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Dreiunddreißigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Ach! mein Freund, was für eine schlechte Zuflucht ist doch für zwei Liebende eine Assemblée! Welche Qual, sich zu sehen und sich Zwang anzuthun! es wäre hundertmal besser, sich gar nicht zu sehen. Wie soll man eine ruhige Miene haben bei so großer Aufregung? Wie soll man so verschieden von sich selbst sein? Wie an so vielerlei Dinge denken, wenn man immer nur mit einem beschäftigt ist? Wie Blick und Geberde im Zügel halten, wenn das Herz davonfliegt? Ich habe mich in meinem Leben nicht so verwirrt gefühlt, als gestern, da du bei Frau von Hervart angemeldet wurdest. Die Nennung deines Namens kam mir wie ein Vorwurf gegen mich vor; es war mir, als müßten sich alle Leute zugleich nach mir drehen: ich wußte nicht mehr, was ich that; und als du eintratest, erröthete ich so ungemein, daß meine Cousine, die mich bewachte, genöthigt war, ihr Gesicht und ihren Fächer vorzubeugen, als ob sie mir etwas ins Ohr sagte. Ich zitterte, daß auch schon das einen schlimmen Eindruck machen und daß man ein Geheimniß hinter dieser Flüsterei suchen möchte. Mit Einem Wort, ich fand in Allem Ursache zu neuer Angst, und nie habe ich lebhafter gefühlt, wie ein böses Gewissen Zeugen gegen uns aufruft, die an nichts weniger gedacht haben.

Clara wollte bemerken, daß du keine bessere Figur spieltest: du schienst ihr in Verlegenheit, wie du dich stellen, in Unruhe, wie du dich benehmen solltest, ohne Muth, heranzutreten oder mich anzureden oder dich zu entfernen, und mit den Blicken den ganzen Kreis durchlaufend, um, meinte sie, Gelegenheit zu haben, uns anzusehen. Als ich mich von meiner Aufregung ein wenig erholte, glaubte ich selber die deinige zu bemerken, bis die junge Madame Belon ein Gespräch mit dir angeknüpft hatte, und du dich plaudernd zu ihr setztest und an ihrer Seite ruhiger wurdest.

Ich fühle, mein Freund, daß uns diese Lebensart, die so viel Zwang und so wenig Freude mit sich bringt, nicht taugt: wir haben uns zu lieb, um uns so sehr Gewalt anthun zu können. Diese öffentlichen Begegnungen sind nur für Leute gut, die von Liebe nichts wissen, sondern nur auf gutem fuße mit einander stehen, oder die kein Geheimniß haben: die Unruhe ist groß von meiner Seite eine Unvorsichtigkeit von der deinigen zu sehr zu fürchten; und ich kann nicht immer eine Madame Belon zur Seite haben, die im Nothfalle zur Ableitung diene.

Laß uns, o laß uns wieder das einsame, stille Leben suchen, aus dem ich dich leider gerissen habe. Dieses Leben war es, das unsre Liebe geweckt und genährt hat: sie könnte bei einem zerstreuteren Leben wohl leicht ermatten. Mächtige Leidenschaften bilden sich immer in der Einsamkeit: man findet ihres Gleichen nicht in der großen Welt, wo keinem Gegenstande Zeit gelassen ist, einen tiefen Eindruck zu machen, und wo der bunte Wechsel des Gefälligen die Kraft der Gefühle abstumpft. Es ist eine Lage, die auch der Schwermuth besser zusagt; diese nährt sich mit derselben Speise wie meine Liebe; dein theures Bild ist Beider Unterhalt und ich mag dich lieber in der Stille meines Herzens zärtlich und gefühlvoll sehen, als gezwängt und zerstreut in einer Assemblée.

Es kann auch übrigens eine Zeit kommen, wo ich genöthigt sein würde, zurückgezogener zu leben: wäre sie schon da, diese ersehnte Zeit! Die Klugheit und mein eigener Hang rathen mir gleichmäßig dazu, im Voraus Gewohnheiten anzunehmen, welche dem entsprechen, was die Nothwendigkeit fordern kann. Ach! Wenn aus meinem Fehltritt das Mittel entspringen könnte, ihn wieder gut zu machen! Die süße Hoffnung, eines Tages ….! Ich sage fast unversehens mehr von dem Plane, der mich beschäftigt, als ich sagen will. Verzeih mir, daß ich damit so geheim thue, mein einziger Freund! mein Herz wird nie ein Geheimniß haben, das dir nicht süß zu wissen wäre. Dieses jedoch darfst du nicht wissen; und ich kann dir für jetzt nichts weiter davon sagen, als daß die Liebe, welche unsere Leiden geschaffen hat, uns auch das Heilmittel schaffen muß. Denke nach, finde die Auflösung in deinem Kopfe; aber ich verbiete dir, mich darüber zu fragen.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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