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Frankfurt am Main | 21 Uhr

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Dana hatte sich vor einem Kaufhaus an der Frankfurter Hauptwache eingefunden. Nicht weit von ihr, an einer Rolltreppe, grölte eine Gruppe vierzehn- bis siebzehnjähriger Jungen und Mädchen. Das war aber normal geworden, mittlerweile gehörte die Anwesenheit von betrunkenen Jugendlichen zum Alltag. Sobald die Sonne unterging, bemächtigten sich schwankende Teenager der öffentlichen Plätze. Oftmals sorgten sie für Gewaltexzesse. Unwillkürlich musste Dana an den Frankfurter Polizeisprecher denken. Vor vier Wochen war er durch seine Wut Rede berühmt geworden.

„Stück für Stück übergeben wir Deutschlands Straßen dem rechtsfreien Raum. Was muss eigentlich noch geschehen, damit die Politik endlich reagiert.“ Zehn Minuten hatte der Polizeisprecher über die für die Polizei unerträglich gewordenen Zustände geschimpft. Eine Zeitlang war seine Rede sogar in Raserei übergegangen. Die Geschehnisse des Vortages hatten für diesen verbalen Ausbruch gesorgt. Drei Polizisten waren am frühen Abend zu einem Juwelier beordert worden. Ein anonymer Anrufer hatte einen Überfall gemeldet.

Im Hinterhof des Juweliers wurden die drei Polizisten aber selbst Opfer eines Überfalls. Zehn junge Männer hatten ihnen aufgelauert und nur dem rechtzeitigen Eintreffen weiterer Einsatzkräfte war es zu verdanken, dass dieser unerhörte Angriff, der alleine der Staatsmacht gegolten hatte, relativ glimpflich ablief. Mehrere Warnschüsse waren aber nötig um die Täter zur Aufgabe zu bewegen. Dieser geplante Übergriff auf deutsche Polizisten hatte aber dafür gesorgt, dass bei dem Polizeisprecher alle Dämme brachen.

„Wenn wir unsere Polizisten nicht mehr schützen können, können wir nicht von ihnen verlangen, dass sie uns schützen. Die Politik muss endlich eingreifen.“ Und unter dem Applaus seiner Kollegen hatte der Polizeisprecher das Mikro gepackt und mit den Worten „Das sind alles ignorante, arrogante Nichtskönner“ hatte er das Mikro auf den Tisch geworfen. Der Applaus hatte ihm aber nichts genutzt. Die Politiker des Landes handelten diesmal zügig. Sie beorderten ihn, der den Menschen nur aus der Seele gesprochen hatte, in den Vorruhestand. Seine Äußerungen waren ihnen zu gefährlich. Keiner wollte ihm Recht geben und sich die Finger verbrennen. Bloß nicht in den Verdacht geraten, zu rechts zu sein, war ihre einzige Sorge.

Gelähmt mussten die um Deutschlands innere Sicherheit kämpfenden Beamten so feststellen, dass sie mit ihren Problemen alleingelassen wurden.

Von Carstheims Erscheinen auf der politischen Bühne hatte dieser Lähmung aber zumindest im Süden ein Ende bereitet. Die über Jahrzehnte verärgerten süddeutschen Bürger waren mittlerweile aber davon überzeugt, dass er und die Ministerpräsidenten die seit Ewigkeiten verheimlichten Probleme des Landes angehen würden. Die klaren konservativen Vorstellungen der Sezession kamen gerade durch diese Vorfälle beim arbeitenden und arbeitswilligen Teil der Bevölkerung gut an. Die hatten nämlich genug von den Versprechungen der Berliner Parteien, dass alles gut werden würde. Dieser Traum war sowieso an der neuen, alles einnehmenden asiatischen Wirtschaftsmacht zerschellt und die arbeitslosen Bürger und Hartz IV Empfänger waren zum größten Wählerblock geworden. Deutschland jedoch war das Geld ausgegangen, um die Menschen ruhig zu stellen. Immer mehr Politiker des Südens schlossen sich deswegen von Carstheim an. Zusammen mit ihm wollten sie die Wattebäuschchen wegwerfen und den Wirtschaftskrieg zu Europas Gunsten wenden. Für sie war Deutschland zu schwerfällig geworden, um weiterhin eine Vorreiterrolle einzunehmen. Ein wirtschaftlich gesunder, entschlossener und politisch wendiger Süden hingegen, könnte Europa wandeln und mitreißen, erklärten sie in jedes Mikrofon.

Am Ende ihrer Gedanken stellte Dana den Kragen ihres Mantels hoch. Sie spielte mit dem Feuer. Sich mit dem Mann zu treffen, der seit einigen Tagen der erklärte Todfeind der Bundesrepublik Deutschland war, könnte ihr politisches Ende bedeuten. Aber ungeachtet der Gefahr loderte in ihr das Verlangen, von Carstheim zu treffen. Er hatte sie beeindruckt und das, obgleich sie einer Unzahl von mächtigen Männern begegnet war. Seine Mischung aus Charisma und innerer Überzeugung hatte sie allerdings noch bei keinem Wirtschaftsboss oder Top-Politiker erlebt. Meistens wurden die von einem ruhelosen Geist angetrieben.

Abweisend sah Dana sich jetzt um, jemand hatte ihr auf die Schulter gefasst. Sie rechnete damit, dass einer der betrunkenen Teenager Geld oder eine Zigarette von ihr wollte.

„Frau Engelhard?“

Ein circa sechzig Jahre alter grauhaariger Mann lächelte sie an und lupfte seine Chauffeurmütze.

„Ja?“ Dana erwiderte das Lächeln.

„Mein Name ist Karl. Ich bin Ihr Fahrer. Herr von Carstheim schickt mich.“

„Woher wussten Sie, dass ich es bin.“

„Herr von Carstheim hat mir ein Foto von Ihnen mitgegeben. Er betonte, dass es ihm wichtig sei, dass ich Sie unter Tausenden erkenne.“ Karl behielt das Lächeln bei und öffnete die Fond-Tür eines schwarzen BMW. Dana behielt ihrerseits das Lächeln bei und stieg ein.

„Sind Sie schon lange Fahrer bei Herrn von Carstheim?“, fragte sie, als Karl sich ans Steuer setzte.

„Seit über dreißig Jahren chauffiere ich die von Carstheims. Ich habe den Herrn Freiherr schon zu Schulausflügen gefahren“, sagte Karl nicht ohne Stolz.

„Nicht losfahren.“ Dana hatte es sich anders überlegt. Sie wollte Karl vom Beifahrersitz aus über von Carstheim ausfragen. Sie stieg wieder aus und unsicher blickte Karl sich nach ihr um und erst als sie in der Beifahrertür erschien und sich neben ihn setzte, beruhigte er sich.

Sie schwang sich in den Sitz.

„Ich darf Sie doch Karl nennen, oder?“

„Wie die gnädige Frau wünschen.“

„Danke, so ist es auch leichter, Sie auszufragen.“ Dana packte die Schlosszunge und führte sie vom Umlenker über die Brust.

„Wir werden die Einfahrt über das Nachbarhochhaus nehmen. Die beiden Gebäude haben eine gemeinsame Tiefgarage. Ist diskreter.“

„In Frankfurt ist viel Presse.“ Dana steckte die Schlosszunge ins Gurtschloss.

„Nicht mehr als sonst, nur geben sie sich in diesen Tagen zu erkennen.“

„Zwangsweise. Es gibt was zu schreiben.“

„Turbulente Zeiten.“

Drei Sätze hatten genügt, um Dana zu beweisen, dass Karl ein Meister des Small Talks war. Sie entschloss sich für einen Frontalangriff.

„Dürfte ich Sie um ihre Hilfe bitten?“

„Es wäre mir ein Vergnügen.“

„Wenn Sie den Freiherrn beschreiben müssten, wie wäre ihr Urteil über ihn?“

„Ich möchte es mir nicht zugestehen, über Herrn von Carstheim zu urteilen“, zögerte Karl nicht mit der Antwort.

Dana musste feststellen, dass ihre Überrumpelungstaktik ins Leere gelaufen war. Doch so einfach sollte Karl nicht davon kommen.

„Was denken Sie, wird in seiner Biografie über ihn stehen?“

„Ich bin nicht der Fahrer der von Carstheims geworden, weil ich mich durch Indiskretion ausgezeichnet habe.“

„Sie sind eine harte Nuss.“ Dana lehnte sich vor.

„Ich wollte Sie auch zu keiner Indiskretion auffordern. Ich bin nur ein klein wenig nervös. Beschreiben Sie mir doch bitte seine hervorstechenden Charaktereigenschaften.“ Wie von Dana erhofft, kapitulierte Karl jetzt vor ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit.

„Herr von Carstheim ist der ehrgeizigste Mensch den ich kenne. Was daran liegen dürfte, dass seine Erziehung, von beiden Seiten der Familie, einzig auf Erfolg ausgelegt war. Für viele gilt er als skrupelloser Geschäftsmann. Im Gegensatz zu den meisten Machtmenschen sorgt er jedoch für die Menschen, die sich in seiner Obhut befinden. Er mag seine Ziele unnachgiebig verfolgen, lässt gewisse Grundsätze aber nie aus den Augen.“

„Klingt nicht nach dem Mann, den man aus der Presse kennt.“

„Die Zeitungen heben lediglich die frontale Geschäftspolitik hervor. Einige mögen sich über seine Erfolge auch beklagen können, das liegt aber in der Natur der Dinge. Man beschwert sich stets über denjenigen, der besser war oder ist, als man selbst.“

„Gibt es viele Frauen, die sich über ihn beschweren können?“, fragte Dana beiläufig.

Schmunzelnd drehte Karl seinen Kopf zur Seitenscheibe. Er hatte die Falle gewittert.

„Sein kaum vorhandenes Privatleben schirmt der Freiherr ab. Aber er bat mich darum, Sie wie ein Familienmitglied zu behandeln.“

Glücklich über diese Antwort versenkte Dana den Rücken in den Sitz. Sie schwieg und beobachtete die LCD-Leuchten des Armaturenbretts. Als sie wieder auf die Straße sah, konnte sie den Bühler Finger sehen. Das V ragte in den Frankfurter Nachthimmel. Von weitem sah der Finger aus wie ein halbfertiges Gebäude in das eine tiefe Kerbe geschlagen wurde. Beim Näherkommen konnte man aber sehen, dass dies nur eine optische Täuschung war. Der V-Ausschnitt und die oberen Etagen waren mit verdunkelten Scheiben versehen, aus ihnen drang kein Licht nach außen. Das V hingegen war selbst am Tag hell erleuchtet.

Karl steuerte den BMW aber nicht in die Abfahrt des Fingers, sondern, wie von ihm angekündigt, in die des wesentlich kleineren Nachbargebäudes. Das Parkhaus, in das sie rollten, war fast leer, nur wenige Parkbuchten waren von Autos der absoluten Luxuskategorie besetzt. Dana dachte an das Telefongespräch mit von Carstheim.

Vor zwei Stunden hatte das Handy endlich geläutet.

„Guten Abend, Frau Engelhard“, hatte von Carstheim sich gemeldet. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht Lust hätten, unser Gespräch von neulich fortzusetzen?“

„Äh, ich weiß nicht, ich …“, hatte sie gestammelt und sich darüber geärgert, dass er sie überrumpelt hatte. Von Carstheims nächsten Sätze, ließen sie aber ihren Ärger über sich vergessen.

„Frau Engelhard, wenn ein Mensch einem anderen gegenüber Sympathie hegt, ist das kein Verbrechen. Und man sollte das auch zugeben können. Mir jedenfalls geht es so. Ich würde mich wirklich freuen, Sie so bald wie möglich zu treffen.“ Von Carstheim hatte eine Pause eingelegt.

„Dass wir zwei unterschiedlichen Lagern angehören, sollte hierbei keine Rolle spielen. Immerhin gab es in der Vergangenheit eine Menge solcher Paare. Denken Sie nur an Kleopatra und Marc Anton. Wie langweilig wäre die Weltgeschichte verlaufen, wenn Kleopatra gesagt hätte: „Marc, tut mir leid, ein Treffen kommt für mich nicht in Frage. Ich kann Römer nämlich nicht leiden.“

Von Carstheim hatte amüsiert geklungen. Im Geiste hatte Dana sein Lächeln vor sich gesehen.

„Die Welt wäre einer großen Geschichte beraubt worden. Ein gutes Ende hat es mit den Beiden aber nicht genommen“, hatte sie geantwortet.

„Doch nur deswegen sind sie noch in aller Munde.“

Nach diesem Satz hatte Dana einem Treffen, auch auf die Gefahr hin zugestimmt, dass ihr Chef sie feuern würde, sollte er von dem Treffen erfahren.

Angeführt von Karl war Dana in einen grau betonierten Gang gelaufen. Der Gang endete an einer Aufzugstür.

„Ich muss Sie warnen, die Kabine beschleunigt teuflisch, nichts für einen schwachen Magen.“

„Bin einiges gewöhnt“, schlug Dana die Warnung leichthin in den Wind.

Karl schob nun eine Plastikkarte in einen silbernen Schlitz. Das Display leuchtete auf und er gab einen Code ein und die Fahrstuhltüren fuhren auseinander.

„Geben Sie Bescheid, wenn ich Sie abholen soll.“

„Mache ich. Und vielen Dank auch für die Auskunft“, sagte Dana schnell durch die sich schließenden Türen.

Der Expressaufzug beschleunigte augenblicklich. Jochen Schweitzer hätte aus ihm eine Attraktion machen können. Danas Magen zog sich zusammen und sie hielt sich an der Griffstange fest. Die Zahlen auf dem Stockwerksanzeiger tickten, wie die Zehntelsekunden einer Uhr, und abrupt hielt der Aufzug im Penthouse an. Ihr Magen hüpfte und erzeugte ein angenehmes Kribbeln. Die Tür öffnete sich von links nach rechts. Dunkelbrauner Dielenboden erschien vor ihr und eine Holztäfelung verlief rund um das mindestens neun Meter hohe und 400 Quadratmeter große Wohnzimmer. Die Täfelung ging nahtlos in das Panoramafenster über. Der hintere Teil des Wohnzimmers wurde von einem Bücherregal, das bis unter die Decke reichte, eingenommen. Rechts daneben konnte sie eine offene, saalgroße Küche sehen. Eine Vielzahl von Pflanzen war so verteilt, dass der Raum trotz seiner Größe einladend und gemütlich wirkte. In der linken Ecke flackerte ein Kamin. Davor, vom Feuerschein beleuchtet, stand eine Couchgarnitur.

„Willkommen in meinem unbescheidenen Heim“, sagte von Carstheim von einer kleinen Holztheke aus. Er trug ein weißes Polo-Shirt und eine dunkle Stoffhose. Auf dem Shirt prangte das Marc Anton Logo.

„Meine Schwester hat mir schon häufig vorgeworfen, dass alles viel zu protzig ist. Ich habe mich aber mit dem Argument durchgesetzt, dass wir die Wohnung auch unseren Geschäftspartnern zur Verfügung stellen. Sie können sich nicht vorstellen, wie verwöhnt Manager und Vorstandsvorsitzende sein können.“

Dana war vollkommen perplex. Deutschlands mächtigster Geschäftsmann erweckte den Anschein, als würde er sich für seinen Reichtum schämen. Sie musste daran denken, dass selbst die großen Geldinstitute des Landes vor ihm kuschten.

„Sie müssen sich nicht entschuldigen, dass Sie so wohnen“, sagte sie.

Von Carstheim löste sich von der Theke. „Gestatten Sie mir bitte das Privileg, Sie beim Vornamen zu nennen?“ Hoffnungsvoll ruhten seine dunklen Augen auf ihr. Dana nickte zustimmend. Dabei versuchte sie, Ruhe auszustrahlen. In Wirklichkeit schlug ihr Herz bis zum Hals.

„Wenn du mir erlaubst, dich im Gegenzug ohne das ‚von‘ anzusprechen, geht das in Ordnung.“

„Gleiches Recht für alle.“ Von Carstheims Blick huschte vielsagend über das blaue Kostüm, das ihre Figur betonte.

„Hoffentlich bist du nicht allzu hungrig. Aus Gründen der Diskretion habe ich meiner Köchin freigegeben. Der Kühlschrank ist zwar gut gefüllt, das hilft uns aber nicht weiter. Zu unserem Glück besitzt das Haus aber ein gutes Restaurant mit Zimmerservice.“

„Ich kann kochen. Meine Mutter meinte, es könne nicht schaden, es zu lernen und deine Küche muss ich unbedingt ausprobieren.“ Dana krempelte ihre Ärmel hoch und durchquerte das Wohnzimmer.

„Du bist die attraktivste Politikerin, die je diese Küche betreten hat.“

Dana verzichtete auf eine Antwort, stattdessen blitzten ihre Augen.

Von Carstheim zog eine Flasche aus dem Weinregal am Eingang der Küche und Dana ergriff seinen Arm.

„Immer langsam, Herr Freiherr.“ Sanft zog sie ihn in die Küche an die Arbeitsplatte. Er schwang die Weinflasche über ihren Kopf und stellte sie auf die Arbeitsplatte.

„Du könntest den Wein dekantieren, während ich mich umsehe.“

„Das kann ich.“

„Sicher? Das ist kein Schraubverschluss. Nicht, dass du dir wehtust.“ Dana drehte die Weinflasche um wenige Zentimeter, damit sie das Etikett lesen konnte.

„Bolivianischer, das wundert mich nicht.“

Von Carstheim wurde das Gefühl nicht los, dass Dana ein Spiel begonnen hatte. „Wie darf ich das verstehen?“

„Bolivien.“ Dana öffnete eine Schublade und unter ihren prüfenden Augen drehte von Carstheim den Korkenzieher in die Weinflasche.

„Ist das letzte Land auf der Erde, das nach einem Mann benannt wurde.“

Ein lautes Plopp erfüllte die Küche – von Carstheim hatte den Korken aus der Flasche gezogen.

„Danke für den zustimmenden Applaus.“

„Bolivien?“ Von Carstheim prüfte den Korken mit der Nase. „Ich hätte auf Rhodesien getippt. Deswegen wurde es auch in Simbabwe umgetauft.“ Von Carstheims rechte Hand fuhr in einen der Schränke, die über der Arbeitsplatte hingen.

„Stimmt. Die Bevölkerung wollte nicht, dass ihr Land nach dem englischen Diamanten-König Cecil John Rhodes benannt bleibt.“

„Ja eben.“

Von Carstheim stellte zwei Weingläser, die er aus dem Schrank genommen hatte, auf die Arbeitsplatte.

„Ich sehe du kennst dich in der Geschichte der Länderbenennung aus. Aber von einer Lehrerin mit abgeschlossenem Einser-Geschichtsstudium erwarte ich nichts anderes.“ Von Carstheim senkte die Flasche über die Weingläser, nacheinander schenkte er ein.

„Du hast dich über mich informiert?“, stellte Dana tadelnd fest.

„In meiner Position sind Informationen das A und O.“ Von Carstheim setzte die Weinflasche ab. Eins der Gläser reichte er Dana.

„Du hättest mich auch selbst fragen können.“

„Hast du dich im Vorfeld deines Besuchs nicht auch sehr genau über mich informiert?“ Von Carstheim stieß mit Danas Glas an und trank einen Schluck.

„Das war rein geschäftlich.“ Auch Dana nahm einen Schluck.

„Ein guter Wein.“

„Und was ist es jetzt?“

„Immer noch ein guter Wein.“

„Ha, Ha.“ Von Carstheim lachte gekünstelt.

Noch zwei Spielzüge und ich bin Matt. Aber das soll wohl so sein.

„Tu doch nicht so. Ich will unbedingt wissen, ob der Besuch privat oder geschäftlich ist.“

„Die Frage muss ich dir stellen.“

„Dass Politiker immer mit einer Gegenfrage antworten müssen ist eine fürchterliche Unart. Das kann ich aber auch. Warum also die Anspielung auf Bolivien?“ Von Carstheim holte aus und tat so, als würde er den Korken nach Dana werfen.

„Du kannst es dir echt nicht denken?“ Ungerührt stellte Dana das Weinglas auf den Kühlschrank.

„Keine Idee.“ Von Carstheim stülpte den Korken einen Zentimeter in den Flaschenhals.

„Bolivien ist nach dem Freiheitskämpfer Simon Bolivar benannt worden.“ Danas Kopf verschwand im Kühlschrank.

„Er hat Bolivien und große Teile von Südamerika in die Freiheit geführt. Und du darfst mich gerne unterbrechen, wenn ich falsch liegen sollte, aber findet nicht gerade mitten in Europa eine selbsternannte Freiheitsbewegung statt? Ich frage mich, ob da nicht jemand versucht, ein Land nach sich zu taufen, damit er in der Familienchronik die unumstrittene Nummer eins wird.“

Ein Zug noch und ich falle über sie her.

„So schweigsam Herr Freiherr.“

Danas Kopf tauchte aus dem Kühlschrank auf.

„Ich tendiere zu Geflügel.“ Dana warf ein Bündel Fleisch auf den Küchentisch.

„Touché!“, von Carstheim hob sein Weinglas.

„Meine Familie besitzt mehrere Weingüter, keiner unserer Weine trägt aber den Namen von Carstheim. Ich besitze keinerlei Ehrgeiz, was das angeht.“

„Und das von einem Mann, der einen einzigartig arroganten Satz geprägt hat.“

„Moment, der gilt nicht. Den Vergleich zu Gott habe ich angetrunken unter Freunden und im Spaß gesagt.“

„Ach ja.“

Dana legte die Butter, die sie aus dem Kühlschrank genommen hatte, zum Fleisch. „Man sagt so viel daher, wenn der Tag lang ist.“

„Außerdem wurde ich falsch zitiert. Die Presse stürzt sich natürlich auf so was.“

„Wer kennt das nicht?“ Dana schob die Weinflasche zur Seite. „Dann brauche ich mir ja keine Sorgen mehr zu machen. Reichst du mir bitte eine Pfanne.“

Von Carstheim vernahm zu seiner Freude, dass Danas Stimme voller Erotik war.

„Das bekomme ich hin.“

Der gesamte Abend hatte Danas Erwartung mehr als erfüllt und als der Fahrstuhl im Keller ankam, verfestigten sich Adrians letzte Worte in ihrem Kopf.

„Nur weil es sein muss, lasse ich dich gehen. Aber eines …“ Dana hatte eine Ehrlichkeit vernommen, die sie noch nie zuvor bei einem Mann seiner Machtfülle gespürt hatte.

„… noch. In der Antike hätte unser Zusammentreffen die Schriftsteller zu großen Geschichten inspiriert.“

Dana betete, dass Adrian es ehrlich meinte und nicht mit ihr spielte. Zusätzlich konnte sie nicht sagen, was am Ende stärker sein würde. Ihr Job und die damit verbundene Verantwortung, oder das Kribbeln, das sich in ihr ausbreitete und sie aufforderte, alles außer ihm zu vergessen. Noch bevor die Aufzugstür sich öffnen konnte, drückte sie die Penthouse Taste.

Eine Politikerin, wie konnte mir das passieren?

Erwartungsvoll sah von Carstheim zum Fahrstuhl. Den Ton gab er nur von sich, wenn er besetzt war.

„Marc Anton würde Kleopatra nie ungeküsst nach Ägypten zurückschicken.“

Dana kam aus dem Fahrstuhl. Von Carstheim schwieg und nahm ihren Kopf in die Hände und küsste sie. Geld, Macht und Sezession waren nicht mehr von Wert.

Die Freistaaten

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