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8 Timotheus

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Rom im ersten Jahrhundert nach Christus

Noch drei Wochen lang, nachdem das Feuer in der Stadt endlich weitgehend gelöscht war, hatte Lukas viel Zeit damit verbracht, sich um Verwundete und Sterbende zu kümmern. Die Mutter von Primus Paternius Panthera hatte sich so weit erholt, dass er überzeugt war, sie würde noch etliche gesunde Jahre erleben. Ein dankbarer Panthera versicherte Lukas, er könne die Kammer oben so lange nutzen, wie er sie brauchte.

„Wirst du in Rom bleiben, wenn dein Freund … hm, uns verlassen hat?“

Lukas wollte nicht darüber sprechen, dass er von der Gemeinde in Rom und allen, die Paulus aus Angst vor dem Kaiser im Stich gelassen hatten, enttäuscht war. Neros Bösartigkeiten gegenüber den Christen waren stadtbekannt. Aber waren sie nicht berufen, für das Evangelium einzutreten, notfalls sogar bis zum Tod?

Lukas antwortete Panthera nur, er wisse noch nicht, was er tun werde. „Höchstwahrscheinlich werde ich nach Ephesus zurückkehren, oder irgendwo anders hin, wo die Gemeinde noch stark und intakt ist. Für den Augenblick hat Gott mich, glaube ich, nach Rom gerufen. Hier will ich, wie Paulus einmal sagte, ein lebendiges Opfer sein, das Gott gefällt. Er spricht ja von seinem Tod auch als einem Opfer. Solch einen Glauben zu haben wie er, das wäre …“

Panthera sah verlegen aus und Lukas fragte sich, ob er zu viel gesagt hatte. Aber der Kerkerwächter sagte: „Paulus beeindruckt mich. Bei diesem Urteil so viel Zuversicht zu haben …“

„Weißt du eigentlich, was er so unermüdlich verkündet?“, fragte Lukas. „Vermutlich hast du ihn jetzt schon oft genug gehört, um es auswendig zu wissen.“

Primus schaute zur Seite und Lukas schloss daraus, dass er – wie alle Wachen, die in die Nähe von Paulus’ Verlies kamen –, gehört hatte, wie der Gefangene, vom Boden eines schwarzen Loches aus und an eine Wand gekettet, in dringlichem Tonfall versucht hatte, sich Gehör zu verschaffen. „Von Kind auf hat man mich gelehrt, die Götter zu ehren“, sagte er.

„Paulus verehrt den einzigen wahren Gott.“

Primus nickte. „Das macht er mehr als klar und es steht außer Frage, dass er das glaubt. Schon das macht ihn bewundernswert.“

„Aber nicht glaubwürdig?“

Primus studierte die Decke.

„Panthera“, fragte Lukas leise. „Darf ich dich etwas fragen?“

Als der andere nicht reagierte, fuhr er fort: „Deine Götter … lieben sie dich? Vergeben sie dir? Würden sie für dich ihr Leben geben?“

Primus trat von einem Fuß auf den anderen. „Es heißt, sie erschufen die Welt und wachen jetzt über die Angelegenheiten der Menschen.“

„Sag mir, mein Freund: Woher weißt du, dass es diese Götter gibt? Existieren sie wirklich?“

„Wie kann man das wissen? Ich glaube, es gibt sie, wenn man an sie glaubt.“

Lukas legte den Kopf schief und hob die Augenbrauen. „Dann gibt es sie also nicht, wenn man nicht an sie glaubt?“

Primus seufzte und zuckte die Schultern. „Du bist zu gewitzt für mich, Medicus. Lass mir einfach meinen Glauben.“

„Oh, dafür liegt mir zu viel an dir“, seufzte Lukas, aber Primus’ Blick sagte ihm, dass ihr Gespräch zu Ende war.

Nach seinem Besuch im Gefängnis machte Lukas an diesem Abend auf dem Rückweg zu Panthera in einer Taverne Halt, um einen Becher Wein zu trinken. Der Besitzer kannte ihn von seiner Tätigkeit bei den Verletzten und Sterbenden und sprach ihn an. „Heute hat ein Mann nach dir gefragt. Ich habe ihm gesagt, ich wisse nicht, wo du wohnst.“

„Ein gepflegter Mann, dunkle Augen, etwa fünfzig Jahre?“

„Das ist der Mann. Trug einen großen Lederbeutel. Und müde von der Reise sah er aus. Ich hab ihn zu Flavia geschickt.“

„Oh, wirklich, Mann.“

Der Wirt zuckte die Achseln. „Es gibt nicht viel anderes.“

Flavia Sabina war die Witwe eines Senators, der ihr ein recht großes Haus hinterlassen hatte, das sie mittlerweile in etwas verwandelt hatte, was einem Bordell sehr nahekam. Das früher stattliche Gebäude war inzwischen zu einer Reihe schäbiger kleiner Räume verfallen, die stundenweise oder für eine Nacht oder Woche vermietet wurden. Die Besitzerin fragte nicht danach, wer da abstieg oder wie lange, ganz zu schweigen davon, was jemand sonst noch trieb, solange er nur zahlte, und zwar im Voraus.

Lukas fand sie untätig im schmuddeligen Empfangsraum des Etablissements. „Nur noch wenige Zimmer frei“, sagte sie. „Sehr billig.“

Lukas fragte, ob sie an einen Timotheus aus Ephesus vermietet habe.

„Woher soll ich das wissen?“, sagte sie. „Namen und Städte bedeuten mir gar nichts.“

Lukas beschrieb ihn.

„Oben, letzter Raum links“, sagte sie. „Wenn du bei ihm übernachtest, kostet das extra.“

Lukas versicherte, dass er das nicht vorhabe, und eilte die Treppe hinauf. Er klopfte an eine dicke Holztür, die beim Öffnen knarrte.

„Wer kommt?“, erklang es im Flüsterton.

„Dein Freund, Timotheus!“

Die Tür schwang auf und gab einen winzigen Raum frei, den eine trübe Lampe erhellte. Ihr Schein beleuchtete das zerzauste Haar von Timotheus. Er schloss Lukas ungestüm in die Arme und hob den älteren Freund dabei vom Boden hoch. „Wie rasch kann ich Paulus sehen?“

„Morgen Abend. Aber wo ist Markus?“

„Er ist unterwegs. Kommt von Troas und bringt die Bücher und Schriftrollen für Paulus mit. In spätestens einer Woche müsste er hier sein.“

„Nicht du hast die Pergamentrollen mitgebracht?“

Timotheus wies auf das Bett, damit Lukas sich setzte. Er als der Jüngere hockte sich auf den Boden. „Ich bin nur an den Mantel herangekommen. Es gab widersprüchliche Berichte darüber, wo Paulus seine Dokumente aufbewahrt hat, und Markus sucht jetzt selbst nach ihnen. Ich kann nicht bleiben, bis er hier ankommt. Ich muss auf dem Rückweg die Brüder in Korinth besuchen.“

„Das liegt nicht gerade am Weg.“

„Ich muss trotzdem hinreisen.“

„Paulus wird sich freuen, das zu hören.“

„Ich kann es kaum erwarten.“

„Paulus auch nicht.“

„Werde ich Schwierigkeiten kriegen, wenn ich zu ihm will?“ Lukas erzählte ihm von seiner Bekanntschaft mit Panthera. „Wir frühstücken morgen bei ihm.“

Timotheus stand auf und grub in seinem Ledersack nach Paulus’ Mantel. Lukas befühlte den Stoff. Er erinnerte sich gut daran. Er war dick, weich und warm, ein Geschenk der Gemeinde in Troas. Römische Soldaten hatten Paulus so rasch von dort weggezerrt, dass ihm keine Zeit geblieben war, nach dem Mantel zu greifen. Schon auf dem Schiff hatte er ihn vermisst, so hatte er Lukas berichtet, und das galt erst recht für das kalte Verlies. Der Kerker mochte tagsüber erstickend heiß sein, nachts war es dort frostig kalt.

Als sie am nächsten Morgen nach dem Frühstück das Haus verließen, wollte Lukas Primus Panthera eine Münze zustecken – „für den zusätzlichen Gast“ –, aber dessen Frau trat rasch dazwischen. „Ihr seid Freunde, Medicus.“

An diesem Tag begleitete Timotheus Lukas auf seinen Gängen, holte Wasser, half ihm, Patienten zu lagern, und erledigte kleinere Aufträge für ihn. Als die Sonne schließlich sank, machten sich beide auf den Weg zum Gefängnis. Unterwegs nahmen sie sich Zeit, etwas zu essen und noch ein paar Lebensmittel für Paulus und Primus zu kaufen.

Primus stand mit einigen anderen Wachen zusammen, die den Weg frei machten, als Lukas und Timotheus näher kamen. „Du hast also deinen Assistenten mitgebracht!“, rief Primus ihm entgegen.

„So ist es“, gab Lukas zurück.

Die drei passierten das Außentor und gingen zum Inneneingang, von wo aus Primus sie an einigen weiteren Wachen vorbei und den langen Gang mit den schrecklich überfüllten Zellen entlangführte. Lukas hatte nicht daran gedacht, Timotheus darauf vorzubereiten, was ihn erwartete. Er hörte, wie der Jüngere nach Luft schnappte, während sie auf die Bodenöffnung zueilten, die in das Verlies führte.

Die Wachen, die dort postiert waren, erwachten plötzlich zum Leben und warfen sich in Positur, als Primus und die Besucher herankamen. „Diese beiden haben Erlaubnis, den Verurteilten zu besuchen“, verkündete er.

„Von wem?“

„Von der Wache am Haupttor“, sagte Primus gleichmütig, aber ernst. Die anderen traten zurück.

„Würdest du meinem Assistenten helfen, wenn ich unten bin?“, flüsterte Lukas, während er sich anschickte, sich hinunterzulassen.

„Ich helfe euch beiden“, sagte Primus und bot seinen muskulösen Arm als Halt an. Lukas ergriff ihn mit beiden Händen und ließ sich in die schwarze Zelle hinab.

„Lukas!“, hörte er, als Paulus sich aufsetzte. Die Kette klirrte.

Lukas entzündete die Lampe. „Ich habe eine Überraschung für dich. Dein Mantel ist gekommen.“

„Mach dich nicht über mich lustig, Lukas.“

Der Arzt setzte sich neben Paulus auf den Steinabsatz und wies nach oben zur Deckenöffnung. Der alte Mann blinzelte und fuhr dann hoch, als – plopp – eine große Tasche durch die Öffnung herabfiel, der ein Paar baumelnde Füße folgten.

„Sind meine Freunde da?“, fragte Paulus heiser.

„Einer jedenfalls“, sagte Lukas, während Timotheus jetzt vollständig erschien.

Paulus stand da und wollte an den jüngeren Mann herantreten, aber die Kette erreichte rasch ihre Grenze, und Lukas sprang rasch vor, um Paulus aufzufangen, der sonst gefallen wäre.

„Timotheus, mein Sohn! Komm, komm näher!“

Sie umarmten sich und Paulus drückte sein tränenüberströmtes Gesicht an die Brust des größeren Timotheus. „Ich wusste, dass du kommen würdest! Ich wusste es! Und Markus?“

„Vielleicht in einer Woche“, sagte Timotheus und seine Stimme klang rau.

„Wunderbar! Und du hast meine Sachen mitgebracht?“

„Nur den Mantel, Paulus. Markus wird hoffentlich alles andere mitbringen.“

Paulus trat ein wenig zurück und sah erst Timotheus, dann Lukas in die Augen.

„Die Pergamentrollen …“

„Wir wissen schon“, sagte Timotheus, grub in seinem Ledersack nach dem Mantel und legte ihn dem alten Mann um die Schultern. Paulus summte vor Behagen, während er sich zurück auf die Steinstufe tastete. Lukas war zum wiederholten Mal erschrocken, wie dünn Paulus geworden war.

„Timotheus, mein Sohn“, sagte Paulus, „komm, setz dich hier zu mir. Erzähle – wie geht es bei den Brüdern?“

Ich, Saulus

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