Читать книгу Die Freistaaten - Jens Zielke - Страница 17
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26. SEPTEMBER | Stuttgart | 9 Uhr
Wallner hatte die Lagebesprechung in eine wegen Renovierungsarbeiten geschlossene Grundschule gelegt. Er saß mit baumelnden Beinen auf dem Lehrerpult. Seine Männer hatten sich auf die Schulbänke verteilt.
„Wir bilden fünf Geschwader à vier Mann. Eins, Zwei und Drei sichern die Abfahrtswege und die Fahrtroute. Nummer vier schirmt das direkte Umfeld der Prinzessin ab und Fünf übernimmt den Zugriff und Abtransport.“
„Wie sollen wir vorgehen, wenn wir keinen der drei Übergabepunkte erreichen?“, fragte einer der Geschwaderführer.
„Die örtlichen Behörden werden die Festnahme wie eine Entführung behandeln. Sollten wir keinen der Übergabeorte erreichen, müssen wir spontan vorgehen.“
„Was geschieht, nachdem die Prinzessin übergeben wurde?“
„Wir wissen nicht wie die Menschen reagieren werden. Sie haben die Umfrageergebnisse mitbekommen. Die Sezession breitet sich aus wie eine politische Pandemie.“
Frankfurt am Main | Bühler Finger | 12 Uhr
Von Carstheim, Jeremy und Sara schwelgten im Erfolg der Werbekampagne. Gekoppelt mit der Unzufriedenheit des Südens hatte die Kampagne für ein Traumergebnis gesorgt.
„In den ländlichen Gegenden von Bayern und Baden-Württemberg befürworten über achtzig Prozent die Volksbefragung und selbst in den Städten sind es sechzig Prozent. Wichtiger aber ist, dass die Menschen des Südens uns zuhören. Sie wollen über unsere Argumente nachdenken“, sagte von Carstheim.
Jeremy war beeindruckt.
„Wie sieht es mit der Unabhängigkeit aus?“
„Im Schnitt unterstützen dreißig Prozent die Sezession. Tendenz steigend. Und sobald die neuesten Arbeitslosenzahlen bekanntgegeben werden, wird es einen weiteren Schub geben. 5,8 Millionen. Der Kanzler kann die Zahl weder verschweigen noch beschönigen. Im selben Atemzug präsentieren wir Lösungen für die verzweifelten Bürger.“
„Sollte es dir gelingen, die Menschen in Stuttgart von unseren Zielen zu überzeugen, haben wir es geschafft“, bestätigte Sara den Optimismus ihres Bruders.
„Und das Versprechen einer wirtschaftlichen Abschottung und eines Ausstiegs aus der EU und des Euros, kommen beim süddeutschen Zielpublikum gut an“, ergänzte von Carstheim.
„Mag sein. Die AfD und gleich gelagerte Parteien könnte uns aber Probleme bereiten.“
„Keine Gefahr. Deren Anhänger werden uns folgen.“
Zufrieden stellte von Carstheim fest, dass nicht einer im Raum noch an der Sezession zweifelte.
München | 22 Uhr
Kai Uwe zog den Rauch der Zigarette tief ein. Acht Stunden hatte er auf dem bekanntesten Trainingsgelände der Republik verweilt, ohne eine zu rauchen. Eine für seine Verhältnisse beachtliche Leistung.
Idealisten werden mit Worten gekauft, für den Rest braucht man eben Geld, hatte er beim Anzünden der Lucky gedacht.
Ihm war es gelungen, die großen Sportvereine des Südens zu überreden, die Volksabstimmung als demokratischen Vorgang zu empfehlen. Um den Vorständen den Entschluss zu erleichtern, hatte er aber mehr als Peanuts ausgegeben. Doch gerade die Zusage der Fußballvereine war jeden Euro wert.
Jetzt interessierte es ihn brennend, was die Menschen in München von der Volksabstimmung hielten. Er schnippte die Lucky auf den Gehsteig. Der Wagen des Münchner Fußballmanagers hatte ihn vor seinem Hotel abgesetzt. Er glättete sein Sakko und suchte die Szene-Bar auf, die in seinem Hotel untergebracht war. Nicht unbedingt der Ort, wo er versacken wollte, für zwei Bier würde es aber gehen. Die Lichter der Bar waren gedämpft, kühle Farben dominierten den Gastraum. Vierertische standen ordentlich in einer Reihe. Die meisten waren besetzt. Routiniert wurde er von der Barkeeperin angelächelt.
„Ein Pils, bitte“, sagte er und setzte sich an den Tresen.
„Gerne, sofort.“
„Darf ich Sie was fragen?“
„Spanierin“, sagte die Barkeeperin.
„Toll, aber …“
„Ich stamme aus Spanien, das wollten Sie doch wissen? Die Meisten fragen mich das.“
Kai Uwe fiel auf, dass die Barkeeperin ausgesprochen hübsch war. Wahrscheinlich befürchtete sie, dass er sie anmachen wollte.
„Nein, nein, darum geht es mir nicht. Ich wollte Sie fragen, was Sie von der Unabhängigkeitsdebatte halten.“
„Was für ein Zufall, vor zwei Minuten habe ich mit Armin über die Sezession gesprochen“, sagte die Barkeeperin. Sie hatte sich an die Zapfanlage gestellt und ein Bierglas in die Hand genommen.
„Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?“
„Warum wollen Sie das wissen.“
„Na, warum wohl. Weil ich die Volksabstimmung gut finde.“
„Ach ja?“ Die Barkeeperin hielt das Glas unter die Zapfanlage und stupste den Zapfhahn nach vorne. Das Bier strömte ins Glas und erzeugte einen Schaumwirbel. „Armin, sag ihm was wir festgestellt haben“, forderte sie den Barbesucher auf, der zwei Hocker entfernt von Kai Uwe saß. Der Angesprochene kräuselte seine Nase. Kai Uwe tippte auf Banker mit Karriereaussichten.
„Carmen und ich haben festgestellt, dass eine Volksabstimmung eigentlich gut für die Bürger ist. Und was spricht gegen eine Unabhängigkeit? Vereinzelt war sie schon früher ein Thema. Sie werden mich vielleicht für verrückt erklären, aber viele meiner Freunde haben gesagt: „Das ist es“. Mein Abteilungsleiter hat sogar Aufkleber mit der Aufschrift Auf Wiedersehen Deutschland und lebe wohl in Auftrag gegeben.“
„Mit recht. Die Sezession bietet eine einmalige Chance für unsere Bundesländer.“
„Sie sagen es. Bayern und Baden-Württemberg sind den anderen Bundesländern sowieso in jeder Hinsicht überlegen und die Sezession ist auch für die Demokratie ein Neubeginn.“ Schmatzend trank Armin sein Bier aus und orderte ein neues.
„Das müssen Sie mir erklären.“ Kai Uwe wurde von Armins Begeisterung angesteckt. Eigentlich müsste es andersrum sein, dachte er.
„Die etablierten Parteien besitzen einen infrastrukturtechnischen Vorteil gegenüber den Parteien, die neue Ideen vertreten, oder etwa nicht?“
„Ohne Zweifel.“ Kai Uwes Spannung stieg an. Das Gespräch verlief nach seinem Geschmack. Die Sezession hatte in Bayern und Baden-Württemberg, wie von Adrian berechnet, eine Sehnsucht nach absoluter Selbstbestimmung geweckt.
„Dieser Vorteil ist mittlerweile so groß, dass eine Versteifung des Systems stattgefunden hat. Diese Versteifung hat dafür gesorgt, dass die Parteien sich nicht mehr voneinander unterscheiden, wenn es um die Lösungen der Probleme geht.“
„Armin, einen Augenblick.“
Kai Uwe suchte Carmen. Sie hatte sich ans Ende des Tresens begeben und unterhielt sich mit einem Gast.
„Entschuldigung.“
„Ja?“ Carmen schritt den Tresen zurück zu ihm.
„Ich bräuchte einen Stift und einen Zettel?“
„Kein Problem.“
Carmen griff unter die Theke.
„Sie haben doch nichts dagegen, dass ich Sie zitiere.“ Kai Uwe streckte die Hand aus und Carmen übergab ihm einen Kellner-Block samt Kugelschreiber. „Die meisten sprechen alles in ihr Handy. Ich bin aber noch vom alten Schlag und bevorzuge handschriftliche Notizen.“ Kai Uwe legte den Block auf den Tresen und Armin ließ sich nicht lange bitten.
„Ausgelöst durch diesen entstandenen Parteienbrei verliert die Demokratie an Wert. Das beste Beispiel ist das Zwei-Parteien-System der USA. Wie kann man da noch von Demokratie reden? Sie haben zwar eine Wahl, aber nur zwischen zwei Parteiprogrammen. Die beiden Parteien bestimmen also mehr oder weniger die Richtlinien der Politik und nicht der Bürger. Wir alle wissen, wohin das geführt hat. Mittlerweile ist es in Deutschland nicht anders. Die zusammengerückten Parteien sind mehr daran interessiert ihre Macht zu erhalten, anstatt das Land auf Vordermann zu bringen. Neue Parteien besitzen auch kein Konzept. Zuviel Zeit ist verschwendet worden. Die Politik hat jegliche Handlungsbereitschaft abgegeben. Die Mittelschicht schwindet unaufhaltsam. Die Sezession aber bietet die Chance eines ehrlichen Neuanfangs.“ Emotionsgeladen rutschte Armin von seinem Hocker auf den neben Kai Uwe. „Von Carstheim und die Sezession sind die Rettung“, sagte er aus nächster Nähe.
„Reden Sie weiter, was stört Sie noch.“ Kai Uwe tippte mit dem Kugelschreiber auf den Block. „Die Patrone ist voll und ich habe Zeit.“
„Nur ein Beispiel“, fing Armin sofort an zu diktieren. „Wenn in Deutschland ein Bundestagsabgeordneter nach einer Abstimmung Gelder kassiert, kann er nicht der Bestechlichkeit angeklagt werden. Das geht nur, wenn er vor einer Abstimmung abkassiert. Wie kann ich da Käuflichkeit verhindern? Hinzu kommen die unzähligen Berater-Jobs. Warum dürfen Politiker sagen „Ich stecke fünfzig Prozent meiner Arbeit in den Job des Bundestagsabgeordneten. Die andere Hälfte aber in die Interessen eines Industrieverbandes.“? Wie kann das sein, Politiker sind doch Angestellte des Staates. Wissen Sie, was passieren würde, wenn ich zu meinem Vorgesetzten sage. Hey Chef, die Hälfte meiner Arbeitszeit stecke ich in die Bank. Die Zweite in meinen Job als Berater des Finanzamtes? Was denken Sie, wird der sagen?“
Na also, ein Bankangestellter. Ich kann die Kerle einfach gegen den Wind riechen.
„Willkommen bei der Arbeitsagentur“, erwiderte Kai Uwe.
„Worauf Sie wetten können. Schreiben Sie das ruhig in Großschrift auf.“ Fordernd klatschte Armins Hand auf Kai Uwes Block. „Wieso gelten für Politiker andere Maßstäbe? Sind das etwa Menschen erster Klasse? Haben sie es nicht nötig, sich an die für die Bürger geltenden Gesetze zu halten? Von den unglaublichen Erklärungen, die sie für solche Käuflichkeit haben, einmal abgesehen. All das hat dazu beigetragen, dass Deutschland in dieser Lage ist. Die Politiker sind zu abhängig von der Industrie und Brüssel. Die Sezession wird auch da bereinigend wirken. Endlich werden die Politiker auf Augenhöhe mit den Wirtschaftsbossen Entscheidungen treffen, die zum Besten des Landes und ihrer Bürger sind.“
Kai Uwe hatte mit fliegender Feder mitgeschrieben.
„Armin, Sie sind ein guter Freund der Separatisten. Ich verspreche Ihnen, dass die Sezession das System im Süden wieder bürgerfreundlich gestalten wird.“
„Von nichts anderem gehe ich aus.“
„Als Spanierin stehe ich natürlich auch zum Süden. Der Norden ist mir sowieso zu kalt“, sagte Carmen. Verführerisch grinste sie Kai Uwe und Armin an.
„Das steht ja wohl außer Frage.“ Kai Uwe steckte den Block ein.
In den Köpfen der Menschen war eine Revolution gegen das versagende deutsche und europäische Politikwesen entstanden. Beschwingt drehte er sich um hundertachtzig Grad. Das Publikum in der Bar bekräftigte seine Gedanken. Die Frauen waren herausgeputzt und die Männer einparfümiert. „Mehr Schein als Sein, das wird helfen“, entfuhr es ihm leise.
Genau die von Armin angedeutete Stimmung muss geschürt werden. Wenn die Politiker des Südens dann noch zugeben, dass sie bereit sind, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, wird das ein gutes emotionales Argument für die Sezession sein. Auf billige Weise können wir Stimmung erzeugen.
„Billig.“
„Was ist billig?“, fragte Armin.
„Wie? Was?“ Kai Uwe hatte nicht bemerkt, dass er laut gedacht hatte.
„Sie sagten billig, was ist denn billig?“
„Nichts, nichts, ich war im Gedanken. Die Getränke sind es jedenfalls nicht. Carmen, zapfst du Armin und mir trotzdem noch ein Bier, auch wenn ich bemängeln muss, dass ihr eine Bremer Marke verkauft. Das muss natürlich geändert werden.“ Carmen lachte und schenkte Kai Uwe einen vielversprechenden Augenaufschlag, den er nicht nur auf die Sezession bezog.