Читать книгу Liebe kann man (nicht) kaufen - Jennifer Lillian - Страница 8
Zwei
Оглавление„Wie kannst du nur so unhöflich zu den Gästen sein?“, herrschte Pete mich an. Scheinbar hatte ich ihn an diesem Abend falsch eingeschätzt, und so durfte ich mir eine Standpauke vom Feinsten anhören. Wir hatten uns in den Personalraum zurückgezogen, während draußen die langsam abflauende Welle von Gästen von Paula und Richard gebändigt wurde.
Pete hatte sich müde auf einen Stuhl neben mir fallen lassen und rieb sich nachdenklich die Augen. „Die Gäste werden nicht so schnell wiederkommen.“
Ich beobachtete ihn und seine Plauze, die bei jedem Wiedersehen um mindestens fünf Zentimeter Umfang wuchs. Sein Schnauzbart schaukelte von links nach rechts, während er so tat, als würde er über ernsthafte Konsequenzen nachdenken. Aber Pete würde mich nicht feuern. Er war zu sehr auf mich und die anderen angewiesen. Zudem konnte ich mir nun wirklich nichts vorwerfen, bis auf diesen einen Ausrutscher heute Abend.
„Es tut mir leid.“ Ich seufzte sichtlich erschöpft von dem chaotischen Abend. Ich fragte mich allerdings, wovon Pete so müde war. „Aber der Abend heute ist kaum zu ertragen. Nicht nur, dass sich Nicky krankgemeldet hat, sondern die Gäste sind heute einfach unausstehlich.“
Pete nickte wissend. „Dennoch müssen wir uns zusammenreißen.“
Ich versuchte nicht zu lachen, als er von uns sprach. Er tat ja kaum einen Finger krumm.
Ich seufzte erneut und rieb mir über meine müden Augen. „Es kommt nicht wieder vor. Es tut mir wirklich sehr leid. Ich bin sonst die Freundlichkeit in Person, aber wie gesagt, es war heute Ausnahmezustand. Wenn Sie möchten, dann entschuldige ich mich beim Gast noch einmal persönlich.“ Und krieche ihm selbstverständlich ganz tief in den Allerwertesten … Wäre ich nicht so dringend auf diesen Job angewiesen gewesen, hätte ich weitaus schlimmere Dinge mit den Gästen angestellt, als nur patzig zu werden.
„Das ist nicht nötig. Ich schlage vor“, sagte Pete, als er sich von seinem Stuhl erhob, „dass du Feierabend machst.“
„Aber es ist doch gerade erst 21 Uhr“, protestierte ich und schnellte ebenfalls von meinem Stuhl hoch.
„Die Gäste werden weniger und in zwei Stunden schließen wir sowieso fast. Das schaffen Paula und Richard auch alleine. Du solltest heute den Gästen am besten nicht mehr unter die Augen treten, denn Tisch vier hat ausdrücklich gewünscht, nicht mehr von dir bedient zu werden.“
Das war ja wohl die Höhe!
„Es ist besser, du gehst nach Hause oder gönnst dir einen Drink. Wir sehen uns morgen“, brachte er im versöhnlichen Ton hervor. Selbst wenn er sauer war, wirkte er freundlich und desinteressiert. Ich hätte lachen können, wäre meine Laune nicht dermaßen im Keller gewesen. Und schon stand ich alleine im Personalraum. Dass Paula und Richard nun alleine weitermachen mussten, tat mir wirklich leid, allerdings war es vielleicht besser, mich heute nicht mehr auf die Menschheit loszulassen. Am liebsten wäre ich auf die Knie gefallen und hätte Pete angefleht, mich nicht weg zu schicken, aber so viel Stolz besaß ich dann doch noch. Jede Stunde, die ich hier verbrachte, verhalf mir meinen Traum zu verwirklichen. Da konnte ich mir so einen Ausrutscher nun wirklich nicht erlauben. Ich schwor mir, dass das niemals wieder vorkommen würde.
Erschöpft griff ich nach meiner Tasche, die ich vor Arbeitsbeginn aus lauter Eile in den Spind geworfen hatte und wühlte nach meinem Smartphone.
Gleich. Was trinken gehen. Bitte! Emily
Ich ließ mich auf meinen Platz fallen, um den angesammelten Stress noch einmal auszuatmen und zu warten, bis mir meine beste Freundin Lindsey antwortete. In der Regel dauerte es nicht länger als dreißig Sekunden, da sie ihr Leben vor dem Smartphone verbrachte.
Mache mich auf den Weg. Schon Feierabend? L.
Ich lächelte, als ich feststellte, dass ich mit der dreißig Sekunden-Regel tatsächlich Recht hatte.
Ja, will lieber nicht drüber reden. Hasse diesen Job! Treffen in 20 Minuten beim Harrys?
Dieses Mal dauerte es lediglich zehn Sekunden.
Bin schon fast da!
Ich betrat unser geliebtes Harrys und setzte mich an einen der freien Tische. Mir hingen die wenigen Stunden, die ich am Abend gearbeitet hatte in den Knochen und sofort übermannte mich mein schlechtes Gewissen, denn es fühlte sich an, als hätte ich Paula und Richard im Stich gelassen. Auch jetzt noch tat mir mein patziger Umgang mit den Gästen leid, denn so war ich eigentlich nicht. So sehr ich diesen Job auch hasste, so wichtig war es mir dennoch, professionell zu sein. Ich ließ mich auf der Sitzbank zurück sinken und sah mich um. Unsere Lieblingskneipe war ebenso gut besucht, wie das Rondas in dem ich unglücklicherweise arbeitete. Wenn ich mir die Kellner hier ansah, schien Stress bei ihnen an der Tagesordnung zu stehen. Aber kein Gast würde hier vermutlich den Mund aufmachen. Die Leute waren um einiges lockerer und ich dachte mir, wie viel besser es wäre hier zu arbeiten. Doch das Geld, was ich jetzt verdiente, würde ich vermutlich nirgendwo sonst verdienen. Wenn ich doch bloß nicht an diesen dämlichen Job gefesselt wäre, dachte ich, während ich mich suchend nach meiner Freundin umblickte. Musik im Hintergrund und leises Gelächter an den einzelnen Tischen. Alleine die Atmosphäre war so viel gemütlicher. Keine sterilen weißen Farben mit lila Aktzenten an den Wänden und auf den Tischen. Hier herrschte viel weniger Disziplin. Knarzige Bodendielen, dunkle Möbel aus Holz, spärliche Dekoration bestehend aus einer Blume in einer roten Vase und einem Teelicht, dessen Docht längst im Wachs ertränkt wurde. Ja, hier fühlte ich mich wohl.
Die Zeit verging, ich hatte meine Cola schon zur Hälfte geleert, aber Lindsey war noch immer nicht da. Prüfend warf ich einen Blick auf mein Smartphone und bemerkte erst jetzt den verpassten Anruf und eine Nachricht von meiner Freundin.
Sorry, Ems! Mir ist etwas dazwischen gekommen. Ruf mich bitte mal an!
Hastig wählte ich ihre Nummer und schon nach dem ersten Klingeln, nahm sie ab. „Ems?“
Im Hintergrund rauschte es und ich wusste, dass sie im Auto saß.
„Was ist los?“
„Marvin hat mich angerufen“, erzählte sie schnaubend.
Ich pustete laut aus. „Und? Was hat Marvin schon wieder für Probleme?“
„Ich muss ihn zum Flughafen fahren. Er fliegt doch nach Brasilien und hat vergessen mir zu sagen, dass sein verdammtes Auto schrott ist.“
Allmählich kam ich mir vor, wie in einem schlechten Film. „Ernsthaft jetzt? Wann zum Teufel wird dein Bruder endlich mal erwachsen?“, presste ich murrend hervor und starrte auf mein halbleeres Glas, in der Hoffnung, es würde sich von alleine füllen.
„Was soll ich dazu sagen, Ems? Es tut mir leid.“ Lindsey klang ebenso wenig begeistert, wie ich und ich konnte noch nicht einmal sauer auf sie sein. Immerhin konnte sie nichts für die Blödheit ihres Bruders.
„Kein Problem. Ich trinke noch meine Cola aus und mache mich dann auf den Heimweg. Stoß einfach nachher dazu“, schlug ich bemüht freundlich vor. Schlimmer konnte der Tag kaum werden.
Nachdem ich das Smartphone hoffnungslos auf den Tisch fallen ließ und meinen Kopf seufzend auf meinen Händen stützte, bemerkte ich einen großen, dunklen Schatten auf mich zu kommen. Mühevoll blickte ich auf und schaute in die Augen eines Mannes, der mich freundlich anfunkelte. Um nicht unfreundlich zu sein, nickte ich knapp und griff wieder zu meinem Smartphone, damit ich beschäftigt wirkte. Aber der Typ kam trotzdem mit zwei Gläsern Bier an meinen Tisch und blieb vor mir stehen. Wieder schaute ich zu ihm hinauf und sah vermutlich total verwirrt aus, denn sein Lächeln wurde beinahe zu einem Lachen. „Entschuldigen Sie, wenn ich mich hier so an Sie heranschleiche, aber ich habe gesehen, dass Sie irgendwie ein wenig deprimiert wirken, und ich dachte mir“, er hob beide Gläser etwas in die Höhe, „vielleicht könnten Sie ja ein Bier vertragen? Oder trinken Sie lieber Sekt, aber wie eine Sekttrinkerin sehen Sie ehrlich gesagt nicht aus.“
Ich schluckte schwer, völlig hin und weg von seinem guten Aussehen, wusste aber nicht, wie ich antworten sollte. Normalerweise ließ ich mich nicht einfach so ansprechen. Zudem war dieser Typ – dieser Mann – nicht unbedingt meine Altersklasse. Aber er schaute so freundlich aus. So gut! Und seine Geste war irgendwie niedlich.
„Tut mir wirklich leid, wenn ich Sie so überrumple, das war nicht meine Absicht. Oder doch, war es eigentlich schon, aber ich kann auch gerne die beiden Gläser hier alleine vernichten, mein Tag scheint nämlich nicht viel besser als Ihrer zu sein“, sagte er jetzt schulterzuckend und lachte unsicher. Nachdenklich kaute ich auf der Innenseite meiner Lippe und deutete ihm schließlich mit einem Nicken an, sich auf den Stuhl gegenüber von mir niederzulassen. Dankend setzte er sich und platzierte eines der Gläser direkt vor mir auf den Tisch.
„Das muss wirklich ein bisschen komisch auf Sie wirken“, begann er vorsichtig und rückte sich auf dem Stuhl zurecht. Erst da fiel mir auf, dass ich noch kein Wort gesprochen hatte.
„Schon okay, ein Bier wird mir schon nicht schaden“, murmelte ich grinsend. „Entschuldigung, normalerweise bin ich gesprächiger.“ Verdammt noch eins, was rede ich denn da? Noch immer verstand ich diese Situation nicht, aber was war bei einem Bier schon dabei. Immerhin war der Laden hier voll, vom Fleck weg konnte er mich also nicht entführen. Und wenn es mir zu komisch werden würde, könnte ich mich immer noch vom Acker machen. Außerdem hatte ich einen miesen Tag und könnte wenigstens ein bisschen Gesellschaft gut gebrauchen.
„Ich wollte Sie nicht beobachten, aber Sie wirkten so verzweifelt“, stellte er fest und musterte mich eingehend, was in mir ein merkwürdiges Gefühl hervorrief. Er musste etwa Anfang 30 oder älter sein, sofern seine kleinen Falten unter den Augen das verrieten. Über sein markantes Kinn zeichnete sich ein Bartschatten ab und seine nussbraunen Augen leuchteten. Alles an ihm schien so makellos zu sein, dass er beinahe unecht wirkte. Braune, fast schwarze Haare, die er galant mit Gel zur Seite gekämmt hatte und eine perfekte Nase. Breite Schultern und ein – soweit ich es erahnen konnte – gut gebauten Oberkörper. Er trug einen grauen Kapuzenpullover und darunter ein schwarzes Shirt. Vermutlich nicht eines seiner besten Outfits. Und trotzdem saß er hier, direkt vor mir mit einem liebevollen Lächeln, in das ich sogar etwas Verzweiflung hinein interpretieren würde.
„Ja“, gab ich schließlich zu, „heute war tatsächlich nicht so mein Tag. Und jetzt wurde ich auch noch versetzt. Ich bin eigentlich gar nicht so mürrisch. Aber wie Sie schon richtig erkannt haben: Mein Tag war wirklich mies. Wie sieht es mit Ihnen aus?“
„Auch nicht viel besser“, meinte er und verzog etwas das Gesicht, „familiäre Probleme.“
„Wer hat die nicht?“, scherzte ich, und bemerkte bereits das zweite Mal an diesem Abend, dass meine Scherze nicht sonderlich gut bei den Leuten ankamen, denn er brachte nur ein gekünsteltes Grinsen hervor.
Eilig griff ich zu meinem Glas. „Na dann, Prost!“
Er stieß mit seinem Glas gegen meines und trank einen kräftigen Schluck. Ich wusste, dass ich ungeschickt im Umgang mit fremden Männern war. Ich bekam, vor allem wenn sie attraktiv waren, nur selten einen anständigen Satz heraus und musste mich konzentrieren, nicht zu stottern oder mich im schlimmsten Fall an meinem Getränk zu verschlucken. Eine feste Beziehung lag bereits hinter mir, die mir damals quasi zugeflogen war. Christopher war einfach da gewesen. Wir waren Freunde und irgendwann wurden wir ein Paar. Ein Kennenlernen in einer Bar war mir bislang fremd.
Ich beobachtete mein Gegenüber, während er von seinem Bier trank und sich danach mit dem Handrücken über die Lippen wischte.
„Darf ich nach Ihrem Namen fragen?“, platze es dann aus mir heraus.
„Ich bin John. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Emily.“ Ich lächelte schüchtern.
„Emily“, wiederholte er und sprach meinen Namen ganz langsam aus, so als würde er die Wirkung meines Namens auf sich spüren. „Und Emily? Was muss passieren, damit Sie einen so schrecklichen Abend durchleben und mit einem fremden Typen ein Bier trinken?“ Er bedachte mich mit einem fragenden Blick und immer wieder konnte ich dieses Funkeln in seinen Augen erkennen. Neugierde.
Ich zuckte mit den Schultern und ließ mich auf meiner Sitzbank etwas zurückfallen. „Auf der Arbeit lief es nicht so, wie ich es gerne gehabt hätte. Es war nur schrecklich. Manchmal möchte ich einfach das Handtuch werfen und nie wieder dort hingehen. Mich von Gästen herumschubsen und beleidigen lassen macht auf Dauer keinen Spaß. Aber“, seufzte ich, „was tut man nicht alles für das liebe Geld.“
Er nickte wissend. „Allerdings. Immer wieder das gleiche, leidige Thema.“
Seine Stimme klang wie Musik in meinen Ohren. So warm, so freundlich. Ein so interessanter Mann ist mir noch nie begegnet und ich fragte mich in diesem Augenblick, wieso so jemand wie er mit jemanden wie mir an einem Tisch saß und Bier trank. Immerhin sah ich seit der Arbeit wie ein gerupftes Huhn mit zotteligen Haaren aus. Augenblicklich wünschte ich mir einen Spiegel herbei, um mein Aussehen zu überprüfen. Und einen Kamm!
„Und warum sind Sie so alleine hier?“, hakte ich stattdessen nach.
„Wie gesagt, ich habe familiäre Probleme und brauchte mal meine Ruhe. Mein Vater kann manchmal ein ziemlicher Tyrann sein.“ Er überspielte seinen Satz grinsend und schob sein Bierglas zwischen den Fingern hin und her. Nur wusste ich sofort, dass hinter seiner Aussage viel mehr steckte, als er es zugeben wollte.
„Sie sehen nicht gerade aus, als würden Sie noch Zuhause bei Ihrem Vater wohnen. Wie kann er Sie denn tyrannisieren, wenn nicht mit Taschengeldentzug oder Hausarrest?“, fragte ich und entlockte ihm ein Schmunzeln.
„Nein, ich wohne ganz sicher nicht mehr Zuhause“, pflichtete er mir bei. „Aber das mit dem Taschengeld ist gar nicht so falsch gedacht.“
„Und inwiefern, wenn ich fragen darf?“
„Indem wir in ein und derselben Firma arbeiten. Er ist der Inhaber von Wickam Pharmacy. Und ich bin sein Angestellter.“ Er schien gar nicht glücklich über diese Tatsache zu sein, denn es wirkte beinahe so, als hätte er eine grausame Erkenntnis gemacht.
„Wickam Pharmacy? Das ist der größte Pharma-Konzern hier in Oregon“, gab ich von mir und staunte laut. „George Wickam ist Ihr Vater?“
Er nickte schwer, sichtlich nicht erfreut darüber.
„Und jetzt dreht er Ihnen den Geldhahn zu?“ Gott, ich musste wirklich etwas an meinem losen Mundwerk tun.
Wieder nickte er und versuchte seinen Frust hinter seinem Glas zu verbergen.
„Entschuldigen Sie, ich wollte nicht so direkt sein. Ich war nur sehr erstaunt darüber, dass er Ihr Vater ist. Immerhin hört man in den Medien eine ganze Menge über ihn“, entschuldigte ich mich rasch wegen meines dummen Kommentars.
„Schon gut. Die meisten Menschen reagieren so“, bestätigte er wehmütig und schlagartig tat er mir leid. Ein so großer und gestandener Mann, der bei diesem Thema so sehr mit sich haderte.
„Ich denke, wir sollten das Thema wechseln“, sagte ich schließlich höflich.
„Gute Idee.“