Читать книгу Liebe kann man (nicht) kaufen - Jennifer Lillian - Страница 7

Eins

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Dieser Job trieb mich irgendwann mit Sicherheit in den Wahnsinn! Es war wieder einer dieser völlig chaotischen Abende, an denen sich die Gäste noch hochnäsiger verhielten, als sonst. Ich war der Meinung, dass ich schon einiges mitgemacht habe, angefangen bei schreienden Kindern, die ihre Teller quer durch das Lokal warfen, bis hin zu pöbelnden Senioren, die mit ihren stumpfen Messern die Kellner bedrohten. Aber dass es noch schlimmer kommen würde, wurde mir an diesem Abend bewusst.

„Nicky fällt heute Abend aus“, brabbelte mein Chef vor sich hin, während er an mir hoch beschäftigt vorbeieilte und sich in sein Büro begab, in das er sich öfter einschloss und seinen Angestellten die Arbeit überließ. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute ich ihm nach und wandte mich dann an den Gästebereich. Ich war noch gar nicht richtig angekommen und brauchte einen kleinen Moment, um zu realisieren, dass der Weltuntergang kurz bevorstand. Das Restaurant war brechend voll und für uns drei Kellner vom Arbeitsaufwand her kaum zu bewältigen. Richard rotierte wild hinter der Theke. Paula hetzte von Tisch zu Tisch, um Bestellungen aufzunehmen. Schon jetzt verging mir jegliche Lust, hier auch nur einen Finger krumm zu machen, aber ich brauchte das Geld – und zwar dringend. Der Laden florierte und das Trinkgeld konnte ich bestens sparen. So ein Medizinstudium war eben teuer und reiche Eltern hatte ich auch nicht. Deswegen sparte ich jeden einzelnen Cent, um wenigstens die Aufnahmegebühren bezahlen zu können und mich im Laufe der Zeit für ein Stipendium zu bewerben. Bisher waren meine Noten gut gewesen, aber nicht so gut, als dass ich mich direkt für eines bewerben konnte. Deshalb wollte ich es auf der Uni nach dem ersten Semester erneut versuchen. Allerdings hatte ich noch nicht genug gespart. Gerade einmal 2 000 Dollar hatte ich auf der hohen Kante.

Mit schnellen Schritten eilte ich in den Personalraum, warf meine Sachen achtlos in meinem Spind und band mir die schwarze Schürze um die Hüften. Auf in den Kampf!

„Nicky ist schon wieder krank?“, hakte ich bei Richard nach, der mit seinem panischen Blick einem wilden Kaninchen glich, was eine Schlange erblickt hatte. Ich musste immer lachen, wenn ich Richard mit seinen weit aufgerissenen Augen bei der Arbeit beobachtete, aber an diesem Abend tat er mir wirklich sehr leid. Daher verkniff ich mir jegliche Aufheiterungsversuche und hoffte, dass wir die Herausforderungen irgendwie gewuppt bekämen.

„Was soll man dazu noch sagen? Ein Wunder, dass Pete sie noch nicht entlassen hat“, fluchte Richard, während er verschiedene Getränke in einem Shaker goss.

Pete war unser arbeitsscheuer Chef, denn Arbeiten gehörte nicht gerade zu seinen Stärken. Was traurig ist, wenn man bedenkt, dass er einen Laden zu führen hat, der ganz gutes Geld abwarf. Ich fragte mich, wie das funktionierte. Arbeitsscheu und gleichzeitig erfolgreich. Sobald es ging verschanzte er sich in seinem Büro und war glücklich, wenn er niemanden von uns sehen musste. Was er hinter verschlossenen Türen tat, konnte man nur erahnen. Da ihn sowieso kaum einer in seinem Büro besuchte, konnte er in Ruhe tun und lassen, was er wollte. Verließ er seine Räumlichkeiten, dann tippte er eifrig auf seinem Smartphone, oder tat so, als hätte er ein wichtiges Gespräch am anderen Ende der Leitung zu führen. Vermutlich war es ohnehin nur seine Mutter oder Frau, die wegen unwichtigen Kram bei ihm anriefen, um ihn noch mehr von der eigentlichen Arbeit fernzuhalten. Wir machten heimlich unsere Späße über ihn, denn so hatten wir immerhin was zu lachen, was in diesem Restaurant leider nicht sehr oft vorkam.

„Wenn sie sich nicht ständig so kurzfristig krankmelden würde, wäre das ja alles nicht so schlimm, aber ich glaube Pete hat einfach nur keine Lust auf Schreibkram“, scherzte ich und entlockte Richard ein zustimmendes Lachen. Seine wirren Haare standen ihm bereits zu Berge, dabei hatte seine Schicht noch nicht einmal den Höhepunkt erreicht.

„Jede Bewegung ist für ihn zu viel. Aber Hauptsache, wir spuren.“ Ich nickte zustimmend und mit jeder Sekunde sank meine Laune in Richtung Nullpunkt. Der Laden war gerammelt voll und die Gäste kaum zu bändigen. Immerhin hielten wir unter Kollegen gut zusammen, was das Ganze etwas erträglicher machte. Ich mochte Richard und Paula sehr gerne und war wirklich sehr froh darüber, dass ich sie als Kollegen hatte.

Seufzend verschaffte ich mir einen Überblick und schnaufte kurz, ehe ich mich ins Chaos stürzte. Paula kam mir aufgeregt entgegen. „Gut, dass du da bist. Nicky hat wie immer abgesagt, jetzt müssen wir uns alleine hier durchkämpfen. Die ersten Gäste musste ich wieder wegschicken, da kein Platz mehr frei ist. Vorerst habe ich alle Getränke aufgenommen und helfe Richard hinter der Theke. Kannst du dich kurz alleine um die Gäste kümmern und die Getränke verteilen? Ich glaube Richard bricht sonst gleich zusammen.“ Ich konnte ihr kaum folgen, so schnell sprach Paula und ihre Haare wippten dabei hin und her. Nickend machte ich mich an die Arbeit, während Paula hinter die Theke hüpfte.

Die ersten beiden Stunden waren schlimm. Chaos pur! Die Gäste wurden mit jeder Sekunde unfreundlicher, aber ein paar hatten wir immerhin schon abgearbeitet und konnten diese endlich verabschieden. Aber dennoch strömten immer wieder neue Gäste ins Restaurant.

„Hier bitte. Einmal die Pizza Diavolo“, sagte ich höflich, während ich der wohl eingebildetsten Frau der Welt ihre Pizza vor die Nase schob, „und einmal Penne Al Forno. Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit.“ Mit freundlichem Gesicht wandte ich mich vom Tisch ab und hörte hinter mir plötzlich, wie die Dame fluchte. „Also, die Pizza hatte ich nicht bestellt. Ich hatte die Nudeln.“

Mit errötetem Gesicht schaute ich sie an und griff zu den beiden Tellern, um sie zu tauschen. „Entschuldigen Sie bitte, heute ist eine ganze Menge los. Da habe ich das wohl vertauscht.“

„Das interessiert mich nicht, was hier los ist. Ich möchte nur mein bestelltes Essen haben.“

Entgeistert schaute ich zwischen ihr und ihrem Mann – der in dieser Beziehung definitiv nichts zu melden hatte – hin und her. Schnell verzerrte ich das Gesicht zu einem Lächeln. „Dann ist ja jetzt alles an seinem Platz. Ich wünsche guten Appetit.“ Eilig wandte ich mich um, während ich von ihrer Stimme – die noch heute in meinen Ohren klingelt, wie ein Tinnitus – wieder an den Tisch zitiert wurde. Die Farbe ihrer Stimme glich der einer Nebelkrähe, unvergesslich. Etwas zu schnell drehte ich mich wieder zu ihr um. „Ja, bitte?“

„Also, ich erinnere mich, dass ich Ihnen bei meiner Bestellung gesagt habe, dass ich keine Erbsen in meiner Penne Al Forno wünsche.“ Sie deutete mit angewiderter Miene auf ihren Teller und stocherte mit ihrer Gabel in den Nudeln, um mir eine Erbse zu präsentieren.

Innerlich verschnaufte ich kurz, um meinen freundlichen Blick zu behalten. Aber Kundenfreundlichkeit war nun einmal das Wichtigste, das war mir durchaus bewusst. Ich wusste auch, dass ich meinen Job immer gewissenhaft und stets freundlich erledigte, aber an diesem Abend fiel mir das wirklich sehr schwer. Sie blickte durch ihre kleinen Augen streng zu mir herauf. Ihre Haare waren zu einem ebenso strengen Dutt gebunden und der Mund missbilligend gekräuselt. Ich betete einfach nur, dass sie den Mund nicht mehr aufmachen würde. „Das tut mir sehr leid. Ich lasse das Essen sofort zurückgehen und bringe Ihnen dann ein neues“, entschuldigte ich mich und wollte nach dem Teller greifen, als sie mich forsch von der Seite ansprach.

„Und wie regeln wir das jetzt? Immerhin kann mein Mann schon mit dem Essen beginnen und wird fertig sein, ehe ich mein Essen bekomme.“

Ist das mein Problem?

„Wenn es Ihrem Mann nichts ausmacht, dann halten wir selbstverständlich seine Pizza warm und servieren dann beide Portionen zur gleichen Zeit.“

Der Mann nickte zögerlich, sichtlich enttäuscht, dass er sein Essen wieder hergeben musste. Vielleicht war er auch nur enttäuscht an der Seite dieser Frau leben zu müssen. Ich tippte auf Letzteres.

„Das will ich auch hoffen. Und das nächste Mal bitte ohne irgendwelche Komplikationen“, wetterte sie weiter. Ich schluckte schwer, um sie nicht anzuschreien oder ihr die Pizza frontal ins Gesicht zu werfen. „Natürlich nicht.“ Ich wandte mich mit beiden Tellern ab und flüchtete in die Küche, bevor sie noch irgendetwas sagen konnte. „Für den Erbsen-Feind da draußen bitte noch einmal Penne Al Forno ohne Erbsen. Sonst läuft sie Amok“, rief ich genervt und warf den Teller auf den Servierwagen. Jeremy, der Koch, blickte ebenso genervt wie ich. „Sonst noch was?“

Ich nickte. „Allerdings. Diese Pizza hier“, ich hob die Pizza demonstrativ in die Höhe, „bitte warmhalten, damit die Nebelkrähe nicht sehnsüchtig ihren armen Mann beim Essen beobachten muss. Oder ihn im Notfall noch selbst verspeist.“

„Du bist so gut zu den Gästen“, witzelte Jeremy, ehe er sich wieder seinem Pizzateig widmete, den er gerade ordentlich durchknetete.

„Wenn ich eines kann …“, flötete ich und verschwand wieder hinaus in die Hölle, wo mich schon der nächste Gast sehnsüchtig in Grund und Boden schmettern wollte.

„Junge Dame“, rief ein Mann im mittleren Alter und schnippte energisch mit den Fingern, als wäre ich ein Hund, den man auf seinen Platz zitiert.

Atemlos erschien ich an seinem Tisch und zog ein fragendes Gesicht.

„Vor einer halben Ewigkeit habe ich ein neues Bier bestellt.“ Mehr sagte er nicht und setzte voraus, dass ich seine Botschaft verstanden hatte. „Ja, und?“, platze es aus mir heraus.

Der Mann mit den wohl schlimmsten Augenbrauen, die ich jemals gesehen habe, blickte suchend auf den Tisch und machte mit den Armen eine ausladende Geste. „Nun, ich sehe kein neues Bier.“

„Ich werde das sofort ändern“, gab ich knapp von mir und versuchte meinen freundlichen Ton beizubehalten, aber so gut gelang mir dies nicht. Meine Freundlichkeit schwand sekündlich, so wie bei all meinen anderen Kollegen auch. Ob hinter der Theke, in der Küche oder hier im Gästebereich, jeder war innerlich am implodieren. Gerade wollte ich noch fragen, ob es an dem Tisch noch etwas sein dürfte, da blaffte der Augenbrauenmann schon los. „Also, heute Abend bin ich absolut nicht zufrieden mit diesem Service. Überhaupt scheint hier heute nichts zu funktionieren. Unser Essen hat eine halbe Ewigkeit gedauert, von den Getränken ganz zu schweigen. Wirklich warm waren die Gerichte auch nicht und jetzt noch Ihre patzige Art. Ich würde gerne mit dem Chef sprechen!“

Ich musste mich zwingen nicht laut los zu lachen. Mit Sicherheit hatte Pete keine Lust auf dieses Gespräch und ich malte mir aus, wie er dem Gast in den Hintern kriechen würde, nur, um nicht irgendwelche Unannehmlichkeiten zu haben und schnell wieder verschwinden zu können.

„Dann schlage ich vor, dass ich meinen Chef hole. Darf es bis auf das Bier und den Chef sonst noch was sein?“, witzelte ich und merkte schnell, wie schlecht der Scherz beim Gast ankam. „Also, das ist doch …“, zeterte er los und warf seine Servierte auf seinen halbvollen Teller.

Schlagartig flappte mein Mund auf und zu und ehe ich noch etwas Falsches sagen konnte, machte ich auf dem Absatz kehrt, um Pete zu holen. Sollte er sich doch damit auseinandersetzen.

Liebe kann man (nicht) kaufen

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