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Siebenundfünfzigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Mein Freund, ich habe mich über das, was zwischen Ihnen und Milord Eduard vorgegangen ist, sorgfältig unterrichtet; gestützt auf die genaue Bekanntschaft mit den Thatsachen, will Ihre Freundin mit Ihnen untersuchen, wie Sie sich bei dieser Gelegenheit verhalten müssen, nach der Denkungsart, zu welcher Sie sich bekennen und mit welcher Sie, wie ich annehme, nicht blos eitlen Staat machen.

Ich will nicht danach fragen, ob Sie im Fechten geübt sind, noch ob Sie sich im Stande fühlen, es mit einem Manne aufzunehmen, der in Europa den Ruf hat, die Waffen mit Ueberlegenheit zu führen, und der bei fünf oder sechs Duellen, die er in seinem Leben hatte, jedesmal seinen Gegner getödtet oder verwundet oder entwaffnet hat: ich begreife., daß man in dem Falle, in welchem Sie sich befinden, nicht seine Geschicklichkeit zu Rathe zieht, sondern seinen Muth, und daß die rechte Art, sich an einem braven Manne, von dem man beleidigt ist, zu rächen, die ist, daß man sich von ihm tödten lasse; nichts weiter über eine so weise Maxime! Sie werden mir sagen, daß Ihre Ehre und die meinige Ihnen theurer sind, als das Leben. Dies ist also der Punkt, den wir ins Auge fassen müssen.

Fangen wir mit Ihnen an. Könnten Sie mir wohl sagen, worin Sie eigentlich persönlich beleidigt sind durch eine Rede, bei welcher es sich um mich allein handelte? Ob Sie sich bei dieser Gelegenheit meiner Sache anzunehmen hatten, werden wir sogleich sehen: vor der Hand werden Sie nicht leugnen können, daß der Streit mit Ihrer besonders Ehre gar nichts zu schaffen hatte, es wäre denn, daß Sie es für einen Schimpf hielten, wenn man Sie im Verdacht hat, von mir geliebt zu sein. Sie sind beleidigt worden, ich gebe es zu, aber erst nachdem Sie selbst mit einer schweren Beleidigung den Anfang gemacht hatten, und ich, die ich lauter Militaires in der Familie habe, ich, die ich so oft dergleichen fürchterliche Fragen verhandeln hörte, weiß recht gut, daß eine Beschimpfung, die einer Beschimpfung zur Antwort dient, diese nicht aufhebt, und daß der Erste, den man beschimpft, der einzige Beleidigte bleibt: es ist derselbe Fall, wie bei einem unerwarteten Angriff, wo der Angreifer der einzige Strafbare ist, und der, welcher zu seiner Selbstvertheidigung tödtet oder verwundet, nicht des Mordes schuldig ist.

Jetzt zu mir. Zugegeben, daß Milord Eduard's Aeußerung beleidigend für mich war, obgleich er mir eben nur Gerechtigkeit widerfahren ließ: wissen Sie wohl, was Sie damit thun, wenn Sie mich mit so vieler Wärme und Unbehutsamkeit vertheidigen? Sie verstärken seine Schimpfrede, Sie beweisen, daß er Recht hatte, Sie opfern meine Ehre einem falschen Ehrenpunkt, Sie bringen Ihre Geliebte in Schande, um höchstens damit den Ruf eines tüchtigen Raufdegens zu gewinnen. Bitte, zeigen Sie mir doch, was für ein Zusammenhang zwischen Ihrer Art, mich zu rechtfertigen, und meiner wirklichen Rechtfertigung besteht. Glauben Sie, daß der Eifer, womit Sie sich meiner annehmen, ein großer Beweis dafür sei, daß kein Verhältniß zwischen uns bestehe, und daß es genüge, wenn Sie sich tapfer zeigen, um zu beweisen, daß Sie nicht mein Liebhaber sind? Sein Sie überzeugt, daß alle Reden Milord Eduard's mir weniger schaden, als Ihr Betragen bei der Sache: Sie allein haben es über sich genommen, durch das Aufsehen, welches Sie davon machen, sie zu verbreiten und zu bestätigen. Er für sein Theil kann Ihrem Degen bei dem Zweikampfe entgehen, aber nie wird mein Ruf und vielleicht mein Leben dem tödtlichen Stoße entgehen, welchen Sie ihm versetzen.

Dies sind Gründe, die zu triftig sind, als daß Sie ihnen etwas entgegensetzen könnten; aber ich sehe es voraus, Sie werden die Vernunft mit dem Herkommen bekämpfen; Sie werden mir erwidern, daß es Verhängnisse giebt, welche uns wider unsern Willen fortreißen; daß man in jedem Falle eine Lüge, die einem vorgeworfen wird, nicht einsteckt, und daß, wenn ein Handel einmal bis auf einen gewissen Punkt gekommen ist, das Duell nicht vermieden werden kann, ohne daß man sich entehrt. Sehen wir denn!

Erinnern Sie sich einer Unterscheidung, die Sie mir einmal bei einer wichtigen Gelegenheit aufstellten, zwischen wahrer Ehre und scheinbarer Ehre? In welche von beiden Klassen werden wir diejenige stellen, um die es sich jetzt handelt? Ich in der That, ich sehe nicht, wie das auch nur eine Frage sein kann. Was hat der Ruhm, einen Menschen umzubringen, mit dem Zeugnisse eines guten Gewissens gemein? und was für eine Bedeutung kann die leere Meinung Anderer für die wahre Ehre haben, die doch mit allen ihren Wurzeln am Grunde des Herzens hängt? Wie? Vergeben die Tugenden, welche man wirklich besitzt, vor den Lügen eines Verleumders? beweisen die Beleidigungen eines betrunkenen Menschen, daß man sie verdient? Und wäre die Ehre des Weisen in der Gewalt des ersten besten groben Gesellen, auf den er stößt! Werden Sie mir sagen, das Duell beweise, daß man Herz hat, und dies genüge, um die Schande oder den Vorwurf aller übrigen Laster auszulöschen? Ich frage Sie: welche Ehre kann ein solches Urtheil fällen und welche Vernunft kann es rechtfertigen? Nach dieser Regel braucht sich ein Spitzbube nur zu schlagen und er ist kein Spitzbube mehr; die Reden eines Lügners werden zu Wahrheiten, sobald er sie mit der Degenspitze unterstützt; und wenn man Sie beschuldigte, einen Menschen getödtet zu haben, so würden Sie hingehen und einen zweiten tödten, um zu beweisen, daß es nicht wahr ist. Also: Tugend, Laster, Ehre, Schande, Wahrheit, Lüge, alles das kann sein Wesen aus dem Ausgange eines Zweikampfes nehmen; ein Fechtboden ist der höchste Gerichtshof; es giebt kein anderes Recht, als die Gewalt, keine andere Rechtfertigung, als den Mord; die ganze Genugthuung, die man Denen schuldet, welche man beschimpft hat, ist, daß man sie tödtet, und jede Beleidigung kann abgewaschen werden, gleichviel, ob in dem Blute des Beleidigers oder des Beleidigten. Sagen Sie, wenn die Wölfe raisonniren könnten, würden sie andere Grundsätze haben? Urtheilen Sie selbst, an dem Falle, worin Sie sich befinden, ob ich die Abgeschmacktheit derselben übertreibe. Um was handelt es sich hier für Sie? Um eine Lüge, die Ihnen bei einer Gelegenheit vorgeworfen wurde, wo Sie logen. Meinen Sie nun die Wahrheit zugleich mit Dem zu tödten, den Sie dafür strafen wollen, daß er sie gesagt hat? Bedenken Sie wohl, daß Sie, dem Schicksalsspruche eines Zweikampfs sich unterwerfend, den Himmel zum Zeugen für eine Falschheit anrufen, und daß Sie zu dem Richter der Kämpfe zu sprechen wagen: komm, und hilf der ungerechten Sache und laß die Lüge triumphiren? Liegt in dieser Blasphemie nichts, wovor Sie schaudern? in solcher Widersinnigkeit nichts, was Sie empört? O mein Gort, was für eine jämmerliche Ehre ist das, die nicht das Laster scheut, sondern den Vorwurf, und die von einem Andern nicht den Vorwurf der Lüge ertragen will, den das eigene Herz doch schon zuvor erhoben hat!

Sir, der Sie fordern, daß man Nutzen ziehe von dem, was man liest, sollten das auch selber thun, und sehen Sie doch nach, ob es je auf Erden eine Herausforderung gab, als sie noch mit Helden bedeckt war. Haben die tapfersten Männer des Alterthums je daran gedacht, ihre persönlichen Beleidigungen durch Sonderkämpfe zu rächen? Schickte Cäsar dem Cato ein Cartell oder Pompejus dem Cäsar für so viel gegenseitigen Schimpf, als sie sich anthaten? Und war der größte Feldherr Griechenlands entehrt, weil er sich hatte mit dem Stocke drohen lasten? Andere Zeiten, andere Sitten, o, ich weiß; aber sind sie deshalb alle gut? und sollte man es nicht wagen, nachzuforschen, ob denn auch die Sitten einer Zeit von der Art sind, wie die wahre Ehre sie fordert? Nein, diese Ehre ist nicht wandelbar; sie ist unabhängig von den Zeiten, Orten, Vorurtheilen; sie kann nicht vergehen, noch wieder entstehen; sie hat ihre ewige Quelle in dem Herzen des rechten Menschen und in der unveränderlichen Richtschnur seiner Pflichten. Wenn die aufgeklärtesten, tapfersten, tugendhaftesten Völker der Erde das Duell nicht gekannt haben, so sage ich, es ist keine Einrichtung, die aus dem Wesen der Ehre entspringt, sondern eine abscheuliche, barbarische Mode, ihres wilden Ursprungs würdig. Es käme nun darauf an, ob in dem Falle, wann es sich um das eigene oder um fremdes Leben handelt, der rechtschaffene Mann sich nach der Mode richtet, und ob er nicht mehr wahren Muth zeigt, wenn er sie verachtet, als wenn er ihr folgt. Was würde Ihrer Meinung nach Der thun, welcher sich ihr auch da unterwerfen wollte, wo ein entgegengesetzter Brauch herrscht? In Messina oder in Neapel würde er seinem Manne an einer Straßenecke auflauern und ihn von hinten niederstoßen lassen. Das nennt man dort zu Lande brav sein; und die Ehre besteht nicht darin, daß man sich von seinem Feinde tödten läßt, sondern daß man ihn selber tödtet.

Hüten Sie sich also, den geheiligten Namen Ehre mit jenem rohen Vorurtheile zu vermengen, welches alle Tugenden auf die Spitze des Degens setzt, und zu nichts gut ist, als brave Bösewichter zu schaffen. Könnte selbst diese Verfahrungsart ein Ersatzmittel für die Redlichkeit geben, gut, aber ist nicht, wo die Redlichkeit selbst herrscht, das Ersatzmittel überflüssig? Und was soll man von Dem denken, der sich dem Tode aussetzt, um sich die Mühe zu ersparen, ein rechtschaffener Mann zu sein? Bemerken Sie denn nicht, daß die Verbrechen, welche Scham und Ehrgefühl nicht verhindert haben, nur bedeckt und verdoppelt sind durch die falsche Scham und Furcht vor dem Tadel? Sie ist es, die den Menschen zum Heuchler und zum Lügner macht; sie, die ihn dazu bringt, das Blut eines Freundes zu vergießen um ein unbedachtes Wort, das er vergessen sollte, um einen verdienten Vorwurf, den er nicht ertragen mag; sie, die ein verführtes und furchtsames Mädchen in eine höllische Furie verwandelt; sie, allmächtiger Gott, die die mütterliche Hand gegen die zarte Frucht bewaffnen kann .... mein Herz entfällt mir bei dem gräßlichen Gedanken. und ich danke wenigstens Dem, der die Herzen prüft, daß er aus dem meinigen diese scheußliche Ehre fern hält, die nichts als Missethaten gebiert und vor der die Natur schaudert.

Kehren Sie doch nur in sich selbst ein, und erwägen Sie, ob es Ihnen erlaubt ist, mit vorbedachter Absicht das Leben eines Mannes anzugreifen und das Ihrige auszusetzen, um einer barbarischen und gefährlichen Grille zu genügen, die auf nichts Vernünftiges gegründet ist, und ob das traurige Andenken des um solchen Anlaß vergossenen Blutes nicht unaufhörlich um Rache schreien wird tief im Herzen Dessen, der es vergossen hat. Kennen Sie ein Verbrechen, das dem freiwilligen Todtschlag gleichkäme? Und wenn die Grundlage aller Tugenden die Menschlichst ist, sagen Sie, was soll man von dem blutdürstigen und ausgearteten Menschen denken, der sie in dem Leben seines Nächsten anzulasten wagt? Erinnern Sie sich dessen, was Sie mir selbst über den ausländischen Kriegsdienst gesagt haben. Haben Sie vergessen, daß der Bürger sein Leben dem Vaterlande schuldet und nicht das Recht hat, ohne Zustimmung der Gesetze, um wie viel weniger gegen ihr Verbot, darüber zu verfügen? O mein Freund, wenn Sie aufrichtig die Tugend lieben, lernen Sie ihr nach ihrer Weise dienen, und nicht nach der Weise der Menschen. Ich will sagen, daß sich dabei manche Unannehmlichkeiten ergeben können: ist denn aber das Wort Tugend für Sie nur ein leerer Schall? Und wollen Sie nur tugendhaft sein, wenn man es ohne Aufopferung sein kann?

Aber was für Unannehmlichkeiten sind es im Grunde? Das Murren der Müßiggänger, der bösen Menschen, die sich an dem Unglück Anderer zu ergötzen suchen und gern immer irgend etwas Neues zu erzählen haben möchten. Wahrhaftig ein mächtiger Beweggrund, um sich einander zu erwürgen! Wenn der Philosoph, der Weise sich in den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens nach dem unsinnigen Geschwätz der Menge richtet, wozu dann all dies weitläufige Studiren, um am Ende nichts weiter als ein gewöhnlicher Mensch zu sein? Sie wagen also nicht, die Rachsucht der Pflicht, der Werthschätzung, der Freundschaft zum Opfer zu bringen, aus Furcht, daß man Ihnen vorwerfen könnte, Sie fürchteten sich vor dem Tode? Wägen Sie Beides gegen einander, mein lieber Freund, und Sie werden mehr Feigheit in der Furcht vor diesem Vorwurfe, als in der Furcht vor dem Tode selbst finden. Der Feige, der Furchtsame will mit aller Gewalt für tapfer gelten:

Ma verace valor, ben che negletto, E di se stesso a se freggio assai chiaro.

[Allein wahrhafter Muth, wenn auch mißachter, Ist an sich selber schon des Mannes Zierte.]

Wer vorgiebt, dem Tode ohne Entsetzen ins Gesicht zu schauen, lügt. Jeder Mensch fürchtet den Tod, dies ist das Grundgesetz aller fühlenden Wesen, ohne welches jede sterbliche Gattung bald zerstört sein würde. Diese Furcht ist eine einfache Regung der Natur, und etwas nicht blos Gleichgültiges, sondern etwas an sich Gutes und der Ordnung der Dinge Entsprechendes; schimpflich und tadelnswerth wird sie nur dann, wenn man sich durch sie verhindern läßt, das Gute zu thun und seine Pflichten zu erfüllen. Wenn die Feigheit niemals der Tugend hinderlich wäre, so würde sie kein Laster weiter sein. Wer mehr an seinen Leben hängt als an seiner Pflicht, kann nicht in allem Ernst tugendhaft sein, das gebe ich zu. Aber erklären Sie mir, da Sie sich mit der Vernunft brüsten, was sich Verdienstliches darin finden läßt, dem Tode zu trotzen, um ein Verbrechen zu begehen.

Gesetzt, es wäre wahr, daß man sich verächtlich macht, wenn man sich weigert, sich zu schlagen, welche Verachtung ist dann am meisten zu fürchten, die der Anderen, wenn man gut handelt, oder die eigene, wenn man schlecht handelt?

O glauben Sie mir, wer sich wahrhaft selbst achtet, macht sich wenig aus der ungerechten Verachtung der Anderen und hütet sich nur davor, dieselbe zu verdienen; denn das Gute und Rechte hängt nicht von der Meinung der Menschen, sondern von der Natur der Dinge ab, und wenn die ganze Welt die Handlung gutheißen wollte, welche Sie zu thun im Begriffe sind, würde sie deswegen doch nicht weniger schändlich sein. Es ist aber nicht wahr, daß man sich verächtlich macht, wenn man sich aus Grundsatz ihrer enthält. Der ehrliche Mann, dessen ganzes Leben fleckenlos und der nie eine Spur von elender Furcht gezeigt hat, wird sich weigern, seine Hand mit einem Morde zu beflecken, und nur noch mehr deswegen geehrt werden. Stets bereit, dem Vaterlande zu dienen, den Schwachen zu beschützen, die gefahrvollsten Pflichten zu erfüllen, und bei jedem gerechten und schicklichen Begegniß, was ihm theuer ist, mit seinem Blute zu vertheidigen, legt er in jeden seiner Schritte jene unerschütterliche Festigkeit, welche man ohne wahren Muth nicht haben kann. In der Sicherheit seines Bewußtseins geht er aufgerichteten Hauptes, flieht nicht und sucht nicht seinen Feind; man sieht leicht, daß er weniger den Tod als das Unrechtthun scheut, und daß er das Verbrechen, nicht die Gefahr fürchtet. Wenn sich die gemeinen Vorurtheile einen Augenblick gegen ihn erheben, so stehen alle Tage seines ehrenhaften Lebens als Zeugen wider sie auf, und bei einer so fest in sich zusammenhängenden Aufführung beurtheilt man die einzelne Handlung nach allen übrigen.

Aber wissen Sie, was dem gewöhnlichen Menschen solche Mäßigung so bedenklich macht? Die schwierige Aufgabe, dieselbe würdig zu behaupten, die Nothwendigkeit, hinterher keine tadelnswerthe Handlung zu begehen: denn wenn ihn die Furcht vor dem Unrechtthun in dem letzteren Falle nicht zurückhält, warum sollte sie es gewesen sein, die ihn in dem früheren hielt, bei welchem man doch einen natürlicheren Beweggrund voraussetzen kann? Man sieht denn also wohl, daß die Weigerung sich zu schlagen nicht aus Tugend, sondern aus Feigheit geschah, und man verspottet mit Recht eine Gewissenhaftigkeit, welche sich erst unter der Gefahr einstellt. Haben Sie nicht bemerkt, daß Diejenigen, welche so reizbar und stets bereit sind, Andere zu reizen, gewöhnlich sehr unehrenhafte Leute sind, die, damit nur Niemand ihnen die Verachtung, die man gegen sie hegt, offen zu zeigen wage, mit einigen Ehrenhändeln die Schandbarkeit ihres ganzen Lebens zu bedecken suchen? Ziemt es Ihnen, solchen Leuten nachzuahmen? Sondern wir auch noch die Militaires von Profession aus, die ihr Blut für Geld verkaufen, die, um ihren Platz zu behaupten, das, was sie ihrer Ehre schuldig sind, nach ihrem Vortheil berechnen, und auf den Thaler wissen, was ihr Leben werth ist! Alle diese Leute lassen Sie sich schlagen, lieber Freund! Nichts ist weniger ehrenhaft, als die Ehre, von der sie so viel Lärm machen; sie ist nichts als eine sinnlose Mode, eine unächte nachgemachte Tugend, welche sich die ärgsten Verbrechen zum Ruhme anrechnet. Die Ehre eines Mannes wie Sie ist nicht in der Gewalt eines Andern; sie ist in ihm selbst, und nicht in der Meinung der Leute; er vertheidigt sich nicht mit Schwert und Schild sondern mit rechtschaffenem und untadelhaftem Wandel, und diese Kampfart wiegt im Punkte des Muthes wohl die andere auf.

Nach diesen Voraussetzungen werden Sie das Lob, welches ich jederzeit der wahren Tapferkeit gezollt habe, mit der Geringschätzung vereinbar finden, welche ich Scheintapferen stets bewiesen habe. Ich liebe Männer von Herz und mag Feige nicht leiden; ich würde mit einem furchtsamen Liebhaber brechen, der aus Verzagtheit die Gefahr flöhe, und ich denke, wie alle Frauen, daß das Feuer des Muthes das Feuer der Liebe belebt. Aber ich will, daß sich die Tapferkeit am rechten Orte zeige, und daß man sich nicht eine Angelegenheit daraus mache, bei eitlen Anlässen Staat mit ihr zu treiben, als ob man fürchtete, sie zur rechten Zeit nicht bei der Hand zu haben. Mancher überwindet sich einmal und tritt auf, um sich dadurch das Recht zu erwerben, sein übriges Lebenlang hinter dem Berge zu halten. Der wahre Muth besitzt mehr Dauerhaftigkeit und weniger Vorschnelligkeit; er ist stets, was er sein soll; man braucht ihn nicht zu spornen und nicht im Zaume zu halten; der wackere Mann trägt ihn überall mit sich, im Kampfe gegen den Feind, in Gesellschaften zur Vertheidigung der Abwesenden und der Wahrheit, in seinem Bette gegen die Angriffe des Schmerzes und des Todes. Die Seelenstärke, welche ihn erzeugt, ist zu allen Zeiten Brauch; sie stellt immer die Tugend über jede Zufälligkeit, und besteht nicht darin, daß man sich schlägt, sondern darin, daß man sich vor nichts fürchtet. Dies ist die Art Muth, mein Freund, die ich oft gepriesen habe und die ich mit Freuden an Ihnen sehe. Jede andere ist nichts als Unbedachtsamkeit, Unsinn und Roheit; ihr sich zu unterwerfen, ist eine Feigheit, und ich verachte nicht weniger Den, der ohne Noth Gefahren aufsucht, als Den, der eine Gefahr flieht, welche er bestehen sollte.

Ich habe Ihnen, wenn ich mich nicht täusche, dargethan, daß bei Ihrem Handel mit Milord Eduard Ihre Ehre nicht ins Spiel kommt; daß Sie die meinige preisgeben, wenn Sie den Weg der Entscheidung durch die Waffen einschlagen; daß dieser Weg weder gerecht, noch vernünftig, noch erlaubt ist; daß er sich mit der Denkungsart, zu welcher Sie sich bekennen, nicht verträgt; daß er nur unehrenhaften Leuten ziemt, welche die Bravour zu einem Ersatzmittel machen für die Tugenden, die sie nicht besitzen, oder Officieren, die sich nicht um der Ehre willen, sondern in eigennütziger Absicht schlagen; daß es mehr wahren Muth erfordert, diese Bravour zu verachten, als anzunehmen; daß die Unannehmlichkeiten, denen man sich durch Verachtung derselben aussetzt, von einem in Wahrheit pflichtmäßigen Handeln unzertrennlich, übrigens aber mehr scheinbar als wirklich sind: daß endlich Diejenigen, welche am schnellsten damit bei der Hand sind, zu ihr zu flüchten, immer Solche sein werden, deren Rechtschaffenheit verdächtig ist. Woraus ich den Schluß ziehe, daß Sie bei dieser Gelegenheit eine Aufforderung weder machen noch annehmen können, ohne damit auf Vernunft, Tugend, Ehre und auf mich zu verzichten. Drehen und wenden Sie meine Betrachtungen, wie Sie wollen, häufen Sie Ihrerseits Sophismen auf Sophismen; stets wird sich finden, daß ein Mann von Muth niemals ein Feigling und ein Mann von Gesinnung niemals ein ehrloser Mensch sein kann. Nun habe ich Ihnen aber gezeigt, wie mich dünkt, daß der Mann von Muth das Duell verachtet und daß es der Mann von Gesinnung verabscheut.

Ich habe geglaubt, mein Freund, in einer so ernsten Angelegenheil die Vernunft allein sprechen lassen und Ihnen die Sachen so vorhalten zu müssen, wie sie sind. Wenn ich sie hätte schildern wollen, wie ich sie sehe, und Gefühl und Menschlichkeit sprechen lassen, so würde ich eine ganz andere Sprache angenommen haben, Sie wissen, daß mein Vater in seiner Jugend das Unglück hatte, einen Mann im Duell zu tödten: dieser Mann war sein Freund; sie schlugen sich nur ungern; der unsinnige Point d' Honneur zwang sie dazu. Der tödtliche Stoß, der den Einen traf, hat dem Andern die Ruhe für sein ganzes Leben geraubt. Der schmerzliche innere Vorwurf ist seitdem nicht aus seinem Herzen gewichen; oft wenn er allein ist, hört man ihn seufzen und weinen: er glaubt noch den Stahl von seiner grausamen Hand geführt in das Herz des Freundes dringen zu fühlen; er sieht im Schatten der Nacht seinen bleichen, blutigen Leib; er starrt schaudernd die klaffende Wunde an; er möchte das strömende Blut stillen; Angst ergreift ihn, er schreit; dieser schreckliche Leichnam verfolgt ihn unablässig. Seit er vor fünf Jahren den geliebten Erhalter seines Namens und die Hoffnung seiner Familie verloren hat, wirft er sich dessen Tod als eine gerechte Strafe des Himmels vor, der an seinem einzigen Sohne den unglücklichen Vater rächte, den er des seinigen beraubt hatte.

Ich gestehe Ihnen, dieses alles, das zu meinem natürlichen Abscheu vor jeder Art Grausamkeit hinzukommt, macht mir das Duell so grauenvoll, daß ich es als die letzte Stufe der Brutalität betrachte, zu welcher sich Menschen erniedrigen können. Wer mit frohem Herzen zum Zweikampfe gehen kann, ist in meinen Augen nichts weiter als ein wildes Thier, das anspringt, um ein anderes zu zerreißen; und wenn noch das geringste natürliche Gefühl in ihren Seelen ist, so finde ich Den, welcher fällt, weit weniger zu beklagen, als den Sieger. Sehen Sie doch die an Blutvergießen gewöhnten Menschen, sie können den Gewissensbissen nur Trotz bieten, indem sie die Stimme der Natur ersticken; sie werden nach und nach hartherzig, fühllos; sie spielen mit dem Leben Anderer, und die Strafe dafür, daß sie einmal die Menschlichkeit verleugneten, ist, daß sie sie endlich verlieren. Was sind sie in diesem Zustande? Antworte, willst du ihnen ähnlich werden? Nein, du bist nicht dazu gemacht, so scheußlich zu verthieren; hüte dich vor dem ersten Schritte, der dahin führen kann; deine Seele ist noch schuldlos und heil, fange nicht an, sie zu vergiften, mit Gefahr deines Lebens, durch ein Opfer ohne Tugend, eine Sünde ohne Lust, einen Ohrenpunkt ohne Vernunft.

Ich habe dir nichts über deine Julie gesagt; sie wird ohne Zweifel dabei gewinnen, wenn sie dein eignes Herz sprechen läßt. Ein Wort, ein einziges Wort, und ich überlasse dich ihm ganz. Du hast mich manchmal mit dem zärtlichen Namen Gattin beehrt: vielleicht in diesem Augenblicke soll der Name Mutter hinzukommen. Willst du mich zur Witwe machen, ehe ein heiliges Band uns vereinigt hat?

N. S. Ich mache in diesem Briefe von einer Autorität Gebrauch, der noch kein verständiger Mann widerstanden hat. Wollen Sie sich ihr nicht fügen, so habe ich Ihnen weiter nichts zu sagen; aber überlegen Sie es erst reiflich. Nehmen Sie sich acht Tage Bedenkzeit, um in dieser wichtigen Sache nicht übereilt zu handeln. Diesen Aufschub fordere ich von Ihnen nicht im Namen der Vernunft, sondern in meinem eigenen Namen. Erinnern Sie sich, daß ich hierbei mich des Rechtes bediene, das Sie mir selbst ertheilt haben und das wenigstens so weit reicht.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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