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Erste Begegnung mit Hans-Dietrich Genscher

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Algier war auch der Ort meiner ersten Begegnung mit Hans-Dietrich Genscher. Anlass seines Besuches am 29. Dezember 1978 waren die Trauerfeierlichkeiten für den algerischen Präsidenten, Houari Boumédiène.

Dem jüngsten der Mannschaft oblagen neben seinen Sachgebieten zwei Bereiche: einerseits Protokoll – und zwar vor allem die Vereinbarung von Gesprächsterminen für den Minister „am Rande der Trauerfeier“ – und andererseits als Leiter des Krisenstabes die Organisation aller Abläufe. Und wie so häufig bei „Großveranstaltungen“ dieser Art lief vieles nicht immer rund. Genscher suchte nicht nur verzweifelt „seinen“ Kranz im Palast des Volkes, sondern als er im Hotel ankam und nach den vereinbarten Gesprächsterminen fragte, war – so die Kollegen – ein mittlerer Zornesausbruch die Folge: Wir hatten Termine vereinbart, die der Minister anscheinend nicht oder nicht mehr wollte. Irgendetwas war wohl in der Bonner Maschinerie schiefgelaufen.

Und wie mir einer aus der Bonner Delegation später erläuterte, hätten alle, auf die Frage des Ministers, „wer dafür verantwortlich sei“, auf mich verwiesen. Da ich ihm völlig unbekannt war, ordnete er mein sofortiges Erscheinen an. Leichter gesagt als getan in einem von Polizeikontrollen und höchster Nervosität beherrschtem Algier. Hatte sich die Führung doch erst nach langem Hin und Her, anders ausgedrückt: nach drei Monaten Lähmung und Agonie auf einen Nachfolger verständigen können und dann erst den todgeweihten Boumédiène in Frieden sterben lassen! Im Hotel angekommen, traf ich auf eine höchst aufgeregte deutsche Delegation – nur der damalige Sprecher (und spätere Staatssekretär) Genschers, Jürgen Sudhoff, behielt die Ruhe und erklärte mir Hintergrund wie auch die Risiken meines Erscheinens: Ich solle dem Minister ruhig und sachlich meine Weisungslage vortragen.

Ich stand dann zum ersten Male „meinem“ Minister gegenüber, dem ich – sein Zorn schien sich inzwischen gelegt zu haben – meine Weisungen erläuterte. Seine Reaktion war – im Gegensatz zu meiner Erwartung – sachlich, er erteilte mir mehrere Weisungen zu Gesprächen, die er führen wollte oder aber nicht.

Er wollte eben mit dem saudischen Amtskollegen sprechen, der nicht auf der uns aus Bonn übermittelten Liste war, nicht aber mit dem libyschen Revolutionsführer Mouammar Kadhafi und auch nicht mit dem gerade frisch ernannten französischen Außenminister Jean François-Poncet – „der (frühere) Botschafter könne warten“! Genscher fand in Paris erst später mit Roland Dumas den politischen Partner, den er sich gewünscht hatte.

Als die Luftwaffen-Maschine am Abend abhob, waren die letzten Aufregungen des Kurzbesuches – Genscher hatte auf dem chaotischen Wege vom Friedhof zum Flughafen einen Teil seiner Delegation „verloren“ und wollte ohne diese abfliegen – rasch vergessen, wir waren einfach erleichtert! Genscher hatte Delegation und Botschaft während des ganzen Tages unter höchstem Druck „auf Trab“ gehalten, ich versuchte die politische Bedeutung einer solchen Trauerfeier zu verstehen, mich beeindruckte er damals in dieser ersten Begegnung durch seine Professionalität. Ich sollte ihn einige Jahre später in Brüssel, an der Ständigen Vertretung bei den – damals – Europäischen Gemeinschaften wiedertreffen, der nächsten Station meiner Tätigkeit im Auswärtigen Amt.

Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa

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