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5. Im Gespräch mit Gott – ohne Christus?

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Das Gespräch mit Gott ohne Vermittlungen und Mittler ist möglich und nötig. Jesus kann sogar Vorbild (wenn auch nicht Gott!) sein in seinem Gebet allein vor Gott. Das »Vater unser« kann dabei eine Stütze, wenn auch kein Korsett sein, so zu beten wie Jesus, ohne zu Jesus zu beten. So wird Jesus als der, der von sich weg weist auf den Willen des Vaters, verehrt, aber nicht angebetet. Selbst wer (hoffentlich vorübergehend) an den Menschen seiner Umgebung verzweifelt, hat eine Stütze in der Möglichkeit des Selbstgesprächs der Seele vor Gott. Er findet diese Stütze und braucht sie. Ein Gespräch ohne Priester, ohne Propheten, ohne Stützgruppen, ohne christologische Deutung, ohne Predigten und Vor-Beter, ohne (meist männliche) Glaubenslehrer und Glaubenswächter ist möglich und – in der Not – not-wendig. Das Gespräch vor Gott, ja mit Gott, der im persönlichen Gebet als »Du« angesprochen wird, ist der direkte Weg zu Gott. Die einzige und letzte Garantie dafür, dass das Gebet mehr ist als ein in sich kreisendes Selbstgespräch, ist dieser Gott selbst, der mit den Propheten und den Kindern Israels gesprochen hat und zu allen sprechen wird, die IHN sehnsüchtig suchen.

Das artikulierte Gespräch mit Gott fließt nicht natürlich und mühelos aus dem Gemüt. Das ist eher die Ausnahme oder das Privileg von Kindergebeten. Menschen werden erwachsen und verlieren die Zutraulichkeit kindlicher Beter*Innen. Wer erwachsen wird, erfährt Gebetsmühen. Das Gebet stockt und versiegt. Regelmäßige Übungen und verordnete Gebetsstunden allein können eine Entleerung und Verödung des Gebetslebens nicht verhindern. Zurück bleiben bei vielen Menschen nur die Kraftworte des Fluchens und die Leerzeichen des Seufzens (»Ach Gott!« »O Gott!«). Gegen diese Reduktion auf Ausrufe hilft auch nicht eine Verordnung, ein Zwang, eine Form des pädagogischen Einpeitschens, die befiehlt, ohne Unterlass zu beten. Die Ermunterung »Betet ohne Unterlass« (1 Thess. 5, 17; Eph. 6, 18; vgl. Lk. 18, 1 mit dem Gebetsgleichnis) steht quer zur Abmahnung, viele Worte zu machen und Gebete zu plappern; die Paränese zur Gebetsdisziplin ist eine endzeitliche Durchhalteparole, nicht eine polizeiliche Anordnung. Vielmehr braucht es eine ehrliche, ernüchternde Auseinandersetzung mit mir selbst und damit, dass ich nicht (mehr) bete, dass ich längst aufgehört habe, mit kindlicher Zutraulichkeit zu Gott und mit Gott zu reden, dass ich mich, wie selbst der Beter Martin Luther zugegeben hat, in keinem Gebet ganz auf Gott konzentrieren und IHN allein zum Mittelpunkt machen kann. Immer kommt etwas dazwischen, meist fehlen die Zeit, die Aufmerksamkeit oder die »Motivation« für das Gebet. Bei katholischen Geistlichen, die den Psalter aus der monastischen Tradition, welche die wöchentliche vollständige Psalmenlesung nach der Benediktsregel50 festlegt, als Brevier51 lesen, schleichen sich Routine und Ermüdung, Trägheit und Langeweile ein. Es mag zwar Individuen und Gruppierungen geben, denen das »kreative Beten« scheinbar mühelos gelingt und die in einer Lebenskontinuität spontan und herzlich beten, doch viele Gebete der Kirche sind befohlen, der Tages- und Jahresliturgie zugeordnet und, wie die Psalmen nach einer Jahrhunderte alten mündlichen Überlieferung und fließenden Redaktionsgeschichte, die wohl von 2000 bis ungefähr 200 vor Christus dauert, endgültig schriftlich fixiert. Manche beten spontan und lebendig weiter, selbst eine strenge Liturgie lässt Raum für das stille persönliche Gebet; manche orientieren sich lieber und vor allem an den Vorgaben der schriftlich fixierten Gebete. Vorgabe stiftet Gemeinschaft im Beten, aber auch Routine. Das Drängen auf regelmäßiges und häufiges Beten ist überschattet von den Gefahren der Gebetsroutine.

Gegen die Erstarrung und das Absterben des Gebetslebens braucht es kühnere Experimente. Eines davon ist die Gebetsabstinenz, die Radikalkur eines (vorübergehenden) Austritts. Einigen hilft vielleicht eine von den Kirchen nicht vorgesehene längere Selbsterfahrung und »Schocktherapie«, die darin besteht, vorsätzlich, z. B. ein Jahr lang, nicht zu beten, nicht mehr »mitzumachen«. Eine Phase der Reinigung von falscher Vertraulichkeit mit dem Fetisch des eigenen Stammesgottes nach dem Muster »Bei uns betet man so und das ist richtig« bewirkt möglicherweise Wunder, eine Verwandlung, die nicht ein Rückfall oder Abfall, kein Automatismus ist, der darin besteht, die alte Leier zu singen und wieder mechanisch zu beten wie zuvor. Wie ein Melomane sich zu einem Jahr ohne Musik entschließt, um Abstumpfung zu vermeiden, kann der vorsätzlich Gebetslose in einer Art Gebetsaskese darauf warten, ob und wie die Melodien der Gebete zurückkehren, möglicherweise eine Erfahrung davon, wie Gott den Menschen sucht. In der (freiwilligen oder unfreiwilligen) Gebetslosigkeit macht man neue Erfahrungen: Kann ich tatsächlich ganz aufhören zu beten? Oder betet irgendeine »undichte Stelle« in mir weiter, gegen meinen Willen? Gibt es Gebete, die aus dem Unbewussten dringen und die wir nicht unter Kontrolle haben? Können wir aufhören zu beten und doch weiterleben? Ist beten nicht so elementar und wichtig wie atmen? Und ist Gott selbst »angewiesen« auf unser Gebet, oder »macht er sich nichts daraus«? Ist ER nachtragend und schließt uns von SEINER Gnade aus, wenn wir ein Jahr vor IHM verstummen? Auch solche »Tests« und Erfahrungen haben Platz in einer Philosophie des Gebets, die sich und anderen keine Fragen verbietet und sich nicht auf eine Doktrin für oder gegen das Gebet festlegt, bevor sie erkundet und fragt, wie die Betenden, z. B. in den Psalmen, beten. Die Psalmen sind in ihrer Endgestalt vorgefertigt, um die natürliche Sprachlosigkeit des Menschen vor Gott zu überwinden. Sogar Jesus hat es in der letzten Not und Bedrängnis vorgezogen, keine neuen Worte zu erfinden, nicht kreativ, sondern in der Sprache der Psalmen zu beten. In den verschiedenen Evangelien werden dem sterbenden Jesus verschiedene Psalmworte in den Mund gelegt. In den Psalmen kommt Jesus nicht vor; messianische Psalmen werden nachträglich auf Jesus bezogen, auch in fragwürdiger Absicht, die Juden nicht nur zu beerben, sondern zu enterben. In Ps. 22, dessen Anfangsworte nach Mk. 15, 34 und Mt. 27, 46 Jesus am Kreuz betet, liegt keine Prophezeiung des Gekreuzigten vor, sondern eine Rückwendung auf die biblische Ester-Geschichte und die sog. Gottesknecht-Lieder im Buch Jesaja. Die Psalmen haben ihre Tiefe und Bedeutung im Kontext der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Sie beten zeitlich vor Jesus, ohne Jesus.52 Sie brauchen Jesus nicht. Sie haben genug am ewigen Gott.

Diese lakonische Feststellung, dass im Psalm ohne Jesus gebetet wird, hat auch die philologische und exegetische Forschung auf ihrer Seite, provoziert aber regelmäßig Proteststürme von christlichen Eiferern gegen »Kulturrelativismus« oder »postmoderne Beliebigkeit«. Braucht das Christentum nach seiner gesamten Kulturgeschichte überhaupt noch Apologie? Ist nicht Gott selbst, der die Menschen sucht, Apologie genug? Apologet*Innen des Christentums können in den Psalmen nichts anderes als eine Zwischenstation und Hinweise auf einen »Fortschritt« sehen, der sich im NT und in der Tradition der Kirche manifestiere. Die neuere historische Kritik hat der Freilegung der hebräischen Bibel aus der christlichen Enteignung und Umklammerung wichtige Impulse verliehen, aber sie kann auch nicht als »Beweis der Wahrheit« gelten. In den Rivalitäten und Kämpfen des antiken Judentums bilden sich ebenfalls rigorosere Verhärtungen und Abschließungstendenzen (gegen die Hellenisierung und Christianisierung) aus. Die Rückbesinnung auf die »jüdischen Psalmen« bedeutet nun keineswegs eine historische Retourkutsche, welche die Wurzeln des Antisemitismus durch einen kritiklosen Philosemitismus, Idealisierung des »Judentums« oder gar durch Hass auf ChristInnen verdrängen will. Die »religiöse Dialektik« im Dialog der Religionen wird dem Christentum seinen Rang und Platz belassen, auch als eine Religion der »verliebten« Gebetstreue in Christo. Frère Roger Schulz fasst diese spirituell-erotische Identifikation mit Jesus Christus wie folgt zusammen:

Jesus Christus,

in jedem Augenblick

stütze ich mich auf dich.

Selbst wenn es mir

nicht gelingt zu beten,

bist Du mein Gebet.

Der Christ, die Christin werden beim Lesen und Beten der Psalmen nicht aufhören können, an Jesus zu denken. Das ist ebenso verzeihlich wie die Tatsache, dass »Verliebte« das Hohelied nicht lesen können, ohne an ihre eigene irdische Liebesgeschichte zu denken. Es ist auch keine kategorische Absage an allegorische Deutungen, die in der jüdischen und christlichen Tradition wuchern. Eine Pointe des Andenkens an Jesus als Psalmenbeter, nicht als Erfinder neuer Psalmen, liegt darin, dass Jesus Jude war, nicht katholisch, griechisch-orthodox oder Zeuge Jehovas. Er konnte nicht Oberhaupt oder Mitglied jener Kirche sein, die erst lange nach seinem Tod entstand.

Spricht Gott selbst in den Psalmen oder sprechen nur die Betenden? Sprechen sie gar nur mit sich selbst oder in »mystischer Konfusion« mit Gott? Welche Sprache spricht Gott? Der Ewige hat keine »Muttersprache« oder »Fremdsprachen«, wie sie in der Zeit und in einer Sprachgemeinschaft erworben werden. Der Ewige braucht sich nicht erst in seine Geschöpfe »einzufühlen«, wie die Ethnologin sich in einen fremden Stamm hineinfühlt, um das Fremdartige besser zu verstehen. ER ist ein stets naher Gott, der seine Geschöpfe begleitet.

Das Gespräch mit Gott in den Psalmen ist Freude im Gehorsam (Ps. 19, 8 f.); die Tora ist die »Wonne der Weisung«. Gewöhnlich gilt: Niemand lässt sich gerne herumkommandieren. Befehle entgegennehmen macht nicht glücklich, ruft Trotz herbei oder produziert Untertanenmentalität. Nur die Befehle Gottes im Gesetz und in seiner Offenbarung sind »heilsam«. Gottes Herrschaft versklavt nicht, sondern führt aus der Sklaverei heraus. Die Kinder Gottes sind verbunden mit seinen Verheißungen und Hoffnung auf Verzeihung. Das direkte Gespräch mit Gott steht allen offen, auch jenen, die Christus nicht kennen oder »verkennen« und nicht in den Mittelpunkt ihres Glaubens stellen. Die Bitte um Verzeihung für die zahlreichen Verfehlungen, für die Verirrungen und Verzweiflung, gehört in das Lob Gottes. (Vgl. Ps. 19)

Die Psalmen sind das Gebetsbuch der Juden, Christen und Muslime und aller Menschen guten Willens. Ihre Bedeutung übersteigt selbst die Bindung an die sog. Abrahamitischen Religionen, weil sie, wie alle erhebenden Religionen, den Weg zum Ewigen weisen. Es gibt viele Wege zum Ewigen, doch sie führen alle durch die Zeit und über die Zeit hinaus. Sie weisen den am wenigsten exklusiven und elitären Weg zu Gott, wenn sie an das Lob der Schönheit der Schöpfung anknüpfen. Wer völlig unempfänglich ist für die Schönheiten der Natur, dessen Gott ist eine Strohpuppe. Doch das Göttliche fällt nicht zusammen mit Sonne, Mond und Sternen. Insofern ist das echte Gebet Befreiung von den Idolen. Idolatrie dagegen ist das Verfallen der Religionen.53 Gott, zu dem man beten kann und beten soll, ist den Menschen in seiner Schöpfung selbst zugewandt, »personal« und doch »überpersonal«, kein »menschlich allzu-menschlicher« Gott. Eine Eigentümlichkeit der Tradition und Wirkungsgeschichte ist die Suche nach »Gottes Antlitz«, die Intention auf Dialog und Begegnung. Dieser Gott kann sich persönlich zuwenden und bleibt gleichwohl »transzendent«, scharf unterschieden von seiner Schöpfung. Das drückt sich auch in ethischen Begriffen aus: Gott allein, so wird er gelobt und angerufen, sei unparteiisch, unbestechlich, beständig treu, wahrhaft gerecht. Eine Allianz mit dem Buddhismus und anderen religiösen Praktiken wird möglich, wenn sich niemand sonst für vollkommen und unparteiisch hält, wenn der Thron des UNPARTEIISCHEN nicht von einem Menschen besetzt wird. Streit um Gott ist häufig eine Form des Streits um eigene betonierte Meinungen. Ist Gott so »schwach«, dass er nicht selbst für die eigene Sache streiten kann? Diese Fragen mögen offenbleiben und sind dem spöttischen Geist Voltaires vertrauter als dem Denken und der Bildwelt der Bibel, in der Menschen auch als Kriegsherren, Soldaten und Anwälte des Deus zelotes auftreten.

Aus dieser Einsicht oder Vorsicht heraus ergibt sich der Vorsatz, nicht über Gott zu streiten. Das ist mehr als nur die Beteuerung, auf »unnötigen« Streit zu verzichten. Je heftiger wir uns über Gott streiten, desto mehr riskieren wir, uns in einen zänkischen Verwandtschaftsstreit zu verwickeln, in dem Animositäten und Missverständnisse Programm sind. So wichtig eine liberale Streitkultur unter den Menschen ist, so sehr auch die Psalmen als »Konfliktgespräche mit Gott« (Bernd Janowski) angelegt sind, so sehr wäre dem Eifer der Rechthaberei über »letzte Dinge« zu misstrauen.

Beten als Bekenntnis und Bitte um Verzeihung (»Buße«) und Übung ist eine Lebensform, keine gelegentliche Episode. Ein »frommes« Leben ist mehr als ein tugendhaftes Leben vor den Menschen oder vor sich selbst, mehr als ein mustergültiges Leben auf der Bühne; es ist vielmehr ein Leben im Blick darauf, die Kontrolle abzugeben, die Schätze der Welt zurückzulassen und zurückzukehren ins »Elternhaus«, in Gottes Wohnungen: »Heimkehr ins Eigentliche«.54

ChristInnen brauchen nicht »christozentrisch« alles Gute auf Christus zu beziehen. Kirchen und Religionsgemeinschaften, aber auch Individuen sind in der Frage der Ausrichtung auf Christus und der Deutung seines ontologischen und symbolischen Status untereinander uneinig! Ein Logion von Jesus weist die Anrede zurück, die nur Gott selbst gebührt.

Was nennst Du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. (Mk. 10, 18; Lk. 18, 19)

Es ist kein Zufall, dass dieses Logion oder eine ähnliche Zurückweisung im Johannes-Evangelium nicht vorkommt. Eine »christologische« Spannung ist bereits in den divergierenden Evangelien angelegt. Der Jesus der Synoptiker wird in Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters verklärt und vom Tod auferweckt. Wohl betont Jesus, dass das Gesetz für die Menschen da ist, nicht die Menschen für das Gesetz, doch er ermahnt im Wortlaut der Redaktion des Matthäus-Evangeliums auch dazu, kein Tüpfchen des Gesetzes zu verändern. (Vgl. Mt. 5, 17 f.) Das kann sowohl jüdisch als auch christlich akzeptiert werden. Schwieriger, wenn nicht ganz unmöglich ist es, die Übertragung der Logoslehre auf den Messias Jesus und die Selbstankündigung Jesu als »Gott in Gott« im Johannes-Evangelium zu akzeptieren.55

Die Orientierung an Jesus sollte nicht weiterhin als »Spalter« funktionieren, der den Graben zwischen Juden und Christen vertieft und die uralte Polarisierung der »Sekten«, die sich gegenseitig bekämpfen und abgrenzen, weiterführt. Der Versuch zur Versöhnung zwischen den Religionen scheint neue Polarisierungen hervorzubringen; Sonderwege, ein Weltethos der Religionen (Hans Küng) oder Synthesen von Exegese, Pazifismus, Feminismus und Tiefenpsychologie (Eugen Drewermann) bleiben umstritten und sind trotz ihres publizistischen Erfolgs fast wirkungslos. Heil und Versöhnung gehen vom symbolischen Zion, dem heiligen Berg Jerusalems, aus. Er ist der utopische Ort, an dem alle ehrfürchtigen Pilger, auch jene aus Ägypten und Babylon, ihr Heimatrecht finden. (Vgl. Ps. 87) Symbole, Bilder und Mandalas haben zwar einen lokalen oder regionalen Ursprung, aber auch eine das Regionale übersteigende Beziehung zum EWIGEN.

Die Aussagen im vorangehenden Abschnitt werden umstritten bleiben. Einige begrüßen sie als Beitrag zur »spirituellen Einheitssprache« und Beitrag zum Religionsfrieden, nach dem Motto »Alle Religionen sagen im Grunde dasselbe«; andere werden darin eine anmaßende Verkündigung einer Privatperson oder eine pseudoreligiöse Verwässerung der Konturen des »wahren Glaubens« sehen. Diese Diskussionen werden weitergehen und lassen sich nicht in einer Problemskizze wie dem vorliegenden Essay abschließen.

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs gewinnt eine politische Vision an Bedeutung, nämlich die Hoffnung darauf, dass ein »Krieg um weltanschauliche Differenzen« künftig nicht mehr nötig sein wird. Die hierarchisch gesicherte Autorität der Bewahrer und Durchsetzer des »rechten Glaubens« wird im besten Fall weltweit eher abnehmen. Soll denn ein Einzelner oder eine Gruppe im Namen der Wahrheit alle anderen mundtot machen? Irrt der Mensch nicht, so lang er lebt? Ist die Freiheit zum Irrtum etwa nicht wichtiger als die Versklavung im Namen der Wahrheit? Steckt in jenen, die andere über letzte Dinge belehren oder sie für abweichende Meinungen bestrafen wollen, der Eifer des Sektierertums und eine maßlose Parteilichkeit für die »eigene Sache«? Mögen der Eifer um die Wahrheit und das Recht auf Widerspruch anhalten und einander im Schach halten, ohne in Gewalt umzuschlagen!

Der Aufklärer und Jude Moses Mendelssohn übersetzt den Vers 9 aus Ps. 19:

Lauter sein Gebot, erleuchtet blöde Augen.

In dieser Übersetzung, im Geist des Psalmwortes, sind Theonomie und Aufklärung vereinigt. Aus Gehorsam zur Tora wächst Einsicht.56

Poesie und Denken in den Psalmen

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