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Dreiundvierzigfter Brief.
An Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Gestern früh kam ich in Neufchatel an; ich erfuhr, daß Herr von Merveilleur auf dem Lande sei, ich suchte ihn sogleich dort auf; er war auf der Jagd und ich erwartete ihn bis auf den Abend. Als ich ihm die Veranlassung meiner Reise auseinandergesetzt und ihn gebeten hatte, einen Preis für Claude Anet's Entlassung zu bestimmen, machte er mir viele Schwierigkeiten. Ich glaubte sie dadurch heben zu können, daß ich selbst eine ziemlich beträchtliche Summe anbot und sie erhöhete, je mehr er sich weigerte, allein da ich nichts erlangen konnte, war ich genöthigt, mich zu entfernen, nachdem ich mir Gewißheit verschafft hatte, daß ich ihn heute Morgen noch fände, denn ich war fest entschlossen, nicht von ihm abzulassen, bis ich mit Hülfe von Geld oder Zudringlichkeit, oder auf welche Art es ginge, das, was ich von ihm zu erbitten hatte, erlangt haben würde. Ich stand deswegen schon sehr früh auf, und wollte eben zu Pferde steigen, als ich durch einen Expressen das folgende Billet von Herrn von Merveilleur nebst dem förmlichen Abschiede des jungen Menschen erhielt:

„Hierbei, mein Herr, erhalten Sie den Abschied, um den Sie angesucht haben; ich habe ihn auf Ihre Anerbietungen verweigert; Ihren menschenfreundlichen Absichten gewähre ich ihn, und bitte Sie zu glauben, daß ich eine gute Handlung nicht für Geld thue."

Schließen Sie nach der Freude, die Ihnen dieser glückliche Erfolg machen wird, auf die meinige, als ich ihn erfuhr. Warum ist sie, ach, nicht so vollkommen, als sie doch sein sollte? Ich kann nicht umhin, Herrn von Merveilleur nochmals zu besuchen, um ihm zu danken und das Handgeld zurückzuzahlen, und wenn dieser Besuch meine Abreise um einen Tag verzögert, wie es zu fürchten ist, habe ich nicht Recht, wenn ich sage, daß er sich auf meine Kosten edel gezeigt hat? Doch es thut nichts, ich habe gethan, was Ihnen angenehm ist, ich kann um diesen Preis Alles ertragen. Wie glücklich, Gutes thun zu können, indem man damit Der dient, die man liebt, und so in seiner Handlung die Zauber der Liebe und der Tugend zu vereinigen! Ich will es gestehen, Julie, ich reiste ab mit einem Herzen voll Mißmuth und Verdruß. Ich machte es Ihnen zum Vorwurf, daß Sie so viel Theilnahme haben für die Leiden Anderer und die meinigen für nichts rechnen, als ob ich der Einzige auf der Welt wäre, der nichts von Ihnen verdiente. Ich fand es barbarisch, nachdem Sie mich mit einer so süßen Hoffnung geködert hatten, mich ohne Noch eines Vergnügens zu berauben, womit Sie mir selbst geschmeichelt hatten. All dieses Murren ist vorbei; ich fühle an dessen Statt wieder eine ungeahnte Zufriedenheit im Grunde meiner Seele keimen, empfinde schon die Entschädigung, welche Sie mir verheißen haben, Sie, die die Gewohnheit, Gutes zu thun, so sehr belehrt hat, welche Freuden es gewährt. Wie seltsam ist die Macht, die Sie üben, daß Sie einem die Entbehrungen ebenso süß, als die Genüsse zu machen, und dem, was man für Sie thut, denselben Reiz zu verleihen wissen, den man darin finden würde, sieh selbst genugzuthun! Ach! ich habe es hundertmal gesagt, du bist ein Engel vom Himmel, meine Julie! Bei diesem Einfluß auf meine Seele ist es kein Zweifel, daß die deinige mehr göttlich als menschlich ist. Wie soll man nicht ewig dein sein, da dein Reich himmlisch ist? Und was hülfe es, wenn man aufhörte, dich zu lieben, wenn man dich ewig anbeten muß?

N. S. Meiner Rechnung nach haben wir mindestens noch fünf oder sechs Tage bis zur Zurückkunft der Mama; wäre es nicht möglich, in dieser Zwischenzeit doch noch eine Wanderung nach dem Chalet zu machen?

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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