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Einunddreißigster Brief.
An Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Was für ein Wunder von Himmel bist du doch, unbegreifliche Julie! Und wie stellst du es an, was kein Anderer vermag, in einem und dem selben Herzen so viele unverträgliche Regungen zu vereinigen? Trunken von Liebe und Lust, schwimmt das meinige in Traurigkeit; ich bin krank und vergehe vor Schmerz im Schoße des höchsten Glückes und werfe mir wie ein Verbrechen das Uebermaß meines Glückes vor. Gott, welche grauenhafte Qual, sich seinen Gefühlen ganz hingeben zu können, immer und ewig das eine mit dem andern bekämpfen zu müssen uns unaufhörlich die Bitterkeit mit dem Genusse zu paaren! Hundert mal besser wäre es ja, völlig elend zu sein.

Ach was hilft es mir, daß ich glücklich bin? Nicht mehr meine Leiden sind es, die ich jetzt fühle, sondern die deinigen, und sie schmerzen mich desto mehr. Vergeblich willst du mir deine Pein verbergen; ich lese sie wider deinen Willen in der Mattigkeit und Erloschenheit deiner Augen. Diese herzigen Augen, können sie irgend ein Geheimniß vor dem Blicke der Liebe verbergen? Ich sehe, ich sehe unter der Maske der Heiterkeit das geheime Mißbehagen, welches dich drückt, und die Traurigkeit, welche du mit einem sanften Lächeln bedeckst, ist meinem Herzen nur um so bitterer.

Es ist nicht mehr Zeit, mir irgend etwas zu verhelen. Ich war gestern in dem Zimmer deiner Mutter; sie verläßt micht einen Augenblick; ich höre ein Aechzen, das mir die Seele durchbohrt — konnte ich an dieser Wirkung seine Quelle verkennen? Ich näherte mich dem Orte, von wo es auszugehen scheint; ich dringe bis an dein Kabinet. Wie ward mir, da ich die Thür ein wenig öffne und sie, die auf dem Throne der Welt zu sitzen verdiente, auf der Erde sehe, den Kopf auf einen Stuhl gelegt, den sie mit ihren Thränen überschwemmt? Ach, es hätte mich weniger geschmerzt, wenn es mit meinem Blute geschehen wäre. Von welchen Gewissensbissen fühlte ich mich im Augenblick zerrissen! Mein Glück wurde mir zur Marter; ich fühlte nichts mehr als deine Schmerzen und ich hätte mit meinem Leben deine Thränen und alle meine Freuden abkaufen mögen. Ich wollte mich dir zu Füßen stürzen, ich wollte mit meinen Lippen diese kostbaren Thränen aufsaugen, sie in den Grund meines Herzens sammeln, sterben oder sie auf immer trocknen; da höre ich deine Mutter wiederkommen, ich muß hastig an meine Stelle zurückkehren: ich nehme alle deine Schmerzen mit hinweg und ein Jammer, der nur mit ihnen enden wird.

Wie demüthigt mich, wie erniedrigt mich deine Reue! Ich bin also ein recht verächtlicher Mensch, daß unsere Vereinigung dich dir selbst verächtlich macht, und daß die Wonne meines Lebens die Marter des deinigen ist! Sei gerechter gegen dich, meine Julie! sieh mit weniger befangenem Auge die geheiligten Bande an, welche dein Herz geknüpft hat. Bist du nicht den reinsten Gesetzen der Natur gefolgt? Hast du nicht freiwillig das heiligste Bündniß geschlossen? Was hast du gethan, das nicht die göttlichen und menschlichen Gesetze gutheißen könnten und müßten? Was fehlt dem Bande, das uns vereint, als eine öffentliche Erklärung? Wolle mein sein, und du bist nicht weiter strafbar. O meine Gattin! meine würdige, keusche Gefährtin! O Wonne und Glück meines Lebens! Nein, nicht das, was deine Liebe gethan hat, kann ein Verbrechen sein, sondern was du ihr rauben möchtest: nur wenn du jetzt einen anderen Gatten annimmst, kannst du die Ehre beleidigen. Gehöre auf ewig dem Freunde deines Herzens, um unschuldig zu sein. Das Band, das uns bindet, ist rechtmäßig, nur die Untreue, welche es zerrisse, wäre zu tadeln, und der Liebe gebührt es fortan, Bürge der Tugend zu sein.

Wenn aber dein Schmerz vernünftig wäre, wenn deine Klage gegründet wäre, warum entziehst du mir, was mir gehört? Warum vergießen nicht meine Augen die Hälfte deiner Thränen? Du hast kein Leid, das ich nicht fühlen muß, kein Gefühl, das ich nicht theilen muß; und mein Herz wirft dir in gerechter Eifersucht jede Thräne vor, die du nicht in meine Brust schüttest. Sage, du kalte, liebe Geheimnißkrämerin, ist nicht Alles, was deine Seele der meinigen nicht mittheilt, ein Diebstahl, den du gegen die Liebe verübst? Muß nicht Alles zwischen uns gemein sein? Erinnerst du dich nicht mehr, daß du es gesagt hast? Ach, könntest du so lieben wie ich, so würde dich mein Glück ebenso trösten, wie dein Leid mich betrübt, und du würdest meine Freude fühlen, wie ich deine Traurigkeit fühle.

Aber ich sehe es wohl, du verachtest mich als einen Sinnlosen, weil meine Vernunft sich verirrte im Abgrund der Wonne, Mein stürmisches Entzücken erschreckt dich, meine Raserei jammert dich, und du fühlst nicht, daß keine menschliche Kraft stark genug ist, um ein gränzenloses Glück zu tragen. Wie kannst du verlangen, daß eine fühlende Seele unendliches Gute mit Maßen genieße? Wie kannst du verlangen, daß sie so viele Entzückungen zugleich aushalte, ohne außer sich zu gerathen? Weißt du nicht, daß es eine Gränze giebt, wo keine Vernunft widersteht, und daß kein Mensch auf der Welt ist, dessen Besonnenheit jede Probe aushielte? Habe daher Geduld mit der Fieberwuth, in die ich durch dich gefallen bin, und verachte nicht einen Irrsinn, der dein Werk ist. Ich bin nicht bei mir, ich gestehe es; meine Seele, mir entwandt, ist ganz in dir. Ich bin desto mehr im Stande, deine Schmerzen zu fühlen, und desto würdiger, sie zu theilen. O Julie, verstecke dich nicht vor deinem Selbst.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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