Читать книгу Poesie und Denken in den Psalmen - Jean-Claude Wolf - Страница 5
Vorwort
ОглавлениеEine hermeneutische Philosophie, sofern sie nicht mit dem Glauben zusammenfällt, beschäftigt sich mit »Gott im Text« und »Gott im Gebet«, nicht mit losgelösten Aussagen oder Argumenten über »Gott an sich«. Die akademische Philosophie drückt sich um das Thema des Gebets, weil sie an ihre Grenzen geführt wird. Das Denken kann sich nicht selbst begründen. Die Philosophie kann sich aufheben und erneuern, insbesondere in Grenzbereichen, die ihre Kompetenz übersteigen: Beten und Dichten. Manche (weibliche und männliche) Fachvertreter werden das Thema »Gebet« für zu leicht befinden, um sich philosophisch darum zu bemühen. Das Gebet erweist sich für Philosophie und Theologie als ein überraschend schwieriges Thema. Es ist eine besondere Herausforderung für das Denken in der »Moderne«, für neue oder auch ausbleibende Erfahrungen, mit oder ohne Gott. Die poetische Ausdrucksvielfalt der Psalmen eröffnet eine Vielfalt des »gestimmten und vielstimmigen Denkens«. Die Psalmen werden als Geschenk des HEILIGEN ISRAELSßKEß von seinem Volk angenommen und an alle Menschen weitergegeben. Sie zurückzuweisen, zu ignorieren oder weiterhin christozentrisch zu monopolisieren hieße, die historische Untat am jüdischen Volk symbolisch zu wiederholen und die Chancen einer Philosophie aus den Quellen des Judentums und nach dem Trauma der Schoah zu schmälern. Sie bilden ein »Buch für alle und niemand«, d. h. sie »gehören« niemandem als Privatbesitz und allen als gemeinsame Quelle, die guten Willens dichten, beten und ihr Leben und die Gesellschaft reformieren. Auf besonderes Interesse stoßen die »Feindespsalmen«; dem Feind des Betenden nachzudenken bis hinab in den bösen Willen des Betenden, ist eine der Aufgaben des Essays.
ßwegßVon Gott lässt sich fast nichts sagen, zu Gott lässt sich alles sagen. Die Schreibweise mit Kapitälchen bringt vor allem Gott als DUßKEß der Anrede, des Gebetsrufes von Lob, Bitte und Klage und als »Ich bin, der ich binßKEß« SEINERßKEß Selbstoffenbarung zum Ausdruck. Gottes Geheimnis ist kein möglicher Gegenstand eines wissenschaftlichen oder philosophischen Wissens. Das Gebet ist so wenig wie die Poesie die »Lösung« aller Probleme; es dichtet den Betenden als den »Gerechten«, der über seine Feinde triumphiert, aber es »reinigt« den Menschen, der um ein reines Herz bittet, nicht; Beten ist kein magisches Waschmittel. Die Bitte um ein reines Herz gesteht zu, dass der Betende das reine Herz noch nicht hat. Das selbstkritische Denken darf während des Gebets nicht einschlafen. Jeder Mensch, auch der Betende, bleibt in Schuld verstrickt. Im Spannungsverhältnis von Dichten, Denken und Beten liegt ein Problemfeld, das im Folgenden in verschiedenen Schritten betreten wird.
ßwegßFür Rückmeldungen und Gespräche danke ich Willi Goetschel, Anita Gröli, Hans Peter Lichtenberger, Alois Müller, Thomas und Vera Schindler-Wunderlich, Jan Holzheu, Mariette Schaeren und Sylvia Senz. Für verbleibende Unklarheiten und Irrtümer bin ich selbst verantwortlich.