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Achtunddreißigster Brief.
An Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Nein, Julie, keinen Tag ist es möglich, dich nur wieder so, wie den vorigen zu erblicken: meine Liebe muß unaufhörlich zunehmen und wachsen mit deinen Reizen und du bist mir ein unversieglicher Quell von neuen Gefühlen, die ich nie geahnt hätte. Welch ein wundervoller Abend! Was für unbekannte Wonnen gabst du meinem Herzen zu genießen! O zauberische Schwermuth! Weichheit einer schmachtenden Seele! Wie weit übertreffet ihr die lärmende Freude, das laute Gelächter, die ausgelassene Fröhlichkeit und allen Rausch, den Glut ohne Maß den ungezügelten Begierden darbietet! Stiller, seliger Genuß, der nicht seines Gleichen in der Lust der Sinne hat, nie, nie wird dein tief ergreifendes Andenken aus meinem Herzen sich verwischen! Götter! welch hinreißendes Schauspiel, oder vielmehr welch ein Himmel, zwei so rührende Schönheiten in zärtlicher Umarmung zu sehen, das Gesicht der einen auf den Busen der andern geneigt, ihre süßen Thränen sich vermischend und diesen reizenden Busen badend, wie der Thau vom Himmel eine frisch verschlossene Lilie benetzt! Sie machte mich eifersüchtig, diese so zärtliche Freundschaft; ich fand darin ein Etwas, das noch mehr reizt als die Liebe selbst, und es war mir eine Art Weh, daß ich dir nicht so lieben Trost bieten kann, den ich nicht durch die Heftigkeit meiner Empfindungen trübte. Nein, nichts, nichts auf Erden ist fähig, eine so süße Rührung zu wecken, als eure gegenseitigen Liebkosungen; und das Schauspiel zweier Liebenden hätte meinen Augen kein so köstliches Bild darbieten können.

Ach! wie verliebt würde ich in diesem Augenblick in die liebenswürdige Cousine gewesen sein, wenn nicht Julie wäre! Aber nein, es war Julie selbst, die ihren unbesieglichen Reiz über Alles verbreitete, was sie umgab. Dein Kleid, dein Putz, deine Handschuh, dein Fächer, deine Arbeit, Alles, was von deiner Umgebung meine Blicke traf, bezauberte mein Herz und du allein machtest den ganzen Zauber. Halt inne, süße Freundin! wenn du meine Trunkenheit noch steigertest, so würdest du mir das Vergnügen rauben, sie zu empfinden. Was du mich fühlen lässest, grenzt nahe an ächten Wahnsinn, und ich fürchte, die Vernunft noch wirklich zu verlieren. Laß mir wenigstens das Gefühl eines Irrseins, das mich glücklich macht; laß mich diese neue Begeisterung trinken, die erhabener ist und flammender als Alles, was ich mir je von der Liebe gedacht habe. Wie? du kannst dich für erniedrigt halten? Wie? Raubt die Leidenschaft auch dir den Verstand? Ich, ich finde dich zu vollkommen für ein sterbliches Geschöpf. Ich würde dich für ein Wesen reinerer Art halten, wenn nicht dieses verzehrende Feuer, das mein Sein durchströmt, es mit dem deinigen vereinigte und mich fühlen ließe, daß sie Eins sind. Nein, Niemand auf der Welt kennt dich; du kennst dich selbst nicht; mein Herz allein kennt dich, fühlt dich und weiß dich an deine Stelle zu setzen. Meine Julie! ach! was für Huldigung entginge dir, wenn du blos angebetet würdest! Ach! wenn du nichts als ein Engel wärst, wie viel von deinem Werthe wäre verloren!

Sage mir, wie ist es möglich, daß eine Leidenschaft wie die meinige noch zunehmen kann? Ich weiß es nicht, aber ich empfinde es. Obgleich du mir allezeit gegenwärtig bist, giebt es doch manche Tage vor anderen, wo dein Bild schöner als jemals mich verfolgt und mich quält mit einer Lebhaftigkeit, der weder Ort noch Zeit mich entrückt; und ich glaube, du ließest mich mit ihr in jenem Chalet, welches du am Schlusse deines letzten Briefes verließest. Seit von dieser ländlichen Zusammenkunft die Rede ist, bin ich dreimal aus der Stadt gegangen; jedes Mal haben mich meine Füße nach derselben Richtung getragen, und jedes Mal hat sich mir die Aussicht auf einen so ersehnten Aufenthalt angenehmer dargestellt.

Non vide il mondo si leggiadri rami, Ne mosse il vento mai si verdi frondi.

[Die Welt sah nicht so spielend leichte Zweige, Kein solch grün Laub hat noch der Wind beweget. Petrarca.]

Ich finde das Feld lachender, das Grün frischer und lebendiger, die Luft reiner, den Himmel heiterer; der Gesang der Vögel scheint mir zärtlicher und lieblicher; das Murmeln der Bäche weckt ein sehnlicheres Schmachten; der blühende Wein sendet süßere Düfte in die Ferne; ein geheimer Zauber verschönt entweder alle Gegenstände oder hat meine Sinne bestochen; man sollte meinen, die Erde schmücke sich, um deinem glücklichen Geliebten ein Hochzeitbett zu bereiten, würdig der Schönheit, welche er anbetet, und der Flamme, die ihn verzehrt, O Julie! o theure, kostbare Hälfte meiner Seele! eilen wir, all dieser Zierde des Lenzes die Gegenwart zweier treuen Liebenden hinzuzufügen! Laß uns die Empfindung der Lust dahin tragen, wo von ihr nur das hohle Bild ist, laß sie uns beleben, die Natur, die ganz und gar todt ist ohne das Feuer der Liebe. Wie? Drei Tage warten? Drei Tage noch? Trunken von Liebe, dürstend nach Lust erwarte ich den langsam daherschleichenden Augenblick mit schmerzlicher Ungeduld. Ach, wie glücklich wäre man, wenn der Himmel aus dem Leben alle tödtlichlange Pausen nähme, welche solche Augenblicke von einander trennen!

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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