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Wandergesellen-Shitstorm –
»Das brummt nicht«

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Es kommt dann doch noch anders. Während sich meine Idee der Wortwalz in virtuellen Netzwerken und sozialen Medien rasant verbreitet, braucht es ein wenig Zeit, bis die ersten Wandergesellen auf der Straße davon Wind bekommen. Und die fühlen sich offenbar auf den Schlips getreten, im Wortsinn. Mehrere Reisende hatten mich vorher gewarnt. Auch Sarah hatte mir geschrieben: »Habe noch mal über deine Idee, deine Reise Wortwalz zu nennen, nachgedacht. Dass du es auf keinen Fall Walz nennen solltest, bei dieser Meinung bleibe ich! Das Konfliktpotential ist zu groß. Wenn du herausfindest, was die Walz bedeutet, wirst du verstehen, warum dieses Wort deinem Vorhaben in keinster Weise gerecht wird!« Ich denke lange nach. Und werde bockig. Ich halte mich an die Empfehlung, keine Kluft zu tragen, aber den Namen des Projekts, den kann und will ich jetzt nicht mehr ändern. Ich bin keine Wandergesellin, gebe mich auch nicht als eine aus.

Dann klingelt mein Telefon: »Moin, hier ist ein Tischlergeselle, wenn du Jessica bist, müssen wir mal reden. Der Schnack auf der Straße läuft gerade nicht gut für dich.« Oha, denke ich mir. Eine Stunde lang telefoniere ich mit dem Gesellen. Er mache sich ein bisschen Sorgen, ob ich da wirklich jedes Fettnäpfchen am Straßenrand mitnehmen will. Geduldig erklärt er mir, was ihn an meiner Idee störe: Ich erwecke den Eindruck, ich wolle in der traditionellen Kluft auf die Straße. Ich solle im Untertitel der Website die Formulierung »Gesellenwanderung durch den Lokaljournalismus« ändern. Ich solle unbedingt in einer Zeichnung von Wandergesellen, die ich auf meiner Internetseite verwende, den Schlips wegretuschieren, der eine falsche Assoziation wecken würde. In welches Wespennest habe ich da bloß gestochen?

Dann geht es auf Facebook weiter: Dort postet ein Wandergeselle eine Art Fahndungsfoto von mir und sagt, man solle mich nach Hause schicken, wenn man mich auf der Straße treffe. In seinem Slang heißt das: »Brummt nicht! Primme in deinen Harz und bleib da … oder geh als Backpacker los! Aber vergewaltige nicht das Wort Walz und die alte Tradition, die wir Handwerksgesellen täglich leben. Drei Jahre lang. Du wirst nie verstehen, was das bedeutet.« Eine Wandergesellin schreibt mir: »Wir hassen Trittbrettfahrer. Denkt euch doch euer eigenes Ding aus, du kannst doch Praktika machen, wie es sich für Bürogummis gehört!« Ich sitze still am Laptop und komme ins Grübeln. Ich bin noch gar nicht losgelaufen und schon gibt es Leute, die sagen: Eine Journalistin hat auf der Straße nichts verloren. Manche befürchten, ich würde als eine Art verkleidete Reisereporterin ihrer lang gehüteten Tradition schaden. Es gebe gute Gründe, warum nicht einfach jeder Hans-Wurst auf die Walz gehen kann. Man müsse ein Handwerk gelernt haben und einen Gesellenbrief haben.

Aber ich muss auch lachen, denn ich frage mich: »Warum meckern die denn ausgerechnet auf Facebook rum?« Ist doch eine Farce, dass sich die Konservativen unter den Wandergesellen ausgerechnet im digitalen Massenmedium Nummer eins beklagen. Jene, die um den Erhalt ihrer Tradition fürchten, haben sie doch schon längst selbst untergraben. Indem sie vorm Computer rumhängen und mir Drohgebärden schicken. Und wie traditionell ist die Tradition denn heutzutage wirklich? Stehen die Gesellen etwa beim Trampen an der Autobahn und warten auf eine Pferdekutsche? Natürlich bin ich eine Zumutung – aber dass Reporter reisen, ist nicht neu. Schon 1931 ging ein Journalist auf Tippelei und schrieb ein Buch, das heute nur noch antiquarisch erhältlich ist. In Servus Kumpel beschreibt Paul Ettighoffer, Jahrgang 1896, in altdeutscher Schrift die »Tippelabenteuer eines warmherzigen Reporters, der nicht mit Kleinauto und dickgefüllter Brieftasche die Romantik der Landstraße gesucht hat, sondern selbst in schäbiger Kluft, ohne Kragen und Geld als richtiger Kumpel mit den Zünftigen an Rhein und Mosel gewandert ist«. Ein Bruder im Geiste.

Letztlich nehme ich das Ganze mit Humor. Denn während einige mir ein Bein stellen wollen, bevor ich überhaupt losgelaufen bin, komme ich auf diese Weise auch in Kontakt mit vielen Wandergesellen, die mir mehr von der Tradition des Reisens erzählen. Ein älterer Tischler, der früher auf der Walz war, schreibt mir eine Nachricht: »Ich weiß, wie schwierig das Leben auf der Straße sein kann, deinen Berichten nach zu urteilen hast du dich schon sehr gut in Gesellenkreisen informiert, wahrscheinlich bist du aber auch nicht immer auf Wohlwollen gestoßen. Es existiert eine gewisse Reserviertheit der Presse gegenüber, daher möchte ich dich darin bestärken, dich nicht von intoleranten zünftig Reisenden entmutigen zu lassen und dein Ding so durchzuführen. Auch das Schreiben ist ein ehrbares Handwerk genauso wie Zahntechniker oder Blechblasinstrumentenbauer, genau diese Vielfalt macht das reisende Volk aus.« Ich seufze. Der Tischler lädt mich auf seinen Hof in Norddeutschland ein, dort wartet jetzt ein Bauwagen auf mich. Keiner kann mir verbieten auf die Straße zu ziehen. Freiheit ist für alle da.

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