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7 Kein Besuch
ОглавлениеTexas
Mittwoch, 7. Mai, 18.00 Uhr
Augustin wünschte, er säße schon im Flugzeug nach Rom. Es gab nichts, das er für Roger nicht tun würde.
Während er mit raschen Schritten das Krankenhaus betrat, das seinen Vater nun schon über ein Jahr lang beherbergte, fragte er sich, welchen Unterschied es wohl bedeuten würde, dass sein Vater nun ins Koma gefallen war – er war ja auch schon monatelang vorher praktisch unfähig gewesen, sich zu verständigen, und hatte keinerlei Interesse daran gezeigt, seinen Sohn zu sehen. Wie viele Abende hatte Augustin mit seiner Mutter bei ihm gesessen und versucht, ihm ein Lebenszeichen zu entlocken?
Man hatte Dr. Knox auf die Intensivstation verlegt; vielleicht war die Sache doch ernster, als Augustin angenommen hatte. Was würde seine Mutter dazu sagen, dass er ins Ausland fliegen wollte, wenn auch nur für ein paar Tage?
An der Zimmertür auf der Intensivstation hing ein Schild: „Edsel Knox, Thd. KEIN BESUCH.“
Das war nichts Neues. So schwierig es für Dr. Knox nach seinem Schlaganfall auch gewesen war, sich verständlich zu machen, eines hatte er doch klar zum Ausdruck gebracht: dass er niemanden sehen wolle außer seiner Frau. Nachdem sie ein Jahr lang versucht hatte, ihn umzustimmen und den einen oder anderen Besucher zu empfangen, hatte sie schließlich aufgegeben. Nicht beachtet hatte sie allerdings seine Forderung, auch Augustin solle wegbleiben.
Augustin empfand Mitleid für sie, als sie jetzt mit rot geränderten Augen aus dem Zimmer trat. „Ich habe den ganzen Tag gebetet“, sagte sie, als er sie in den Arm nahm. „Komm, begrüß ihn.“
Im Zimmer empfing ihn das Summen und Surren von Apparaten, und Augustin sog den allgegenwärtigen Geruch von Desinfektionsmitteln und Alkohol ein. Es gab kaum Platz für einen zweiten Stuhl, aber Augustin trug einen aus dem Flur herein und setzte sich. Edsel Knox sah kaum verändert aus, vielleicht ein wenig hagerer und mitgenommener als zu der Zeit, als er noch bei Bewusstsein gewesen war. Wenigstens gab es jetzt einen Grund dafür, dass er Augustins Blick nicht erwiderte. Wenn sich hier das Ende ankündigte – würde Augustin wohl um einen Mann trauern können, der ihn allem Anschein nach niemals mehr als gerade eben bloß ertragen hatte?
„Junge“, sagte seine Mutter. „Ich weiß. Es war nicht einfach, mit ihm zu leben, aber …“
„Das musst du besser wissen als jeder andere, Mom. Aber warum? Was hat ihn so werden lassen?“
„Er war nicht immer so, weißt du“, flüsterte Marie und beugte sich vor, um eine Hand auf die ihres Mannes zu legen. „Glaubst du denn, ich hätte mich in einen solchen Mann verliebt?“
„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihn je anders erlebt hätte.“
„August, das tut mir leid. Ich hoffe, ich bin nicht schuld daran, dass du es so siehst.“
„Machst du Witze? Wenn du nicht gewesen wärst …“
„Ich habe mich in seinen Verstand verliebt“, sagte sie. „Wenn er einmal einen Vers oder Abschnitt oder einen dogmatischen Text im Kopf hatte, konnte er ihn jederzeit zitieren, erklären, verteidigen – was auch immer gefragt war. Ich saß in seinen Seminaren in der ersten Reihe, damit ich ihn richtig sehen und jedes Wort hören konnte.“
„Du bist die Einzige unter seinen Schülern, von der ich je gehört habe, dass sie es überhaupt ertragen konnte, ihm zuzuhören.“
Sie lächelte wissend. „Seine Vortragsweise war trocken, ja. Aber er war eine Fundgrube an Wissen.“
„Du hast in der ersten Reihe gesessen, damit er dich bemerken sollte?“
„Vielleicht. Jedenfalls hat er es schließlich. Aber er hat mich nie angesprochen, bis ich mein Examen hatte und wir nicht mehr in Schwierigkeiten geraten konnten, weil wir uns etwa zu nahe gestanden hätten.“ Sie lächelte. „Das Erste, was er zu mir sagte, war, ich hätte mit diesem Studium nur meine Zeit verschwendet.“
„Weil du eine Frau bist.“
„Genau. Ich sagte ihm, dass ich nicht vorhätte, Pastorin zu werden. Ich wollte dieses Studium, damit ich auf alles vorbereitet wäre, wozu Gott mich rufen würde. Aber er sagte nur, ich sei jetzt für eine Sonntagsschullehrerin viel zu gut qualifiziert. Ich hätte ihn ohrfeigen können.“
„Ja, das klingt ganz nach dir.“
„Ich hab gelacht und geantwortet, vielleicht würde ich einen meiner Mitstudenten heiraten und meinen eigenen Weg machen. Ich hatte noch keine Ahnung, dass es mein Weg sein würde, seine Frau zu werden.“
Augustin bekam plötzlich Platzangst und stand auf, um zur Tür zu gehen.
„Ich möchte ihn jetzt lieber nicht allein lassen, Augustin.“
„Er ist okay. Alle Anzeigen sind stabil. Wir gehen nur kurz etwas essen und sind gleich zurück.“
Er führte sie den Gang entlang bis zur Cafeteria, und während sie aßen, setzten sie ihr Gespräch fort.
„Ich habe nie jemanden wie Dad getroffen“, sagte Augustin. „Andere Väter haben mit ihren Kindern gespielt, sie genossen. Ich meine, natürlich bin ich froh, dass er kein Alkoholiker war oder gewalttätig. Aber ich schwöre, ich habe ihn kein einziges Mal lächeln sehen. Du etwa?“
Mrs Knox sah aus, als müsste sie sich mühsam erinnern. „Als wir erst frisch miteinander bekannt waren, hatte er große Pläne und Träume. Wenn er davon sprach, dass er einmal im Dallas oder Southwestern unterrichten würde … ja, da hat er gelächelt.“
„Wie bitte? Ich habe ihn in meinem ganzen Leben nie über das eine oder das andere Seminar reden hören, ohne dass er dabei missbilligend das Gesicht verzogen hätte. Er wollte dort unterrichten?“
Marie versank in Schweigen. Als sie schließlich ihre Mahlzeit beendet hatte, sagte sie sanft: „Ich weiß nicht, wie oft er sich beworben hat, bei beiden. Er konnte nicht verstehen, warum man ihn nicht einmal zum Gespräch eingeladen hat. Es hat ihn bitter gemacht. Aber ich habe es gewusst.“
„Du wusstest es?“
Sie nickte. „Ich sollte darüber schweigen, Augustin. Ich möchte nicht illoyal sein.“
„Mir kannst du es sagen.“
„Er weiß nicht, dass ich es weiß.“
„Wie oft hat Dad sich bei Dallas oder Southwest beworben, Mom?“, hakte er nach, als sie zum Aufzug gingen.
„Viele Jahre lang fast jedes Jahr, und zuletzt noch letztes Jahr. Er glaubte, er würde sich damit einen Namen machen, es würde ihm, wie er sagte, gravitas verleihen.“
„Er hatte mehr gravitas, als er brauchen konnte.“
„Dein Vater wollte Bestätigung, August.“
Augustin schüttelte den Kopf. „Ich hatte nie den Eindruck, es kümmere ihn, was andere sagen.“
Seine Mutter warf ihm einen warnenden Blick zu, als sie aus dem Aufzug traten. Sie legte einen Finger auf die Lippen, als sie die Tür zum Zimmer seines Vaters öffnete. „Wir sind wieder da, Lieber“, sagte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Augustin und ich sind direkt vor der Tür, wenn du uns brauchst.“
Auf dem Gang sagte sie: „August, je länger er ohne diese Anerkennung leben musste, um so düsterer wurde seine Stimmung. Es war er gegen den Rest der Welt.“
„Und warum also hat er nie eine Zeile von diesen Seminaren bekommen?“
Marie blickte den Flur entlang und flüsterte dann: „Ich musste jeden Tag die Post durchsehen, ob etwas von Dallas oder Southwestern dabei war. Ich rief ihn an, sobald etwas kam, und ich sollte ihm die Schreiben am Telefon vorlesen. Wenn ich bei „tut es uns leid, Ihnen mitteilen zu müssen …“ war, sagte er, ich solle das Schreiben zerreißen.“
„Es tat mir leid für ihn, Augustin, aber ich war auch erleichtert, dass ich ihm nicht das ganze Schreiben vorlesen musste. Darin stand nämlich auch der Grund für die Ablehnung. Da er sich schon so oft beworben hatte, schrieb der Dekan, erschiene es ihm nur fair, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie hatten für ein paar Wochen einen Studenten in seine Kurse eingeschleust, und der hatte seine Lehrweise bewertet.“
„Oh, nein. Das möchte ich sehen.“
„Ich hab das Schreiben bei meinen persönlichen Sachen aufbewahrt. Dein Vater darf es nie zu sehen kriegen.“
„Deine persönlichen Sachen? Gibt es da noch etwas?“
„Du erfährst es früh genug“, sagte sie. „Jetzt muss ich wieder zurück zu ihm.“
Augustin schlüpfte in ein verlassenes Wartezimmer und rief Sofia an.