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Dreiundfünfzigster Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

So macht Alles unsere Pläne scheitern. Alles täuscht unsere Erwartungen, Alles verläßt eine Liebe, die der Himmel wohl hätte krönen sollen! schnödes Spielzeug in der Hand eines blinden Glückes, arme Opfer einer höhnenden Hoffnung sind wir stets unserer Freude nah, um sie zu greifen, und können die fliehende nie erreichen. Diese vergeblich ersehnte Hochzeit sollte in Clarens sein; das schlechte Wetter macht uns einen Querstrich, sie muß in der Stadt gefeiert werden. Wir wollten uns allein sehen; Beide von Zudringlichen belagert, können wir nicht zu gleicher Zeit entrinnen, und den Augenblick, da Einer sich losmacht, ist es dem Andern nicht möglich, zu ihm zu eilen! Endlich findet sich ein günstiger Augenblick; die grausamste der Mütter entreißt ihn uns, und wenig hätte gefehlt, daß dieser Augenblick zwei Unglückliche ins Verderben stürzte, die in ihm ihr Glück suchten. Weit entfernt, meinen Muth niederzuschlagen, haben alle diese Hindernisse ihn nur erhöht; ich weiß nicht, welche neue Kraft mich beseelt, aber ich fühle eine Kühnheit in mir, die ich nie gekannt hatte; und wenn du es heute Abend wagst, sie zu theilen, so kann dieser Abend alle meine Versprechungen einlösen und auf einmal alle Schulden der Liebe abtragen.

Gehe mit dir zu Rathe, Freund, und steh, bis zu welchem Punkte du das Leben lieb hast; denn das Mittel, das ich dir vorschlage, kann uns beiden den Tod bringen; wenn du ihn fürchtest, so lies diesen Brief nicht aus; aber wenn eine Degenspitze heute dein Herz nicht mehr erschreckt, als damals die Schlünde von Meillerie thaten, das meinige läuft dieselbe Gefahr und hat nicht gezaudert. Höre!

Babi, die gewöhnlich in meinem Zimmer schläft, ist seit drei Tagen krank, und obgleich ich sie durchaus abwarten wollte, hat man sie gegen meinen Willen anders wohin gebracht; da sie sich aber besser fühlt, so ist sie vielleicht morgen schon wieder da. Das Zimmer, wo gegessen wird, ist entfernt von der Treppe, welche zu dem Zimmer meiner Mutter und dem meinigen führt; um die Essenszeit ist das ganze Haus öde mit Ausnahme der Küche und des Speisesaales. Endlich ist es jetzt um diese Zeit schon finstere Nacht, ihr Schleier wird Die, welche auf der Straße kommen, leicht vor beobachtenden Blicken sicher stellen, und im Hause weißt du ja vollkommen Bescheid.

Dies reicht hin, damit du mich verstehest. Komm Nachmittag zu meiner Fanchon, da will ich dir das Uebrige sagen und dir die nöthigen Verhaltungsregeln geben: sollte sich das nicht machen lassen, so lege ich sie schriftlich an den alten Ort für unsere Briefe, wo du, da ich dich darauf aufmerksam gemacht, auch diesen gefunden haben wirst; denn der Gegenstand ist zu wichtig, um ihn irgend Jemandem anzuvertrauen.

O, wie sehe ich jetzt dein Herz schlagen, wie lese ich deinen Jubel darin und wie theile ich ihn! Nein, mein süßer Freund, nein, wir werden nicht dieses kurze Leben verlassen, ohne einen Augenblick des Glückes geschmeckt zu haben; aber denke doch daran, daß dieser Augenblick von den Schrecken des Todes umringt ist; daß der Zugang tausend Zufällen unterworfen, das Weilen mißlich und der Rückzug furchthar gefährlich ist; daß wir verloren sind, wenn man uns entdeckt, und daß uns Alles begünstigen muß, wenn dies nicht der Fall sein soll. Täuschen wir uns nicht: ich kenne meinen Vater zu gut, um zu zweifeln, daß ich nicht im Augenblick dein Herz von seiner Hand durchbohrt sehen würde, wenn er nicht sogar mit mir den Anfang machte; denn sicher würde ich auch nicht geschont werden: und glaubst du, daß ich dich dieser Gefahr aussetzen würde, wenn ich nicht gewiß wäre, sie zu theilen?

Denke auch daran, daß nicht davon die Rede ist, dich auf deinen Muth zu verlassen; davon kein Gedanke! ich verbiete dir sogar aufs Ausdrücklichste, irgend eine Waffe zur Vertheidigung mitzubringen, nicht einmal deinen Degen: er würde dir auch durchaus unnütz sein, denn wenn wir überrascht werden, so ist meine Absicht, mich in deine Arme zu stürzen, dich fest mit den meinigen zu umschließen und so den tödtlichen Stoß zu empfangen, um mich nie mehr von dir trennen zu müssen, glücklicher in meinem Tode, als ich es in meinem Leben war.

Ich hoffe, daß unser ein milderes Geschick wartet; ich fühle wenigstens, daß es uns geschuldet wird, und das Glück wird endlich müde sein, uns ungerecht zu behandeln. Komm also, Seele meines Herzens, Leben meines Lebens, komm, dich mit deinem Selbst zu vereinigen: komm, unter dem Schirme der zärtlichen Liebe, den Lohn deines Gehorsams und deiner Opfer zu empfangen: komm, zu gestehen, selbst im Schooße der Lust, daß die Gemeinschaft der Herzen es ist, aus der sie ihren größten Reiz nimmt.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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