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Mittwoch, 7. Mai
„ruf an. ver2felt.“
Die Nachricht erschien um 8.55 Uhr auf dem Display von Dr. Augustin Knox’ Handy, nur wenige Sekunden, bevor er das Gerät ausschalten musste – das war Vorschrift für Dozenten am Theologischen Seminar von Arlington, bevor sie einen Seminarraum betraten.
Augustin hätte ein rasches „sekunde“ abschießen können, aber die Nachricht war nicht signiert und die Nummer war in seinen Kontakten nicht erfasst. Die Vorwahl 01139-6 war die von Rom. In seinen achtunddreißig Lebensjahren war er viel in der Welt herumgekommen und die Ewige Stadt hatte er mehr als einmal besucht. Aber ein Text wie dieser konnte auch auf einen dieser „Bin-beklaut-worden,-brauche-Geld“-Telefontricks hinweisen. Was immer das hier war, es würde warten müssen, bis er die Examensklausur in Systematischer Theologie eröffnet hatte und sich mit dem Handy wieder auf den Gang zurückziehen konnte.
Augustin war schon seit Langem fasziniert davon, welch ein nervöses Geschnatter seine Studenten vor Klausuren von sich gaben. Jetzt begrüßte ihn jemand mit: „Ich hab Sie im Who’s Who nachgeschlagen, Doc, und jetzt weiß ich, wie Sie mit richtigem Namen heißen.“
„Meinen Glückwunsch. Da haben Sie etwas entdeckt, was Sie schon vor vier Jahren in den Campus-Infos hätten lesen können.“
„Nein! Dort steht ja nur Dr. Augustin A.Knox! Jetzt weiß ich, was das A bedeutet.“
„Schön für Sie. Also, zu Beginn ein paar Hinweise, wie …“
„Aquinas! Augustin Aquinas Knox! Mensch, Sie hatten bei der Berufswahl wohl keine Chance, was?“
„Ich bin Ihnen sehr verbunden, dass Sie den Stachel in meinem Fleisch öffentlich enthüllen. Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, diese Namenswahl geht auf das Konto meines Vaters.“ Augustin verfiel in den monotonen Bass seines Vaters. „‚Namen sind wichtig. Sie können über ein ganzes Leben entscheiden.‘“
Viele Studenten grinsten. Sie hatten Dr. Knox senior noch gehört, bevor er im vergangenen Jahr krank geworden war.
„Da stand auch, dass Sie adoptiert sind. Tut mir leid, aber es ist ja ohnehin veröffentlicht.“
„Ist auch kein Geheimnis“, sagte Augustin.
Jetzt meldete sich noch jemand. „War das ein Tipp für die Klausur? Geht es um Paulus und den Stachel in seinem Fleisch?“
„Dieses Geheimnis hat er ja in jeder Seminarstunde höchstens einmal erwähnt“, kommentierte jemand.
Augustin hob die Hand. „Sie sind sicher alle auf jede Eventualität vorbereitet.“
„Moment noch. Wie heißt denn Ihr Vater?“
„Ed!“, rief jemand. „Das weiß doch jeder.“
„Schlagen Sie nach“, bemerkte Augustin. „Vielleicht finden Sie es aufschlussreich.“
Nachdem die Klausurbögen verteilt waren, ging Augustin leise aus dem Raum und schaltete das Handy ein. Der Hilferuf aus Rom war inzwischen auf Platz drei der Anrufliste gerückt. Ganz oben war eine Sprachnachricht von Dr. Moore, dem derzeitigen Fachbereichsleiter, der für Augustins Vater eingesprungen war, als dieser einen Schlaganfall erlitten hatte und gepflegt werden musste.
Augustin hätte eigentlich zuerst diese Nachricht abhören müssen. Aber die nächste Nachricht auf der Liste war von Sofia Trikoupis, seiner Freundin. In Athen war es acht Stunden später, also jetzt schon gut fünf Uhr nachmittags. „Ruf mich an, wenn du Feierabend hast“, sagte sie. „Ich bleibe auf.“ Das würde dann bei ihr schon gegen Mitternacht sein, aber wie es schien, brauchte sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Das würde ihn den ganzen Tag nicht loslassen. Wie sehr er sich danach sehnte, mit ihr zusammen zu sein.
Das Handy vibrierte. Wieder Rom. „dringend. ruf an. bitte.“
Augustin presste die Lippen zusammen und tippte: „wer da?“
„vertrau mir. bitte.“
„nur wenn ich weiß wer anruft.“ Augustin wartete gut eine Minute auf eine Antwort, dann schnaubte er: „Wie ich vermutet habe.“ Aber als er in den Seminarraum zurückging, vibrierte das Handy wieder.
„zionist.“
Augustin blieb abrupt stehen und spürte, wie ihm die Hitze in den Nacken stieg. Rasch tippte er: „90 min, okay?
„sofort. lage kritisch.“
Nur wenige Menschen hatten in Augustins Leben eine wichtigere Rolle gespielt als Roger Michaels, der schmächtige Südafrikaner mit einer James-Earl-Jones-Stimme und einem grauen Vollbart, in dem sein blasses, zwergenhaftes Gesicht fast unterging. Augustin würde niemals eine Tour in irgendeiner antiken Stätte unternehmen, bei der Roger nicht der Guide war.
„2 min“, textete er. Hastig ging er in Richtung des früheren Büros seines Vaters. An der Tür hing noch das Namensschild von Dr. Knox senior. Augustin klopfte und trat ein. „Les, ich muss dich um einen Gefallen bitten.“
Dr. Moore ließ sich Zeit, bevor er von seinem Schriftstück aufblickte. „Erstens, Dr. Knox, habe ich Sie nicht zum Eintreten aufgefordert.“
„Tut mir leid, aber …“
„Zweitens habe ich Sie gebeten, mich mit Dr. Moore anzusprechen.“
„Ja, auch mein Fehler, aber hören Sie …“
„Und drittens“, sagte sein Vorgesetzter und studierte dabei betont genau seine Armbanduhr, „wissen wir beide, dass Sie in eben diesem Moment ein Examen …“
„Dr. Moore, ich muss einen dringenden Anruf machen – ein Notfall – und ich wollte Sie bitten, mich ein paar Minuten zu vertreten.“
Moore seufzte, erhob sich und griff nach seinem Jackett. „Ich kann mir schon vorstellen, worum es geht. Lassen Sie sich alle Zeit der Welt.“
Augustin folgte ihm den Gang entlang. „Sie wissen, worum es geht?“
„Haben Sie meine Nachricht nicht erhalten?“
„Oh, tut mir leid. Ich hab gesehen, dass Sie gemailt haben, aber …“
„Aber Sie nahmen an, andere Dinge seien wichtiger. Ich sagte ja schon: Wenn Sie Ihr erstes Examen hier abgenommen haben, müssen wir uns einmal unterhalten.“
„Selbstverständlich. Ich stehe zur Verfügung.“
„Unter anderem müssen wir über Ihren Vater reden. Betrifft Ihr Anruf ihn?“
„Was ist mit meinem Vater?“
„Wir reden nachher darüber.“
„Aber ist ihm …“
„Es gab da gewisse Entwicklungen, Dr. Knox. Aber er ist ja noch unter uns.“
Während Dr. Moore sich in den Seminarraum begab, bog Augustin ins Treppenhaus ab, das weniger Fenster hatte und ihm etwas Schutz bot – die Wetterpropheten hatten angekündigt, am frühen Nachmittag würde die Temperatur etwa zehn Grad über dem sommerlichen Durchschnitt liegen und dem bisherigen Monatsrekord von 41 Grad Konkurrenz machen.
Aber dort war der Empfang zu schlecht, also kehrte er in den Gang zurück und ging schließlich ins Freie, weil er immer noch schlechten Empfang hatte. Draußen waren sicher jetzt schon über 30 Grad. Während ihm die Sonne den Kopf verbrannte, lauschte er auf das wiederholte Signal seines Handys.
Augustin ging für einen Moment nach drinnen und genoss die Klimaanlage, bevor er es wagte, wieder ins Freie zu treten, um es erneut zu versuchen. Er wartete zwei Minuten, wählte noch zweimal und hatte dann das Gefühl, jetzt müsse er wirklich zurück in den Klausurraum.
Bei einem dritten Versuch, kurz vor der Eingangstür, wurde klar, dass jemand abgenommen und dann wieder aufgelegt hatte. Augustin wählte die Nummer noch zweimal, während er zurückging, um Dr. Moore abzulösen. Als er gerade die Tür zum Seminarraum öffnen wollte, erschien eine Nachricht.
„sorry. später. wirf dein handy in den müll. ernsthaft.“
Augustin konnte sich keinen Reim darauf machen. War das eine Fangschaltung gewesen? Oder wurde sein Handy abgehört? Wenn er sich ein neues zulegte, woher sollte Roger dann wissen, wie er zu erreichen war?
Dr. Moore stand direkt hinter der Tür und verließ den Raum, sobald er Augustin erblickte. „Haben Sie mit Ihrer Mutter gesprochen?“, fragte er.
„Nein, sollte ich?“
Moore seufzte und verdrehte die Hände. „Sie unterbrechen mich in meiner Arbeit und erkundigen sich dann nicht einmal nach Ihrem Vater?“
Augustin griff wieder zum Handy, zögerte aber dann. Würde er auch das Handy seiner Mutter gefährden, wenn er es benutzte?
„Rufen Sie sie an, sobald wir miteinander geredet haben, Dr. Knox. Jetzt muss ich wirklich zurück zu meinen eigenen Verpflichtungen.“
Augustin hielt es kaum bis zum Ende der Klausur im Seminarraum. Bevor er zu seinem Gespräch mit Dr. Moore ging, deponierte er die Klausurbögen in seinem eigenen Büro und nutzte das Festnetz, um seinen Kontakt im Theologischen Seminar von Dallas etwas weiter oben in der Straße anzurufen. Arlington selbst lag etwa in der Mitte zwischen Dallas im Osten und dem massiven Southwestern Baptist Seminar im Westen – ein Stiefkind, über das niemand sprach, ein einziges Gebäude für ein paar Hundert Studenten und im Schatten dieser beiden renommierten Institutionen immer im Kampf ums Überleben. Wenn Augustin einmal sehr schnell etwas brauchte, erhielt er es vermutlich eher bei der Konkurrenz. Wie zum Beispiel ein neues Handy.
Wie schon sein Vater war Augustin in Arlington auch das Reisebüro. Es gab kein Extrapersonal, das sich um die Logistik kümmerte, wie am Dallas und am Southwestern. Der Cheftechniker von Dallas war Biff Dyer, eine Bohnenstange von einem Kerl, ein paar Jahre älter als Augustin, mit einem Adamsapfel, der seinesgleichen suchte. Augustin konnte immer auf ihn zählen, wenn sein Handy für einen Auslandsaufenthalt umprogrammiert werden musste.
„Du rufst vom Büroapparat an, wie ich sehe“, sagte Biff. „Was ist mit dem Handy, das ich dir besorgt habe?“
„Jemand hat versucht, es abzuhören.“
Biff grinste. „Als ob du das mitkriegen würdest. Wie kommst du darauf?“
„Ich brauch ein neues. Glaub mir.“
„Ich tausche einfach die SIM-Card aus. Wann brauchst du’s?“
„Möglichst schnell.“
„Warum überrascht mich das jetzt nicht? Ich bring’s dir aber nicht auch noch vorbei. Kannst du zu normalen Zeiten vorbeikommen?“
Es klopfte an Augustins Tür und er verrenkte sich, um in das mürrische Gesicht von Les Moore zu sehen. „Ich muss los, Biff.“
„Sorry, Les. Bin schon unterwegs. Oder wollen wir uns hier unterhalten?“
„Das wäre nicht weniger angemessen als Ihr Beharren darauf, mich mit Vornamen anzusprechen“, sagte Dr. Moore und ließ seinen Blick durch den winzigen Raum schweifen, in dem ein Stuhl für Besucher in der Ecke stand und offensichtlich nur im Notfall benutzt wurde.
„Ach, kommen Sie schon, Les. Sie waren doch nur ein paar Jährchen über mir. Wir haben doch auch etliches zusammen unternommen.“
„Kaum. Sie haben die meiste Zeit im Stadion verbracht mit den – na – vielleicht sechs anderen Sportfanatikern, die sich da immer einfanden.“
Es stimmte. Und jeder wusste, dass der Ort, an dem man Les Moore garantiert fand, die Bibliothek war.
Augustin sah auf die Uhr. Die nächste Abschlussklausur war um elf. Er folgte seinem Interims-Boss in das frühere Büro seines Vaters. Es war nicht sehr viel größer als seines, aber wenigstens stand der Besucherstuhl nicht im Weg.
„Sollen wir mit meinem Vater beginnen?“, schlug Augustin vor, als sie sich gesetzt hatten.
„Ich hätte gedacht, Sie hätten inzwischen mit Ihrer Mutter gesprochen, aber nun gut. Sie rief heute Morgen an, weil Sie wusste, dass Sie im Examen sein würden. Ihr Vater ist ins Koma gefallen.“
Augustin nickte langsam. „Ist sie okay?“
„Ihre Mutter? Ja, sicher. Sie war nicht außer sich oder so etwas. Sie dachte nur, Sie möchten ihn heute Nachmittag vielleicht besuchen.“
„Danke.“
„Nun, Dr. Knox, ich habe hier einige Papiere, die Sie bitte unterschreiben wollen. Offen gesagt ist es keine erfreuliche Sache. Aber man erwartet hier von uns, dass wir als Teamplayer unterwegs sind, und ich will also annehmen, dass Sie den administrativen Wünschen entsprechen werden.“
„Worum geht es denn?“
„Sie sollen den Sommerkurs in Homiletik übernehmen. Er startet vier Tage nach Beginn des Sommertrimesters.“
„Ja, das wäre heute in einer Woche.“
„Und wir haben dafür dieses Gehalt vereinbart, ist das richtig?“
Warum Les es für nötig hielt, die Summe auf die Rückseite einer Visitenkarte zu schreiben und ihm mit dramatischer Geste hinüberzuschieben, blieb Augustin ein Rätsel.
„Hmhm. Das ist genau das Vermögen, mit dem ich mit vierzig in den Ruhestand gehen kann.“
„Spaßvogel. Es ist meine unangenehme Pflicht, Sie zu bitten, den Kurs auch für zwei Drittel dieses Betrags zu halten.“
„Das meinen Sie im Ernst?“
„Ich meine es immer ernst.“
Das allerdings stand fest.
„Les – Dr. Moore, Sie wissen ja, dass wir diese Kurse bereits jetzt als eine Gefälligkeit für das Seminar halten. Und jetzt sollen wir das ernsthaft für noch weniger Geld tun?“
„Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen.“
„Ich kann auch ablehnen?“
„Wir werden nicht darauf bestehen, dass Sie den Kurs halten, wenn wir selbst unsere Vereinbarung nicht erfüllen können.“
„Gut. Ich glaube nämlich nicht, dass ich es für diese Summe tun kann.“
„Ich werde Ihre Entscheidung weitergeben. Wir sind dann vermutlich gezwungen, auf eine außerordentliche Lehrkraft …“
„Wie diesen Jugendpastor von Arlington Bible …“
„Er ist graduiert, Dr. Knox.“
„Das weiß ich. Ich habe ihn ja selbst unterrichtet. Ein famoser Kerl. Aber Homiletik war nun wirklich nicht seine Stärke und es gibt auch gute Gründe dafür, dass sie ihn nur ein paarmal im Jahr predigen lassen.“
„Er wird sich glücklich schätzen, den Kurs für dieses Gehalt zu übernehmen. Wahrscheinlich sogar für noch weniger.“
„Und die Studenten müssen es ausbaden.“
Les legte den Kopf schief. „Natürlich hätten wir lieber Sie gehabt …“
Augustin angelte nach seinem Kugelschreiber und winkte Les, ihm die Dokumente zu reichen.
„Freut mich, dass ich auf Sie zählen kann, Dr. Knox. Nun, wo wir schon dabei sind, es gibt da noch etwas. Sie sollten ja eigentlich mit Beginn des Herbsttrimesters eine Gehaltserhöhung von vier Prozent erhalten.“
„Lassen Sie mich raten: Die hat sich vermutlich auch erledigt?“
„Schlimmer.“
„Wieso? Geht es jetzt um eine vierprozentige Kürzung?“
„Wenn es nur so wäre.“
„Oh, nein.“
„Dr. Knox, wir beobachten einen alarmierenden Rückgang der Studentenzahlen und die Verwaltung erwartet für den Herbst eine Einschreibungsquote, die uns ins Minus treiben wird, selbst bei massiven Budgetkürzungen. Wir sind alle gefragt, eine Gehaltsreduzierung von zwanzig Prozent zu akzeptieren.“
Augustin sackte zusammen. „Les, ich will im Herbst heiraten. Hatte ich zumindest gehofft. Ich kann jetzt schon kaum die Miete für mein Häuschen aufbringen.“
„Es betriff das gesamte Kollegium, Dr. Knox. Den Präsidenten, den Dekan, die Fachbereichsleiter, alle. In manchen Bereichen wird es auch Stellenstreichungen geben. Das Budget für die lau fenden Kosten wird halbiert und jeder von uns muss eben aushelfen, so gut es geht.“
Arlington hatte jahrzehntelang finanziell immer auf dünnem Eis operiert, aber diesmal war es wirklich ernst. „Seien Sie bitte ganz offen, Dr. Moore. Ist das jetzt der Anfang vom Ende? Sollte ich vielleicht doch die Angebote von Dallas annehmen, die ich immer wieder bekommen habe?“
„Oh, nein. Die Treuhänder wollen, dass wir die Krise meistern, mit doppeltem Einsatz unsere spezifischen Qualitäten vermarkten, und sie versprechen, den Gehaltsverzicht sobald wie möglich mehr als auszugleichen. Außerdem: Ihr Vater hat sein Leben lang kein gutes Haar an Dallas und Southwestern gelassen. Sie würden es ihm doch nicht antun wollen, dorthin zu wechseln, oder?“
„Er hat an nichts und niemand ein gutes Haar gelassen, Les. Das wissen Sie sehr gut.“
„Er war kein sehr umgänglicher Mensch. Mit Verlaub.“
Augustin zuckte die Schultern. „Sie haben für ihn gearbeitet. Ich habe mit ihm gelebt.“
„Wissen Sie, dass ich kein einziges Wort von Ihrem Vater mehr gehört habe, seitdem man mich gebeten hat, vorübergehend seinen Platz einzunehmen? Kein Hinweis, kein guter Rat, keine Information, kein bisschen Ermutigung. Nichts. Ich nahm an, er sei verärgert, dass man Sie nicht gefragt hatte …“
Das brachte Augustin zum Lachen. „Für ihn bin ich noch immer ein Highschool-Kid. Vergessen Sie meine akademischen Titel. Aber nein – ich wollte seinen Job, oder Ihren, gar nicht haben. Das entspricht mir nicht.“
„Das weiß ich nur zu gut. Ich meine, Sie sind einfach nicht der typische Professor. Und schon gar kein Fachbereichsleiter.“
„Das lässt sich nicht bestreiten.“
Augustin konnte nicht gewinnen. Er war zwar im College und am theologischen Seminar immer unter den Besten gewesen, aber er war eben auch seit Highschool-Zeiten ein Sportfanatiker gewesen, hatte Basketball und Football gespielt und sich ausgiebig für die sportlichen Großereignisse interessiert, sodass er unter echten Akademikern ein Außenseiter blieb. Man hatte ihn ein paarmal zu oft gefragt, ob er nur deswegen akademischer Lehrer geworden war, weil sein Vater es so wollte.
Dr. Moore schob den neuen Arbeitsvertrag über den Schreibtisch.
„Sorry, Les, aber darüber muss ich erst noch nachdenken. Und beten.“
Sein Vorgesetzter erstarrte. „Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit. Wenn der Eindruck entsteht, man könne im Herbst nicht auf Sie zählen, erinnert man sich vielleicht daran, dass viele andere in der gegenwärtigen Wirtschaftslage nur zu gern Ihre Stelle einnehmen würden.“
„Ja, das würde uns sicher voranbringen. Die Fakultät mit lauter jungen Hilfspfarrern zu besetzen.“
„Höre ich im Lauf des Tages von Ihnen?“
„Wohl kaum. Aber Sie werden als Erster erfahren, wie ich mich entschieden habe.“
Zurück in seinem Büro nahm Augustin die SIM-Karte aus seinem Handy und steckte sie in eine eigene Hülle. Er telefonierte per Festnetz mit seiner Mutter und versicherte ihr, er werde sie am Spätnachmittag im Krankenhaus sehen. Dann rief er Biff an, um seinen Besuch auf dem Heimweg anzukündigen.
„Was ist denn eigentlich so dramatisch?“, fragte Biff.
„Roger Michaels steckt in irgendeinem Schlamassel.“
„Erzähl’s mir, wenn du kommst.“
Während der Elf-Uhr-Klausur rief man Augustin wegen eines Notfall-Anrufs in die Verwaltung. Unterwegs schaute er bei Les rein, um zu fragen, ob der noch einmal für ihn einspringen könnte, aber das Büro war dunkel. Die Examensklausur würde ein paar Minuten ohne Aufsicht auskommen müssen.
„Wissen Sie, woher der Anruf kommt?“, fragte er das Mädchen, das ihn geholt hatte. Wenn es seine Mutter war …
„Jemand aus Griechenland.“
Schließlich hatte er das Telefon erreicht und stellte fest, dass es Sofia war. „Ich dachte, ich sollte dich später anrufen, Cherie. Alles in Ordnung?“
„Roger versucht wie der Teufel, dich zu erreichen.“
„Ich weiß. Er …“
„Er hat mir eine neue Nummer gegeben und du sollst ihn unbedingt sofort anrufen, aber nicht von deinem Handy.“ Sie las ihm die Nummer vor.
„Hast du irgendeine Ahnung, was los ist, Sof?“, fragte Augustin, während er die Nummer hinkritzelte. „Das sieht ihm so gar nicht ähnlich.“
„Nein, ich weiß nicht, Augustin. Aber er klang zutiefst verstört.“
„Klingt auch gar nicht nach ihm.“
„Du kannst mir später sagen, was los ist, aber jetzt solltest du ihn wirklich sofort anrufen.“
Augustin rannte geradezu in sein Büro und wählte die Nummer in Rom. Es läutete sechs Mal, bevor Roger abnahm. „Augustin?“
„Ja! Was …“
„Hör gut zu. Ich habe nur ein paar Sekunden. Ich brauche dich in Rom, so schnell du kommen kannst.“
„Rog, was ist denn passiert? Das ist der absolut ungeeignetste Zeitpunkt für mich, um nach …“
„Gib Sofia deine neue Handy-Nummer und simse mir deine Ankunftszeit. Ich gebe dir eine Nummer, unter der du mich von Fiumicino aus erreichen kannst, sobald du gelandet bist.“
„Ich weiß nicht, wann ich da sein könnte, Rog. Hör mal, ich muss …“
„Augustin! Es geht um Leben oder Tod. Sonst würde ich nicht fragen, das weißt du.“