halb gestresst, dachte ich mit einem Funken von Neid an meine Mutter und ihren Vierzigsten.

Die hatte mit Sicherheit nicht morgens um fünf Bilderbuchseiten umklappen müssen, denn lesen konnte ich da schon längst. Damals bekam man Kinder eher mit Mitte zwanzig als mit Mitte dreißig. Nachmittags gab es gepflegten Geburtstagskaffee mit Hausmusik im Familienkreis, abends ging man in ein schickes Lokal im Schwarzwald und speiste mehrere Gänge. Ein Gericht mit dem poetischen Namen »Hase in seiner Sauce« ging für Jahre in den familiären Sprachgebrauch ein, und mein Onkel hielt eine launige Rückblicksrede. Denn darüber waren sich alle einig: Mit vierzig sind die entscheidenden Lebensweichen gestellt. Danach konnte man bestenfalls noch altersmilde werden.

Heute ist vierzig werden eine ganz andere Hausnummer. Poetisch ausgedrückt: andere Hasen in ganz anderen Saucen. Und das merkt man nicht nur an den höchst unterschiedlichen Party-Locations, an denen ich in den letzten Jahren auf die Vier angestoßen habe: Beim Bring-a-bottle-Picknick am Hamburger Elbstrand mit anschließendem Zug über den Kiez, bei einer Dinnerparty in München mit Gesprächen über Hausbau und Poolbeleuchtung, im Partykeller eines geerbten Eigenheims im Vorort. Ich selbst feierte in einer Mietküche in Altona, mit Catering zwar, aber der Wein kam vom Supermarkt. Halb bürgerlich, halb berufsjugendlich.

Es gibt eben keinen Zeitpunkt, an dem die Lebensentwürfe von uns Frauen so stark auseinanderdriften wie mittendrin. Ein Alter, in dem wir Farbe bekennen: Karriere, Kinder oder keines von beidem, Lebensabschnittspartner oder Jugendliebe mit silbernem Beziehungsjubiläum. Ein Alter, in dem tatsächlich nicht mehr alles möglich ist, aber noch vieles, in dem frühe Sinnkrisen und später Neubeginn häufig nur ein paar schlaflose Nächte auseinanderliegen.

Dabei haben wir Frauen mit den Geburtsjahren zwischen 1970 und 1980 allen Grund, zufrieden zu sein. Keine Frauengeneration in Deutschland hatte so gute Startchancen. In der Bonner Republik wuchsen wir auf in einer Zeit des Wohlstandes, der Zweitwagen und Zweiturlaube. Behütet von verständnisvollen Eltern, für die es genauso wenig ein Problem war, wenn wechselnde Teenager-Freunde zum Übernachten blieben, wie wenn das Studienfach zweimal gewechselt wurde. Politisch erwachsen geworden in einer Zeit, in der Frauen auf Ministerposten und in Chefpositionen keine exotische Ausnahme mehr waren. Eine Generation Fun, die ihre Mädchenzimmer mit neuen Heldinnen tapezierte: erst mit Pippi-Langstrumpf-Postern, später mit Starschnitten der jungen Madonna, die ihren BH nicht verbrannte, sondern lieber über der Spitzencorsage trug. Und trotzdem alles andere als ein männerdominiertes Weibchen war. Bei unseren Altersgenossinnen in der DDR damals war zwar alles ein bisschen anders, dafür war weibliche Gleichberechtigung so selbstverständlich wie Pioniergruß und Westfernsehen. Und stonewashed Jeans, die liebten wir grenzüberschreitend. Auch wenn es später zum urbanen Mythos wurde, die wären nur im Osten getragen worden. Ich weiß es besser, ich war dabei.

Bei allen Unterschieden zwischen Ost und West, Land und Stadt: Ein solcher Background ist ein Vitamincocktail fürs Selbstbewusstsein. In Umfragen bejaht die Mehrheit unserer Altersgruppe Aussagen wie »Ich weiß genau, was ich will« und sogar »Ich möchte nicht noch einmal zwanzig sein«. Wozu auch? Denn selbst wenn Vierzigjährige selten die großen Hollywood-Filmrollen bekommen oder als Werbegesichter für Kosmetikmarken gecastet werden – auch hier gibt es zunehmend Ausnahmen! –, insgesamt sind wir doch smarter und meistens auch attraktiver als forty-somethings vor dreißig, vierzig Jahren. Für die begann spätestens mit dem runden Geburtstag die Zeit der praktischen Kurzhaarfrisuren, der Twinsets oder der figurfreundlichen Schlabber-Outfits. Wer heute vierzig ist, muss dagegen nicht auf Lady-Look umsteigen, wenn das Girlie-Outfit mit Stiefeln und Häkelmütze viel besser zum Typ passt. Apropos Stilikone: Madame Macron war gerade vierzig, als sie ihren späteren Ehemann in der Theater-AG ihrer Schule kennenlernte, und zum It-Girl der Nation wurde sie erst zwanzig Jahre danach.

Schluss mit Lust ist übrigens auch nicht: Bei einer Scheidung sind Frauen im Schnitt 43 Jahre alt, und das Kapitel Liebe ist für sie keinesfalls abgeschlossen. Eher beginnt ein neues, aufregenderes. Wer frisch verliebt ist, hat in jedem Alter aufregenden Sex – ob mit 25, 45 oder 65.

Patchwork statt vorgezeichneter Wege – das gilt nicht nur für die Liebe, sondern auch für die Arbeitswelt. Etwa jede dritte Vierzig- bis Fünfzigjährige hat Abitur, jede fünfte einen Hochschulabschluss – noch eine Generation früher lag der Frauenanteil in beiden Kategorien weit unter zehn Prozent. Damit ist der traditionelle Weg – kurze Ausbildung, Heirat, Kinder, nebenbei ein bisschen Buchhaltung für den Gatten, später das Ehrenamt in der Kirchengemeinde – heute für die Mehrheit passé. Statt klassischer Rollenteilung – Vollzeit-Ernährer und Hausfrau – stehen beide Geschlechter vor ähnlichen Herausforderungen: gute Jobs, Aufstiegschancen, aber zugleich schwindende Sicherheit. Abwechselnd Festanstellung, befristete Jobs und freiberufliches Vor-sich-hin-Wursteln. Wechselnde Wohnorte, wechselnde Positionen. So finden wir uns an unserem runden Geburtstag in den unterschiedlichsten Lebensphasen und -umgebungen wieder: als Hausbesitzerin oder WG-Bewohnerin, im Chefbüro oder am Praktikantenschreibtisch. So richtig ruhig schlafen kann man dabei nicht immer. Andererseits: Ist das nicht auch viel spannender als die vorhersehbaren Lebensläufe der Vergangenheit?

Die schöne Medaille hat natürlich auch eine Kehrseite: Heute vierzig bis vierzig plus zu sein, ist zwar anregend – aber auch anstrengend. Denn so unterschiedlich wir leben, ein Dilemma teilen wir alle: Aufgewachsen mit dem Versprechen unendlicher Möglichkeiten, müssen wir irgendwann einsehen, dass wir eben doch nicht alle gleichzeitig verwirklichen können. Was wir mit Ende zwanzig als Vielfalt empfunden haben, verwandelt sich häufig zehn Jahre später in Druck. Gestylt im Nachtleben, gestählt im Studio. Als Babymanagerin, die das späte Wunschkind zwischen Früh-Englisch und Säuglingsmassage hin- und herkarrt, als Gartenbesitzerin, die sich halbe Nächte in Online-Foren um die Ohren schlägt, um den besten Dünger für ihre Staudenbeete und Saatgut für alte Apfelsorten aufzutreiben. Um sich und den anderen zu beweisen: Schau, mein Weg war der richtige. Das stresst.

Denn wenn wir uns schon zu Entscheidungen durchringen, dann müssen wir sie auch ständig vor uns selbst rechtfertigen. Und liegen trotzdem manchmal nachts wach und zweifeln. Ich habe mich als Social-Media-Managerin selbstständig gemacht – aber hätte ich nicht lieber als Naturforscherin nach Patagonien gehen sollen? Hätte ich als kinderloser Single vielleicht doch das spannendere Liebesleben? Und warum, zum Kuckuck, habe ich mich für Neu-Hinterschnuddelfitz statt für New York entschieden? Unsere Mütter hatten es da leichter: Wer 1980 seinen vierzigsten Geburtstag mit Mann und zwei vorpubertären Kindern im Reihenendhaus feierte, haderte kaum mit seinem Schicksal – bei den Nachbarn sah es ja genauso aus. Und bei sämtlichen Cousinen, Kolleginnen und Schwägerinnen.

Bei so viel Selbstbefragung und Sinnsuche ist es kein Wunder, dass so viele von uns in Yogakurse und Meditationsseminare strömen. Mantras singen gegen den Multioptionsstress. Eigentlich eine sehr gesunde Reaktion. Doch selbst das kann in neuen Druck ausarten: Statt heilsamer Entspannung ist nämlich Gelassenheit wieder ein neues Ziel, das es nun auch noch zu erreichen gilt. Nach dem Motto: Entspann dich! Sofort! Verdammt noch mal! Sieh gefälligst super aus – aber bitte so, als hättest du dir nur rasch was übergeworfen. Und als sei dein Makeup nicht raffinierter Nude-Look, sondern als kämst du morgens immer so aus dem Bett. Am besten, du postest dein Selfie gleich unter dem entsprechenden Hashtag im Netz. Ganz zwanglos.

An diesem Punkt, aber auch wirklich nur an diesem, können wir uns eben doch etwas von unseren Müttern abschauen. Denn die konnten eines besser, was uns heute so schwerfällt: loslassen. Ohne dabei auch noch perfekt aussehen zu wollen. Es wäre schön, wenn wir uns guten Gewissens auch mal auf unseren Lorbeeren ausruhen dürften. Abends in der Jogginghose von 1992 durch Netflix-Serien zappen, auch wenn unserem Liebsten dann auffällt, dass unser Bauch nicht mehr so aussieht wie der von Angelina Jolie, die drei Kinder geboren hat, und wir vielleicht gar keins. So what? Ernst nehmen, wenn unsere Mütter uns mahnen: Mädelchen, wie schaffst du das alles, gönn dir doch mal eine Pause!

Uns verzeihen, wenn wir immer wieder unter unserer eigenen Messlatte durchrutschen: weil wir für das Abendessen mit Freunden eben doch das Tiefkühlbaguette auftauen, statt selbst Brot zu backen, wofür die Zeit einfach nicht reicht. Oder unsere Kinder nach einem langen Tag genervt anblaffen, statt uns verständnisvoll auf deren Augenhöhe zu begeben. Es wäre schön, wir würden uns selbst nicht mehr gar so viel abverlangen, uns ein klein bisschen weniger ernst nehmen und schon gar nicht jedem perfekt bearbeiteten Bild auf Instagram glauben.

Was seit meinem Vierzigsten passiert ist? Vieles – und so gut wie nur Gutes. Mit das Beste ist: Mein Sohn will keine Pappbilderbücher mehr anschauen, sondern schreibt lieber seine eigenen Geschichten. Meine Tochter hat ihren ersten Freund, mit dem sie händchenhaltend auf dem Hochbett sitzt, YouTubern auf dem Tablet zuschaut und Lakritz futtert – die perfekte Beziehung, wenn man zwölf Jahre alt ist. Meine Jobbeschreibung und meine Auftraggeber habe ich mehrfach gewechselt, dafür bin ich in der Liebe beim Alten geblieben – und der Alte bei seiner Alten, also bei mir. Ich finde: Das ist deutlich besser als umgekehrt.

Natürlich weiß ich, dass ich vom Leben reich beschenkt bin. Weil ich gesund bin, geborgen, weil ich gemocht werde, hohe Bücherregale im Wohnzimmer stehen habe und mir gelegentlich eine Portion Mezze leisten kann oder, wenn’s denn sein muss, auch eine vegane Hawaii-Bowl. Andere Frauen meines Alters haben anders zu kämpfen: mit Schicksalsschlägen, Krisen, Krankheiten. Und dennoch. Wenn ich mich so umschaue, sehe ich jede Menge gut gelaunter, kraftvoller Vintage-Ladys, die bei all ihrer Unterschiedlichkeit niemals auf die Idee kämen, wegen einer zusätzlichen Kerze auf dem Geburtstagskuchen in Tränen auszubrechen. Weil sie das Älterwerden mehr als Geschenk betrachten denn als Verlust und lieber nach vorne schauen als immer nur nostalgisch zurück. Weil gerade die Vierziger, nicht mehr ganz jung und noch nicht richtig alt, in vielerlei Hinsicht eine perfekte Zeit sind: um Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, eine neue Leichtigkeit zu finden, neue Lieben, neue Berufungen.

Um noch mal durchzustarten – wohin auch immer.

Um endlich anzukommen – auch bei sich selbst.

Für alle Frauen, die genauso denken: Willkommen auf der Hochebene des Lebens! Das ist euer Buch.

Geburtstage sind noch lange kein Grund, älter zu werden

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