Читать книгу Die Arbeit hat das Gebäude verlassen - Jitske Kramer - Страница 28

Eine Begleitung erfordert, genau hinzuschauen, wo sich jemand befindet, und gezielt die Unterstützung anzubieten, die benötigt wird. Dieses Kulturschock-Modell beschreibt die Phasen, die jemand durchläuft, gibt jedoch nicht vor, dass man so schnell wie möglich von der einen Phase in die andere wechseln muss. Es handelt sich nicht um einen Wettbewerb! Die eine Phase ist nicht besser als die andere, es unterscheiden sich lediglich die Unsicherheiten und die Art des Lernens. Fragen Sie, was sie oder er braucht, um mehr Halt und Sicherheit zu erfahren, um wenigstens wieder etwas moralischen Mut zu fassen. Im ersten Kulturschock werden die Bedürfnisse sich mehr um praktische Dinge drehen, z. B. das Erlernen der (digitalen) Sprache und dem Tag einen Rhythmus zu geben. In der zweiten Phase geht es eher darum, wie Menschen mit diesen Veränderungen umgehen. Fragen Sie danach. Sprechen Sie mit den Menschen darüber, was die aktuelle Situation für sie bedeutet, was sie als wichtig erleben, was sie vermissen, worauf sie hoffen, was sie bereits gelernt haben. In Kapitel 8 beschreibe ich, welche Art von Führung und Unterstützung aus anthropologischer Sicht in dieser Phase gebraucht wird.

Wir wissen nicht, wie lange all das noch dauern wird, aber vielleicht erreichen wir einen Punkt, an dem uns alle Corona-Maßnahmen so vertraut sind, dass wir uns mental und physisch damit wohl fühlen und eigentlich nichts anderes mehr wollen. Ich habe zum Beispiel von einer Hochschule gehört, die vor dem Sommer ihre Türen von 10:30–15:30 Uhr geöffnet hatte, um auf jeden Fall wieder praxisorientierte Ausbildung zu ermöglichen, ohne dabei den ÖPNV zu seinen Spitzenzeiten zu belasten. Als im September 2020 wieder Präsenzunterricht möglich war, war niemand allzu erpicht darauf. Endlich war in all die Hektik etwas Ruhe eingekehrt und der neue Rhythmus angenehm. Die Zeit wird zeigen, ob sich das je wieder ändern wird. Menschen formen zusammen Kulturen und Kulturen ihrerseits formen die Menschen.