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Neunzehnter Brief.
An Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Nichts halt mich hier länger als Ihr Befehl; fünf Tage, die ich hier zugebracht habe, sind mehr als hinreichend für meine Angelegenheiten gewesen, wenn man anders das Angelegenheiten nennen kann, woran das Herz keinen Theil nimmt. Sie haben nun endlich weiter keinen Vorwand und können mich nicht mehr entfernt halten, außer um mich zu quälen.

Ich fange an mich über das Schicksal meines ersten Briefes sehr zu beunruhigen; ich habe ihn gleich nach meiner Ankunft geschrieben und auf die Post gegeben; die Addresse habe ich genau nach Ihrer Vorschrift gemacht, und wenn Sie pünktlich geantwortet hätten, müßte mir die Antwort schon zugekommen sein. Sie kommt aber nicht, und es ist keine erdenkliche schlimme Ursache ihrer Verzögerung, die sich meine aufgestörte Einbildungskraft nicht vorspiegelte. O meine Julie; wie viele unvorhergesehene Ereignisse können nicht in acht Tagen die süßesten Bande von der Welt auf ewig zerreißen! Ich denke mit Zittern, daß es für mich nur ein einziges Mittel giebt, glücklich zu sein, und Millionen, elend zu werden. Julie, hätten Sie mich schon vergessen? Ach, das ist die schrecklichste meiner Befürchtungen! Ich kann meine Standhaftigkeit auf jedes andere Unglück gefaßt machen, aber alle Kräfte meiner Seele verlassen mich bei dem bloßen Gedanken an diese eine Möglichkeit.

Ich sehe, wie wenig Grund ich habe, mich zu beunruhigen, und kann es doch nicht vermeiden. Ich fühle, entfernt von Ihnen, immer bitterer meine Leiden, und als wären sie nicht schon hinreichend, um mich danieder zu drücken, schmiede ich mir neue in der Einbildung, welche die Bitterkeit der anderen noch steigern. Zuerst war meine Unruhe minder groß. Der Wirrwarr des plötzlichen Aufbruchs, die Aufregung der Reise spielten mir meinen Unmuth aus dem Sinne; in der stillen Einsamkeit kehrt er mit neuer Kraft zurück. Ach! ich kämpfte; ein tödtlicher Stahl hat meine Brust durchbohrt und der Schmerz macht sich lange nach der Verwundung erst fühlbar.

Hundert Mal habe ich bei Romanen über die frostigen Klagen getrennter Liebenden gelacht. Ach, ich wußte damals nicht, wie unerträglich mir eines Tages die Trennung von Ihnen sein würde. Ich fühle jetzt, wie wenig eine ruhige Seele geeignet ist, über Leidenschaften zu urtheilen, und wie unsinnig es ist, über Gefühle zu lachen, die man nicht erfahren hat. Soll ich es Ihnen aber sagen? Ich weiß nicht, was für ein tröstliches, süßes Gefühl in mir die Bitterkeit Ihrer Entfernung mildert, indem ich mir sage, daß es auf Ihr Geheiß so ist. Die Leiden, die mir von Ihnen kommen, sind mir minder schmerzlich, als wenn sie mir vom Schicksal zugetheilt waren; wenn sie dazu dienen, Sie zufrieden zu stellen, so wünsche ich nicht, sie nicht zu fühlen; sie tragen die Bürgschaft in sich, daß sie mir vergolten werden, und ich kenne Ihr Herz zu gut, um zu glauben, daß Sie um nichts und wieder nichts barbarisch sein sollten.

Wenn Sie mich auf die Probe stellen wollen, wohl, ich murre nicht; es ist billig, daß Sie erfahren, ob ich beständig, geduldig, fügsam, mit Einem Worte, der Güter werth bin, die Sie mir aufsparen. Himmel! wenn das Ihr Gedanke wäre, so würde ich mich nur beklagen, daß ich zu wenig leide. O! nein, um in meinem Herzen eine so süße Erwartung zu nähren, erfinden Sie, wo möglich, Leiden, die ihres Lohnes noch würdiger sind.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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