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Berlin | Büro des Innenministers | 21 Uhr

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Zwei Jahre im Amt hatten Walter Reis mit dem Stempel versehen, dass er Deutschlands nettester Innenminister aller Zeiten sei. Er konnte mit diesem vermeintlichen Makel leben. Als gelernter Ökonom hatte er dieses Amt auch nur übernommen, weil Schindling ihn darum gebeten hatte. Mittlerweile gefiel ihm der Job aber. Die Sitzungen, in denen es um Terroranschläge, Volksverhetzung und die Abwehr von antideutschen, die innere Sicherheit bedrohende Tendenzen ging, waren spannend. Viel spannender als das Zahlengeschiebe, welches er als Finanzminister gewohnt war. Dass er zu nett sei, war für ihn ohnehin ein Hohn. Seit seinem Einstieg in die Politik sagte man ihm das nach und wahrscheinlich lag dieses Vorurteil daran, dass es stimmte. Ihm war es nie darum gegangen Karriere zu machen. Er war Politiker geworden, um dafür zu sorgen, dass Deutschland ein Land mit Zukunft bliebe. Diese Einstellung hatte seine Karriere innerhalb der SPD allerdings erschwert. Ihm fehlte die Ellenbogenmentalität und nur seinem Erfolg als Nordrhein-Westfälischer Finanzminister verdankte er es, dass er doch noch einen Karrieresprung vollzog.

Innerhalb von drei Jahren hatte er den Nordrhein-Westfälischen Haushalt halbwegs saniert. Schindling war damals sein Ministerpräsident und trotz seines hohen Alters hatte der ihn in sein Schattenkabinett für die Bundesregierung berufen. Und im Laufe der Jahre war aus einer rein beruflichen Beziehung eine Freundschaft entstanden, die eine Tiefe besaß, die das Umfeld von Schindling mit Neid auf ihn erfüllte. Die Freundschaft gipfelte sogar darin, dass Schindling ihn, entgegen des Ratschlags seines Kabinetts, zum Innenminister ernannte. Er sei zu weich, war die gängige Parole auf der Regierungsbank und in den Korridoren des Innenministeriums. Ihn hatte das nicht gekümmert. Er hatte sich auf seine Arbeit konzentriert. Und als Grubers Nachfolger hatte er die Menschen davon überzeugt, dass die Regierung sich ihrer Probleme annehmen würde. Seine Menschlichkeit hatte Grubers Fehler auch halbwegs repariert. So konnte der Innenminister mit gutem Gewissen von sich sagen, dass er schon einiges erlebt hatte. Doch Fröhlich, der Chef des Verfassungsschutzes, hatte seinen Erfahrungsschatz soeben erweitert.

„Sie behaupten also ernsthaft, dass eine Verschwörung gegen die Bundesrepublik im Gange sein könnte? Sie scheinen mir ein wenig überarbeitet.“ Abwertend legte der Innenminister den von Fröhlich verfassten Bericht vor sich ab. Jung, eloquent und intelligent war die treffende Beschreibung für Fröhlich.

„Im ersten Moment mag es sich nach einem haschisch-geschwängerten Alptraum eines Alt-Achtundsechzigers anhören. Ich bin aber überzeugt, dass mit den von mir aufgeführten Vereinen etwas nicht stimmt.“ Den gesamten Tag hatte Fröhlich an seinem Bericht gearbeitet. Vieles in ihm war aus dem Zusammenhang gerissen und richtige Beweise hatte er nicht. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass bei den Vereinen etwas nicht stimmte.

„Dann mal los. Überzeugen Sie mich von der Verschwörung.“ Der Innenminister machte es sich in seinem Sessel bequem. Sein aufgesetzt interessierter Gesichtsausdruck unterstrich seine Ähnlichkeit zum alten Sean Connery.

Fröhlich störte die Reaktion. Er hatte den Eindruck, dass der Innenminister dies für eine Märchenstunde hielt. Das Letzte, was sie in der Situation jedoch gebrauchen konnten, war Überheblichkeit. Begünstigt durch die Entwicklungen innerhalb Europas hatte sich die Stimmung in der BRD grundlegend verändert. Der Brexit und der unablässige Zustrom aus dem verarmten Ost- und Südeuropa und eine explodierte Arbeitslosenzahl hatte Deutschland verändert.

„Herr Innenminister. Vor ungefähr sechs Jahren wurden im gesamten Bundesgebiet Vereine gegründet und durch schnelle, unkomplizierte Hilfe haben sich die Vereine, zu denen auch Mein Hessen e.V. und Schönes Bayern e.V. gehören, in vielen Teilen der Bevölkerung sehr beliebt gemacht. Sie wissen, um wen und was es geht …“

„Nicht im Einzelnen. Aber in Zeiten, in denen der Staat an allen Ecken und Enden sparen muss, sollte man solch ein Sozialverhalten doch für gut befinden“, unterbrach der Innenminister seinen obersten Verfassungsschützer.

„Natürlich sollte man das befürworten, aber lassen Sie mich bitte ausreden. Von Anfang an hatte ich den Eindruck, dass die Vereine ihre Angestellten nach einem speziellen Muster aussuchen. Es sind alles arbeitslose Männer, die kaum noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Verstehen Sie, was ich andeuten will?“

„Nein, ich erkenne lediglich den sozialen Gedanken.“

„Auf den ersten Blick mag das vielleicht sozial aussehen, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Verantwortlichen nur eins bezwecken.“

„Und das wäre?“ Der Innenminister hatte Fröhlichs Luftholen genutzt, um die Frage zu stellen.

„Sie wollen ihre Pläne verschleiern. Und noch etwas kommt mir sehr verdächtig vor. Keine Frau hält bei den Vereinen eine Führungsposition inne. Sie wissen, dass Männer eher bereit sind, radikale Veränderungen durchzusetzen“, führte Fröhlich seine Erklärung aus.

„Handelt es sich etwa um eine Welteroberungssekte nach dem Vorbild der Scientologen?“ Der Innenminister schlug den Bericht auf und blätterte in ihm.

„Sicher kann ich noch nichts sagen. Die Unternehmungen haben jedoch eine Intensität angenommen, die mir Sorgen bereitet.“

„Inwiefern?“ Der Innenminister sah von der Akte hoch.

„Entschuldigen Sie bitte, Herr Innenminister“, meldete sich seine Assistentin aus der Sprechanlage.

„Was gibt es?“

„Ein Oberkommissar Schnell möchte Herrn Fröhlich sprechen.“

„Ich habe dem Kommissar ausrichten lassen, dass ich bei Ihnen anzutreffen bin. Es geht um weitere Überwachungsprotokolle. Das könnte sehr aufschlussreich sein“, übernahm Fröhlich die Erklärung für Schnells Erscheinen.

„Wenn das so ist, bitten Sie den Kommissar herein“, sagte der Innenminister in die Sprechanlage. „Sie wissen Spannung aufzubauen“, sagte er dann an Fröhlich gewandt.

„Es wird sich lohnen.“ Energisch trat Fröhlich dem Kommissar entgegen, der zögerlich ins Büro lief.

„Perfekt, dass es heute noch geklappt hat.“ Erwartungsvoll streckte Fröhlich die Hand aus.

„Entschuldigen Sie die Verspätung. Wir hatten technische Schwierigkeiten mit der Auswertung der Aufnahmen.“ Umständlich öffnete Schnell eine kleine Aktentasche und mit einer verhaltenen Kopfbewegung grüßte er den Innenminister.

„Schon gut. Ihr Timing ist ausgezeichnet.“

Schnell zog den angeforderten Überwachungsbericht aus der Aktentasche und legte ihn in Fröhlichs Hand.

„Das war es auch schon. Sie können gehen.“ Noch während Fröhlich sich zum Innenminister begab, schlug er die erste Seite auf.

Schnell war verloren zurückgeblieben und da keiner mehr Notiz von ihm nahm, ging er aus dem Raum.

„Sie verzeihen.“ Fröhlich zeigte auf die Akte.

„Nehmen Sie sich so viel Zeit wie Sie brauchen.“ Fröhlichs Selbstsicherheit brachte den Innenminister dazu, über die aufgezählten Vereine nachzudenken. Durch extreme Ansichten hatten diese tatsächlich von sich Reden gemacht. Zum Beispiel verlangten sie, dass Deutschland, nach der Pleite vieler europäischer Länder und dem portugiesischen und griechischen Ausscheiden aus dem Euro, aus der EU austreten sollte. Der eigene wirtschaftliche Verfall sollte so aufgehalten werden. Wenn es nach den Vereinen ging, war schon zu viel deutsches Geld in den verschiedensten Rettungsschirmen versickert. Außerdem forderten sie, dass die BRD sich nach dem Schweizer Vorbild abschotten sollte. Der Kanzler und er hatten diese Bestrebungen jedoch nicht für voll genommen. Für sie waren die Vereine Trittbrettfahrer der AfD und gleichgelagerter rechter Parteien.

„In den zurückliegenden zwölf Monaten wurden weitere zweihundert Vereine gegründet. Sie alle zeichnen sich durch schier unerschöpfliche Geldmittel aus. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Es genügt, wenn Sie die Zusammenfassung lesen. Beachten Sie, wen die Präsidenten der großen Clubs alles besucht haben.“ Fröhlich drehte den Bericht so, dass der Innenminister ihn lesen konnte.

„Es ist natürlich ungewöhnlich, dass die Treffen erst in den letzten zehn Tagen zustande kamen. Das muss aber nichts bedeuten. Es kann sich auch um das Einfädeln sozialer Projekte handeln“, sagte der Innenminister beim Lesen der Zusammenfassung.

„Es kann alles vollkommen harmlos sein. Aber es kann auch nicht schaden intensive Nachforschungen zu tätigen.“

Der Innenminister war alles andere als überzeugt von dem, was er gelesen und gehört hatte. Fröhlich besaß jedoch ein gutes Gespür für solche Dinge. Beim Kampf gegen die Salafisten und die rechte Szene, insbesondere dem NPD-Verbot, hatte er zählbare Erfolg erzielt. Er rechnete es Fröhlich hoch an, dass er mit dafür verantwortlich war, dass der Bundesgerichtshof die NPD für illegal erklärt hatte. Dies war ein Erfolg gegen die Rechten des Landes, der nötig geworden war. Wie ein Geschwür breitete sich das rechte Gedankengut in der verarmten Bevölkerung aus. Fürs Erste wollte er Fröhlich also gewähren lassen.

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