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2.1.3.2.2. Theater

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Zwei Tage nach dem Einmarsch der französischen Truppen öffnete die Amsterdamsche Nationaale Schouwburg 1795 wieder ihre Pforten, wie H.J.J. de Leeuwe notiert. Dieses ‚Amsterdamer Nationale Schauspielhaus‘ bot den Zuschauern anfänglich vor allem niederländischsprachige Dramen, die das Vaterland, die Freiheit oder den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verherrlichten. Auf dem Spielplan standen bald auch Theaterstücke, die, nicht selten in Prosa verfasst, solche Stoffe wie Ehebruch, weiblichen Leichtsinn oder Spielleidenschaft thematisierten. Ballette und humorvolle Zwischenspiele boten dem Publikum zusätzliche Zerstreuung. In der 1804 neu eingerichteten Nieuwe Haagsche Schouwburg wurden neben französischen Opern und Dramen ebenfalls niederländische Bühnenstücke aufgeführt. Als sich nach der anfänglichen Begeisterung über die Revolution allmählich eine Abkehr gegen die Machthaber abzeichnete, wurde die von König Ludwig Napoleon eingeführte Zensur des Theaters wohl verschärft. Jedenfalls erhielten die Verwalter der Schauspielhäuser 1813 eine offizielle Liste mit verbotenen Dramen (vgl. Ruitenbeek 1996). Übrigens erlangten mehrere niederländische Schauspieler und Schauspielerinnen der neuen Generation international Ruhm. So war Kaiser Napoleon, der 1811 Racines Phèdre in Amsterdam sah, voller Lob über die schauspielerischen Leistungen Johanna Cornelia Zieseni-Wattiers. Bemerkenswert ist, dass man in solchen Vorstellungen simultan neben französischen auch niederländische Rollen spielte.

In den von Frankreich annektierten südlichen Niederlanden setzten die Behörden das Theater für die französische Kulturpolitik ein, die Theatermacher warben für republikanische Bürgertugenden. Bezeichnenderweise spielte man sowohl vor, während und nach den in französischer Sprache aufgeführten Dramen patriotische Musik, wie J. Roegiers (AGN 11) darlegt. Das Theater französierte vollständig in den ehemaligen Österreichischen Niederlanden, der Präfekt des Schelde-Departements liess in der Folge 1807 sämtliche niederländischsprachigen Theater schliessen. Falls ein Ensemble überhaupt die Bewilligung erhielt, ein niederländisches Bühnenstück zu spielen, musste es dies mit einer französischen Darbietung einhergehen lassen. So benutzte die Obrigkeit das Theater nicht nur als Instrument, um das Bürgertum des heutigen Belgien vermehrt für sich zu gewinnen, sondern auch um das Gedankengut beziehungsweise die Sprache der neuen Machthaber auf Kosten der niederländischen Sprache und Kultur zu fördern.

Nach Abzug der Franzosen bestand im neu gegründeten niederländischen Königreich vorübergehend Bedarf an Theaterstücken, die von der Liebe zum Vaterland zeugten, Texte in ‚reinem Niederländisch‘ (vgl. Ruitenbeek 1996, 376) zu Heldentaten aus der nationalen Geschichte waren gefragt. Welches ‚reine‘ Niederländisch die Theatermacher in der Praxis bevorzugten, lässt sich allerdings nicht ohne Weiteres bestimmen, wie nachher erörtert wird. Wohl ist festzustellen, dass sich im Schauspielhaus die unterschiedlichsten Zuschauer, Handwerker und Dienstboten im Juchhe, wohlhabende Bürger auf dem Parkett oder die vornehmen Leute in den Logen mit Formen des gesprochenen Niederländischen vertraut machten. Sowohl die nationalen Schauspielhäuser wie auch das Amateurtheater trugen so zur Verbreitung des gesprochenen Niederländischen unter Menschen unterschiedlicher sozialer Klassen bei.

König Wilhelm I. interessierte sich vor allem für das Theater der Haager Residenz, er unterstützte hier das Nederduytsch Theater (‚Niederländisches Theater‘) jährlich mit 10.000 Gulden, das ansässige Theatre Français, das ein vornehmeres Publikum anlockte und auch Opern aufführte, erhielt zudem bedeutend höhere königliche Zuschüsse. Das Königliche Theater in Brüssel kümmerte den Monarchen dagegen weniger, der Versuch, 1823 mit finanzieller Unterstützung in dieser zweiten Residenz ein niederländisches Theaterensemble zu gründen, misslang.

Bald standen vor allem übersetzte Bühnenstücke auf den Spielplänen. So waren von den zirka 1200 Dramen, die zwischen 1819 und 1867 im Haager Schauspielhaus zu sehen waren, 700 von französischem, 300 von deutschem und nur 150 von niederländischem Ursprung. Das Haager Theater sollte während des 19. Jh. zweisprachig Französisch und Niederländisch bleiben, niederländischsprachige Vorstellungen galten hier als zweitrangig. Niederländischsprachige Aufführungen anderer Schauspielhäuser fanden ebenfalls nur wenig Anklang bei den gebildeten Bürgern. In der Regel entsprachen sie nicht den Anforderungen der Rezensenten, die statt Übersetzungen ursprünglich niederländische Bühnenstücke wünschten, die eine ‚Bildung von Herz und Verstand‘ förderten. Sie verlangten Theater, das für Tugenden wie Treue, Bescheidenheit oder Sparsamkeit werben konnte.

Dass die Theatermacher dagegen die ‚Nachbarn nachäfften‘ und vorzugsweise übersetzte, volkstümliche Bühnenstücke aufführten, stiess bei den Kritikern folglich auf wenig Gegenliebe. Im Laufe des 19. Jh. wurde das ‚holländische‘ Theater immer mehr zu einem Ort weniger Privilegierter, die sich mit Melodramen und Spektakelstücken amüsierten. Die häufig schlecht artikulierenden Akteure benutzten ohne Bedenken wenig kultivierte Formen des Niederländischen. Bereits 1805 bemängelt A.L. Barbaz während einer Zusammenkunft der Gesellschaft Felix Meritis in Amsterdam, dass Amateurschauspieler weder lesen noch sprechen könnten, ‚wie es sich gehört‘:

Elk wil zich, als akteur, met eene rol bedeelen,

Schoon hy zyne eigen rol, als mensch, niet weet te speelen;

Wie zelfs niet lezen kan, of spreken zo ’t behoort,

Wil dat een ieder door zyn gaven zy bekoord.

(Ruitenbeek 2002, 88–89)

(‚Jeder möchte sich eine Rolle als Akteur zuteilen, Obschon er seine eigene Rolle als Mensch nicht zu spielen weiss; Wer nicht Mal Lesen oder Sprechen kann wie es sich gehört, möchte, dass jeder von seinen Gaben entzückt wird.‘)

Mit dem Ausdruck spreken zo ’t behoort (‚Sprechen wie es sich gehört‘) setzt der Kritiker eine Norm für anständig gesprochenes, überregionales Niederländisch voraus, das auf der Bühne anzuwenden wäre. Das bestätigt, dass sich die Gebildeten in den Niederlanden einer solchen gepflegten Sprachvarietät bewusst waren (vgl. 2.1.2). Anscheinend hatten Schauspieler, die einem derartigen angenommenen Standard des Niederländischen nicht genügten, mit dem Spott entwickelter Bürger zu rechnen. Wie diese Norm für das gepflegte Niederländisch genauer festzulegen war, stand gerade im ersten Jahrzehnt des 19. Jh. zur Diskussion, als Behörden und Gelehrte eine verbindliche Kodifizierung des AN anstrebten, vgl. 2.1.3.1.

Auch Aufführungen professioneller Ensembles gaben Anlass, den Sprachgebrauch im Theater zu bemängeln. So beanstandet 1828 ein Rezensent, die Schauspielerin Van Velsen Greeven habe als Amateurin zu lange für ein wenig gesittetes Publikum gespielt. Nun verwende sie im Amsterdamer Schauspielhaus eine ausserordentlich ungepflegte Mundart:

Hare stem is door het schreeuwen valsch geworden hare oogen draaijen als die eener verliefde schelvisch; haar tongval is bijzonder plat;

(Ruitenbeek 2002, 88)

(‚Ihre Stimme ist durch das Schreien falsch geworden, ihre Augen drehen als jene eines verliebten Schellfisches; ihre Mundart ist ausserordentlich ungepflegt;‘)

Auch später sollten Theaterrezensenten immer wieder die schlechte Artikulation der Schauspieler und ihre Verwendung von Dialekt an den Pranger stellen, vgl. 3.1.2.2.2. Die 1821 in Amsterdam gegründete Ausbildungsanstalt für Schauspieler, Fonds ter Opleiding en Onderrigting van Tooneel-Kunstenaars aan den Stads Schouwburg te Amsterdam, hat dies nicht verhindern können. Dies ist nicht verwunderlich, denn der Schauspieler-Maler Johannes Jelgerhuis (vgl. Abb. I) und seine Kollegen unterrichteten an diesem Institut, das nur einige Jahre bestand, vor allem die Körperhaltung und Bewegung der Akteure sowie die historische Richtigkeit von Kostümen, Texte behandelten sie nicht. Somit hat das Theater in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. zwar zur Verbreitung von Formen des gesprochenen Niederländischen unter verschiedenen Bevölkerungsgruppen beigetragen, als Medium zur Vermittlung eines allgemeinen kultivierten Niederländisch ist dem Schauspielhaus in dieser Zeit nur eine bescheidene Rolle zuzusprechen.

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