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Eine tiefgreifende bleibende Veränderung?

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Ich denke, dass eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung durchaus möglich ist. Zumal diese Corona-Zeit nun schon so lange dauert. Wären die Corona-Maßnahmen bereits vor dem Sommer 2020 aufgehoben worden, dann wären wir alle einfach wieder in unsere alte Normalität zurückgekehrt. Da nun jedoch schon viele Menschen über einen langen Zeitraum diesen zweiten Kulturschock durchleben, ist Veränderung unvermeidlich. Doch … nicht jede Veränderung ist positiv. Der Schaden in der Wirtschaft und in Bereichen wie dem Hotel-, Gaststätten- und Veranstaltungsgewerbe sowie der Kunst ist enorm. Kinder und Jugendliche können im Moment nicht optimal unterrichtet werden, Schwächere in der Gesellschaft werden zusätzlich getroffen und die Auswirkungen all der Maßnahmen in anderen Teilen der Welt haben enorme Armut zur Folge – um nur einige Dinge zu nennen. Zugleich erleben wir während dieses zweiten Schocks der Veränderungsphase, dass fundamentale Entscheidungen getroffen werden können und radikale Umgestaltung möglich wird. Denn es gab in unserer alten Normalität durchaus einige Dinge, mit denen wir uns schon länger herumgeschlagen haben, beispielsweise die Klimakrise, das Gesundheitssystem, der Mangel an Lehrkräften, Finanzströme, CO2-Emissionen, das Verhältnis zwischen Arm und Reich … Wir leben in einer spannenden Zeit voller widersprüchlicher Ideen, Interessen und Konflikten. Je besser wir damit umgehen, desto mehr Vorteile können wir aus diesen verwirrenden Zeiten ziehen. Das erfordert von allen gute persönliche Führung, um miteinander und mit uns selbst in Kontakt zu bleiben und nicht in Vorwürfen, Angriffen oder Schlimmerem zu versanden. Die Summe aller individuellen Entscheidungen kann eine großartige Kulturveränderung hervorbringen. Dabei zählt, was jede einzelne Person sagt, denkt und tut.

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In dieser zweiten Welle verlässt mich manchmal der Mut. Manchmal weiß ich wirklich nicht, wie ich mich aus meinem Wohnzimmer in mein Rumpelkammer-Arbeitszimmerchen schleppen soll. Das endet dann schon mal mit einem Tag Netflix. Damit bin ich sicher nicht allein, deshalb habe ich meinen Teamleiter gefragt, ob ich mit einem Kumpel arbeiten kann, am besten mit jemandem, der nicht so nahe an meinem eigenen Arbeitsgebiet dran ist, mit dem ich gemeinsam durch die Woche gehe. – Erfahrung aus dem Feld

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Manche sprechen davon, dass sie »bleibend gezeichnet« oder »sozial gescheitert« aus dieser Corona-Zeit hervorgehen werden. Ich möchte hier gern positivere Begriffe verwenden, ausgehend von der Idee: Wie können wir den Schaden begrenzen und den Raum, der sich jetzt für Veränderungen öffnet, für diverse notwendige Transformationen nutzen? Eben weil in der alten Normalität nicht alles normal, geschweige denn perfekt war. Wenn wir genau jetzt mit Expert:innen, Sachverständigen und wichtigen entscheidungsbefugten Personen aufrichtige Gespräch führen, in denen alle bereit sind, sich darauf einzulassen und ihre Meinung zu ändern, können wir als Gesellschaft in der Lage sein, die Welt mit anderen Augen zu sehen und möglicherweise einschneidende Veränderungen unserer alten Normalität herbeiführen. Dann kann diese außergewöhnliche Zeit eine wahrhaft neue Normalität hervorbringen. Wenn es nach mir geht, inklusiver und nachhaltiger, doch das ist eine Meinung und ein Ideal und nicht Thema dieses Buchs. Hier liegt der Fokus auf den Auswirkungen dieser Zeit auf unsere Arbeitskulturen.


Tipps, um diesen zweiten Kulturschock zu überstehen:

Schaffen Sie Raum für gute Gespräche. Mit sich selbst und mit anderen. Es ist an der Zeit, einige alte menschliche Tugenden neu zu würdigen: Zweifel, Bescheidenheit, Stille und Mut. Unannehmlichkeiten veranlassen Sie zum Denken und führen zu neuem Wissen. Sicherheit findet man nun, wenn man die Stille zulässt, wenn man zweifelt und Fragezeichen hinter alte Annahmen setzt. Indem man Zwischenlösungen mit Bescheidenheit begegnet. Antworten auf grundlegende Fragen müssen reifen und entstehen in der Stille zwischen den Meinungen. Dieser zweite Schock ist eine magische und außergewöhnliche Zeit, der man nicht mit Spreadsheets und Zielvorgaben begegnen kann. Schaffen Sie Rituale, um diese außergewöhnlichen Gespräche und Überlegungen von der täglichen Realität, die einfach blindlings weiterrast, zu trennen. Denn tun Sie das nicht, so wird Ihr Stresspegel steigen und Sie werden schlechter schlafen, weil Sie den Gesprächen mit sich selbst einfach nicht entkommen können. Lernen Sie, handfest zu zweifeln, um nicht in Verzweiflung und Grübelei zu versinken. Und finden Sie den Mut, neue Überzeugungen zuzulassen und die Welt wirklich zu verändern, in Haltung, Verhalten, Prozessen und Gesetzen – für jetzt und später. Durch die sich verändernden Maßnahmen werden wir immer wieder aufs Neue gefordert, unser Verhalten anzupassen. So schlingern wir fortwährend zwischen dem ersten und dem zweiten Schock hin und her, und das ist aufreibend und frustrierend. Das verursacht viel unbeherrschte Reaktionen durch anhaltenden Stress und eine kollektive Ermüdung aufgrund zerstörter Routinen, Unklarheit und wenig Aussicht auf ein Ende. Das wachsende Wissen über das Virus führt dazu, dass frühere Annahmen angepasst werden müssen. Es kursieren viele sich widersprechende Meldungen, wobei einer den anderen des Verschwörungsdenkens bezichtigt. Welchen Fachleuten kann man glauben? Welchen Wert haben die Richtlinien? Viele Menschen erleben in dieser Periode Frustration, Unverständnis, Einsamkeit, Heimweh, Neid auf den anderen, Kummer, Irritation, Angst und Ohnmacht. Einer Minderheit geht es richtig gut, doch sie traut sich beinahe nicht, das laut auszusprechen. Worauf es nun ankommt, ist die Vitalität, Spannkraft, Geduld und das Durchhaltevermögen aller. Gepaart mit dem Bedürfnis nach klarer und menschlicher Führung.


Die Arbeit hat das Gebäude verlassen

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