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Neunundvierzigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Du weißt wohl, mein Freund, daß ich nur verstohlen an dich schreiben kann, und stets in Gefahr, überrascht zu werden. Also bei der Unmöglichkeit, lange Briefe zu schreiben, beschränke ich mich darauf, das Hauptsächlichste in dem deinigen zu beantworten, oder das nachzuholen, was ich dir in mündlicher Unterhaltung, die immer nicht weniger abgestohlen ist als die schriftliche, nicht sagen konnte. Das will ich heute ganz besonders thun, da zwei Worte in Betreff Milords Eduard mich alles Uebrige, was dein Brief enthält, vergessen machen.

Mein Freund, du fürchtest, mich zu verlieren, und unterhältst mich von Chansons! was für ein schöner Stoff zum Hader unter Liebenden, die sich weniger verstehen als wir! Wahrhaftig du zeigst es, daß du nicht eifersüchtig bist; aber dieses Mal will ich es selbst nicht sein; denn ich habe in deine Seele geschaut und fühle nur dein Vertrauen, wo Andere glauben würden, Kälte zu fühlen, O die süße entzückende Zuversicht, die aus dem Gefühle einer vollkommenen Vereinigung entspringt! Sie macht, ich weiß es, daß du aus deinem eigenen Herzen solch gutes Zeugniß für das meinige nimmst; sie macht auch, daß das meinige dich rechtfertigt, ja ich würde dich für weniger verliebt halten, wenn ich dich unruhiger sähe.

Ich weiß nicht und will nicht wissen, ob Milord Eduard andere Aufmerksamkeiten für mich hat, als diejenigen, welche alle Männer für Personen meines Alters haben, es handelt sich nicht um seine Meinung, sondern um die meines Vaters und die meinige; die beiden letzteren stimmen aber in Betreff seiner ebenso sehr überein wie in Betreff der übrigen angeblichen Anspruchmacher, von denen du sagst, daß du nichts sagst. Wenn seine Ausschließung und die ihrige zu deiner Ruhe hinreichend sind, so sei ruhig. Wie sehr wir uns auch durch den Zuspruch eines Mannes von diesem Range geehrt finden, so wird doch nie, weder mit des Vaters noch mit der Tochter Willen, Julie von Étange Lady Bomston sein. Darauf kannst du rechnen.

Glaube übrigens nicht, daß von Milord Eduard die Rede gewesen sei; ich bin gewiß, daß von uns Vieren du der Einzige bist, der auch nur daran denken mochte, daß er Gefallen an mir gefunden habe. Wie dem sei, ich weiß in dieser Hinsicht den Willen meines Vaters, ohne daß er darüber gegen mich oder irgend Jemanden ein Wort verloren

hätte, und ich könnte ihn nicht besser wissen, wenn er ihn mir ausdrücklich gesagt hätte. Genug hiermit, um deine Furcht zu beschwichtigen, d. h. So viel als du zu wissen brauchst. Das Weitere wäre von deiner Seite reine Neugier, und du weißt, daß ich entschlossen bin, diese nicht zu befriedigen. Du magst mir nur diese Zurückhaltung zum Vorwurf machen und sie für übel am Orte in Betreff unserer gemeinsamen Interessen erklären; wenn ich sie immer gehabt hätte, würde sie jetzt nicht so wichtig für mich sein. Ohne die Unbedachtsamkeit, mit welcher ich dir von eine Aeußerung meines Vaters Rechenschaft gab, würdest du in Meillerie nicht so in Verzweiflung gewesen sein, hättest du mir nicht den Brief geschrieben, der mich ins Verderben gerissen hat, lebte ich noch unschuldig und dürfte noch nach dem Glücke streben. Aus dem, was mich eine einzige Unbedachtsamkeit gekostet hat, kannst du die Furcht schließen, welche ich davor habe, neue zu begehen. Du bist viel zu hitzigen Temperaments, um vorsichtig zu sein, du könntest eher deine Leidenschaft besiegen als sie verbergen. Die geringste Störung würde dich in Wuth bringen; bei dem geringsten Scheine von Aussicht würdest du an nichts mehr zweifeln; man würde all unsere Geheimnisse in deiner Seele lesen, und du würdest aus lauter Eifer den ganzen Erfolg meiner Bemühungen zerstören. Ueberlaß mir also die Sorgen der Liebe und halte dich blos an ihre Freuden; ist diese Theilung so unerträglich? Und fühlst du nicht, daß du unser Glück nicht anders fördern kannst, als indem du ihm kein Hinderniß in den Weg legst?

Ach! Ach! Was wird mir nur diese zu späte Vorsicht nützen? Ist es Zeit, am Rande des Abgrundes seinen Schritt zu hemmen und dem Unglück vorzubeugen, von dem man sich schon ergriffen fühlt? Ach! Unglückliches Mädchen! du darfst auch noch von Glück sprechen! kann es je da sein, wo die Schande und die Gewissensbisse wohnen? O mein Gott! welch ein grausamer zustand, seine Schuld weder ertragen, noch bereuen zu können, belagert von tausend Aengsten, geneckt von tausend eitlen Hoffnungen und nicht einmal der grauenvollen Ruhe der Verzweiflung zu genießen! Ich bin ja nun ganz dem Schicksal allein preisgegeben. Es kann ja von Kraft, von Tugend gar nicht mehr die Rede sein, nur noch von Glück und Vorsicht; und es handelt sich nicht darum, eine Liebe auszulöschen, die solange dauern soll als mein Leben, sondern sie schuldlos zu machen oder schuldig zu sterben. Sieh diese Lage an, mein Freund, und sieh, ob du dich meinem Eifer anvertrauen darfst.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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